Volltext: Jahrbuch (2014) (113)

111 Historischer Verein für das Fürstentum Liechtenstein, Jahrbuch Band 113, 
2014 
verschwunden und der in seinem Zimmer aufgefunde- nen Damenkleider wegen vermutete sie, «der Mann war wohl ein Transvestit».19 Kevin Clarke hat in dem Buch «Glitter and Be Gay. Die authentische Operette und ihre schwulen Verehrer» die These aufgestellt, dass «die Kunstform Operette bis 1933 ein aktuelles, intellektuel- les, durchgedrehtes, fast dadaistisches Entertainment» war, «in dem es zuerst und zuletzt um Sex ging», und zwar «in allen Formen und 
Spielarten».20 Drohende Auslieferung Fritz Rotter dürfte vom deutschen Auslieferungsantrag gegen ihn gewusst haben – und musste sich versteckt halten. Nach einiger Zeit begab er sich nach Nizza, wo- hin inzwischen schon seine – wie er unverheiratet ge- bliebene – jüngste Schwester Luzie emigriert war. In Nizza gab es eine «der ältesten jüdischen Gemein- den auf französischem Boden», und diese gründete ein Hilfskomitee.21 Im Sommer 1934 war auch der genannte Romanautor Joseph Roth da, der an einer Stelle in seinen Tagebüchern schrieb: «Ich habe nur noch den Mut, den die Verzweiflung gibt.»22 In der Nähe von Nizza wurde Fritz Rotter am 6. No- vember 1934 verhaftet, da das Deutsche Reich seine Auslieferung verlangte. Seit dem 9. Juli 1934 war er mit Bild im Polizei-Bulletin gesucht worden. Das Gericht von Aix-en-Provence gab dem deutschen Antrag am 22. De- zember 1934 zwar statt, aber am 2. Februar 1934 wurde Fritz Rotter dank des legendären Pariser Anwalts Henry Torrès auf freien Fuss gesetzt («Le Petit Marseillais», 3. Februar 1934). Wie die «Frankfurter Zeitung» vom 4. Februar 1935 zu berichten wusste, geschah dies «auf 
Anweisung der Kanzlei des Justizministeriums, das als letzte Instanz über den von der Reichsregierung gestell- ten Auslieferungsantrag zu entscheiden hatte». Henry Torrès pflegte, einem seiner bekanntesten Schüler zufolge – dem späteren Justizminister Robert Ba- dinter – zu sagen, als Anwalt sei es nicht «dein Problem, zu wissen, was richtig ist oder nicht, dein einziges Prob- lem, dein Daseinsgrund für dich, Advokat, ist zu vertei- digen»: «Die Verteidigung besteht darin, keinen Finger breit Ge- lände dem Gegner zu überlassen, nichts von der Anklage als gegeben hinzunehmen, ja sogar zu verweigern, das Augen- scheinliche zuzulassen. Denn das Offensichtliche für einen Anwalt kann nur sein, dass niemand jemals Schuld trägt, an nichts, nicht einmal an dem Verbrechen, das soeben begangen worden ist, mit dem noch warmen Körper, und dem Revolver 11  Aline Valangin: «Interview mit mir selbst». Manuskript im Sozial- archiv Zürich, Blatt 148 («Aktionen»). 12  Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933, Bd. 1, München 1980, S. 441. 13  Aline Valangin, «Interview mit mir selbst» (wie Anm. 11). 14  Ebenda. 15  Ebenda. 16  Ebenda. 17  Werner Link: Die Geschichte des Internationalen Jugend-Bundes und des Internationalen Sozialistischen Kampf-Bundes (ISK). Ein Beitrag zur Geschichte der Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik und im Dritten Reich. Meisenheim am Glan, 1964, S. 271. 18  Werner Link, ebenda, S. 272; Eveline Hasler: Mit dem letzten Schiff. Zürich, 2013. 19  Aline Valangin, «Interview mit mir selbst» (wie Anm. 11), Bl. 150. 20  Kevin Clarke: Glitter and Be Gay. Die authentische Operette und ihre schwulen Verehrer. Hamburg, 2007, S. 7. 21  Alexander Kluy: Jüdisches Marseille und die Provence. Wien, 2013, S. 159 und 174. 22  Ebenda, S. 
208. In der Schweiz hätte Fritz Rotter keinen Schutz gefunden; Quelle: Schweizerischer Polizeianzeiger, Nr. 125, 31. Mai 1933, S. 1239.
	        

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