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Der vorliegende Band, der sich primär mit den Bezie- hungen zwischen Liechtenstein und der Tschecho- slowakei befasst, thematisiert «schwierige Bereiche der gegenseitigen Geschichte» (S. 7). Er beinhaltet 16 Beiträge von insgesamt 16 Autorinnen und Autoren. Diese Beiträge sind die Früchte der Tagung «Das Fürs- tenhaus, der Staat Liechtenstein und die Tschechoslo- wakei im 20. Jahrhundert», die vom 26. bis 27. April 2013 in Prag stattfand. Dieser noch im selben Jahr in Vaduz publizierte Tagungsband bietet inhaltlich und thematisch viel. Eine Lektüre der einzelnen Beiträge lohnt sich definitiv, wobei die Beiträge gut auch ein- zeln für sich – sowohl von Fachhistorikern wie auch von interessierten Laien – mit Gewinn gelesen werden können. Die eingangs genannten «schwierigen Bereiche» sind geprägt durch die nachfolgend knapp skizzierte politische und geschichtliche Entwicklung. 1918 ent- stand, losgelöst aus dem zusammengebrochenen Öster- reich-Ungarn, die Tschechoslowakei als neuer Staat in Mitteleuropa. Durch die erste Bodenreform in diesem jungen Staat verlor das Haus Liechtenstein über die Hälfte seines Landbesitzes in Böhmen und Mähren; es erhielt dafür eine Entschädigung von 111,5 Millionen tschechoslowakischen Kronen; der Gesamtwert des konfiszierten Besitzes war indes auf 656 Millionen Kro- nen geschätzt worden (vgl. S. 11). Die tschechoslowakische Regierung anerkannte Liechtenstein schliesslich im Juli 1938 als souveränen Staat, was aufgrund der unmittelbar folgenden Ereig- nisse aber wertlos wurde. Im September 1938 folgte das
Das Fürstenhaus, der Staat Liechtenstein und die Tschechoslowakei im 20. Jahrhundert KlausBiedermannVeröffentlichungenderLiech- tensteinisch-Tschechischen Historikerkommission,Band4. VerlagdesHistorischenVereins fürdasFürstentumLiechten- stein.Vaduz,2013.258Seiten. 25Abbildungen,mehrere GrafikenundTabellen. Broschiert. ISBN978-3-906393-67-4 CHF40.–/Euro33.–Münchner
Diktat, das die Tschechoslowakei zur Abtre- tung deutschsprachiger Gebiete an das Deutsche Reich zwang. Im März 1939 marschierte Hitler-Deutschland in Prag ein, was das vorübergehende Ende der Tschecho- slowakei bedeutete. Bei den deutschen Besetzern be- mühte sich das Haus Liechtenstein um einen Rückkauf verlorener Güter, ohne Erfolg. Nach Wiederherstellung der Tschechoslowakei 1945 wurden die nach Präsident Edvard Beneš be- nannten «Beneš-Dekrete» erlassen, die eine entschädi- gungslose Konfiszierung sämtlicher Vermögenswerte aller Deutschen, Ungarn sowie «Feinde» und «Ver- räter» befahlen. Dabei wurden die Angehörigen des Hauses Liechtenstein fälschlicherweise als «Deutsche» behandelt. Diese Konfiskationsfrage belastete das bila- terale Verhältnis zwischen Prag und Vaduz während Jahrzehnten. Erst im Jahr 2009 erfolgte die gegensei- tige diplomatische Anerkennung zwischen Tschechien und
Liechtenstein. «Die Kenntnisse über die Geschichte dieses Landes sind fast null» Diese Feststellung, dergemäss die gewöhnlichen Men- schen in der Tschechoslowakei kaum Kenntnisse über Liechtenstein und dessen Herrscherfamilie hätten, steht im Mittelpunkt der von Jan Županič verfassten Einlei- tung im vorliegenden Band. «Nur wenige Leute» seien zudem imstande gewesen, «die Interessen und Einstel- lungen der liechtensteinischen Dynastie von denen der sonstigen deutschsprachigen Bevölkerung in der Tschechoslowakei in der Zwischenkriegszeit zu unter- scheiden»; Adel und katholische Kirche wären als Stüt- zen der untergegangenen österreichisch-ungarischen Monarchie wahrgenommen worden, ebenso das Haus Liechtenstein (S. 9). Besonders in der Gründungszeit unmittelbar nach 1918 präsentierte sich die Tschechoslowakei als anti- habsburgisch und antiadlig, mit der Bodenreform sollte die Macht des Adels bezwungen werden. Die Beziehun- gen zwischen Liechtenstein und der Tschechoslowakei erreichten jedoch erst mit der kommunistischen Macht- übernahme von 1948 den «Gefrierpunkt» (S. 11–12). Diese Eiszeit ging dann nach dem Ende der kommunisti- schen Herrschaft 1989 langsam zu Ende.
Liechtensteinisch-Tschechische Historikerkommission
(Hrsg.) Das Fürstenhaus, der Staat Liechtenstein und die Tschechoslowakei im 20. Jahrhundert
Das Fürstentum Liechtenstein und die Tschechische Republik haben 2009 diplomatische Beziehungen aufgenommen und damit ihr seit 1918 und 1945 gestörtes Verhältnis norma- lisiert. Eine Liechtensteinisch-Tschechische Historikerkommission wurde 2010 von beiden Staaten gemeinsam berufen. Die Ergebnisse der wissenschaftlichen Untersuchungen sollen zu einem besseren Verständnis der wechselvollen gegenseitigen Geschichte führen. Der vorliegende Band 4 der Veröffentlichungen der Liechtensteinisch-Tschechischen His- torikerkommission vereinigt Beiträge einer Tagung vom April 2013 in Prag. Der Zerfall Österreich-Ungarns im Ersten Weltkrieg, die Bildung von Nachfolgestaaten, darunter die Tschechoslowakei, der Fall von Monarchien, der Niedergang des Adels, der Hitlerkrieg und die nationalen Reaktionen nach der Befreiung, Bevölkerungs-«Transfers» und Konfiskatio- nen, jahrzehntelange kommunistische Herrschaft – all dies betraf zentral auch das Fürsten- haus und das Fürstentum Liechtenstein. Der Fürst verlor alle Besitztümer in der Tschecho- slowakei. Weiteren liechtensteinischen Staatsangehörigen erging es ebenso. Die ungelösten Fragen um Bodenreform und Konfiskation verhinderten bis 2009 die gegenseitige staatliche Anerkennung. Die 16 Beiträge stellen das Geschehen in den verschiedenen Phasen bis heute dar, samt den weit in die Geschichte zurückgreifenden Argumentationen, Interpretationen und rechtli- chen Erwägungen. Blicke fallen auf die Kunstsammlungen, auf die fürstliche Verwaltung der Herrschaftsgüter, auf die erst 1997 aus Moskau gegen das Sokolov-Archiv zurückgetausch- ten Hausarchiv-Archivalien wie auch auf die heutige Wahrnehmung der Liechtenstein-Fra- gen in Tschechien. Dieser Band enthält Beiträge von Vojtěk Drašnar, Peter Geiger, Lothar Höbelt, Ondřej Horák, Václav Horčička, Catherine Horel, Karina Hoření, Susanne Keller-Giger, Kamila Kohoutková, Johann Kräftner, Josef Löffler, Roland Marxer, Christoph Merki, Rupert Quaderer, Alžběta Steinerová, Arthur Stögmann und Jan Županič. In Brünn/Brno erscheint das Buch auch in tschechischer
Sprache.hL Das
Fürstenhaus,
der
Staat
Liechtenstein
und die
Tschechoslowakei
im
20.
Jahrhundert
Liechtensteinisch-Tschechische
Band
4 Historikerkommission
(Hrsg.) ISBN 978-3-906393-67-4