93 Historischer Verein für das Fürstentum Liechtenstein, Jahrbuch Band 112,
2013So
schwierig sich die generationenübergreifende Auf- rechterhaltung des Totengedenkens innerhalb der Fami- lie auch gestaltete: grundsätzlich war man sich darüber im Klaren, dass man gegenüber den verstorbenen An- gehörigen noch Verpflichtungen hatte.99
Dieses Bewusst- sein kommt auch in zahlreichen Stiftungen im Eschner Jahrzeitbuch zum Ausdruck, in denen die Sicherung des familiären Totengedenkens der Kirche anvertraut wurde. Eine solche Institutionalisierung des Familien- gedächtnisses war möglich, denn in eine Jahrzeitstiftung konnten beliebig viele Personen eingeschlossen werden. Jahrzeitstiftungen wurden damit zu eigentlichen Famili- enstiftungen. Mit der Aufnahme der Eltern und Vorel-
Gemeinde angesehen, nicht des Klerus.96
Die Gemeinde wusste ihre Interessen (und die Interessen ihrer Toten) zu wahren. Selbst Pfarrer Kaspar Ammann vertraute seinen Nach- folgern offenbar nicht. Seine Jahrzeit, die zum 30. Juli mit drei Messen und einer Vigil zu begehen war, enthält die Klausel: «vnd wenn der pffarrer das jarzitt nitt begieng wie obstǎtt, so ist des selben jar das selbig geltt santt Marttin verfallen.»97 Seine Nachfolger hätten freilich auch sonst allen Grund gehabt, Pfarrer Kaspar Ammann in guter Erinnerung zu halten. Ihm verdankten sie nämlich ihre stattliche Woh- nung, die
Pfrundbauten. «Er hǎtt ǒch der selbig herr Caspar der pffrůnd husß jn siner aignen kostung gebuwenn: doch aim ppfarrer sine gerechttikaitt behaltenz der selbigen hoffstatt, ...». So heisst es in Kaspar Ammanns Stiftungseintrag. Dieser Bemerkung, die wohl an die Dankbarkeit seiner Nach- folger appellierte, verdanken wir unser Wissen über die frühe Baugeschichte der Eschner Pfrundbauten.98 Pfarrer Ammann hat sich mit den Pfrundbauten gewissermassen ein Denkmal gesetzt – auch eine Strategie gegen das Ver- gessenwerden.Familienstiftungen
85 Am Ende des Jahrzeitbuchs finden sich ohne kalendarische Ein- ordnung weitere Stiftungen eingetragen, die in der Regel eben- falls keine von der Kirche zu erbringende Gegenleistungen an- merken. Auch sie stammen mehrheitlich von der Hand Am- manns. LUB I,2, S. 370–376. 86 Ebenda, S. 350. 87 Vgl. dazu bereits Perret, Anniversaria, S. 70 f. – LUB I,2, S. 379– 390. – Erhart, Bücher, S. 329. 88 LUB, I,2, S. 382. 89 Kürzungen bei den Angaben zum Stiftungsgut lassen sich wieder- holt nachweisen, vgl. dazu LUB, 1,2, S. 380 f. Unter dem 2. März weist Pfarrer Amman sogar ausdrücklich auf eine Kürzung hin: «... als mans in dem alten
iarzittbůch lùttrer findt, denn es hie geschri- ben ist». LUB, I,2, S. 32. Allerdings bezieht sich dieser Hinweis auf das Stiftungsgut beziehungsweise die Aufteilung der Erträge und nicht auf kirchliche Leistungen, welche die Stifter erwarteten. 90 Bei einigen Einträgen, die Ammann aus dem alten Jahrzeitbuch übernommen hat, finden sich freilich die Ausführungsbestim- mungen, zum Beispiel im Eintrag zum 22. August: «O.
�lricus Wagner et vxor sua Elsa relinquerunt iiij denarios plebano, qui eos celebret anniversarium de solamine ...». LUB I,2, S. 348. 91 Etwa in die gleiche Zeit fällt im deutschen Kulturraum der Durch- bruch des Fegefeuers in der Ikonographie. Vgl. Wegmann, Weg. 92 Vgl. auch Elsener, Jahrzeitstiftungen, S. 249. 93 «Item Vrsel Mùndlin, Caspar Haslars husfrow haut gelon j s. dn. Gelcz, daz ain lùtpriester ir sol
�llŷ iǎr ain selmess sprechen, vnd wenn der priester die mess nit spricht, so ist der s. dn. verfallen sant Martin ...». LUB I,2, S. 313. 94 LUB I,2, S. 366. 95 Le Goff, Geburt, S. 301 f. 96 Liermann, Handbuch, S. 116. Missbräuche gab es wohl hüben wie drüben. Ein etwa gleichzeitig wie das Eschner Jahrzeitbuch in der Bodenseeregion entstandenes Spottgedicht berichtet von Kil- chenmeigern, die mit Kirchengut spekulieren. Den Gewinn stecken sie selber ein; läuft es schief, dann müssen «die Heiligen ... den Schaden han». Zitiert nach ebenda. 97 LUB I,2, S. 343. Vgl. die Abb. auf S. 88. 98 Herrmann, Pfrundbauten, S. 6. 99 Vgl. dazu etwa Schuler, Anniversar, S. 109–117. – Othenin- Girard, Lebensweise, S. 110–120. Kapitel_2_Kuratli.indd 9311.06.13 15:45