Volltext: Jahrbuch (2013) (112)

86Kuratli Hüeblin Jakob: Das Jahrzeitbuch von 
Eschen 
ern habe,60 gehen die übrigen Stiftungen in der Regel von einer Zelebration der beiden Messen am gleichen Tag aus. Dazu musste der Eschner Pfarrer einen Hilfspriester hinzu- ziehen und auch entsprechend entschädigen. Einige Stif- tungseinträge hielten den Lohn des Hilfspriesters ausdrück- lich fest und luden ihn nach dem Gedächtnis zum Essen ein beziehungsweise sie verpflichteten den Pfarrer, seinem Ge- hilfen einen Imbiss zu offerieren. So zum Beispiel die zum 6. August verzeichnete Stiftung, die zu den feierlichsten Ge- dächtnissen im Jahrzeitbuch von Eschen gehört.61 Ruedi Kremel und seine Frau Els Graf stifteten mit ihren Kindern 
durch iro sell hail willen eine Jahrzeit mit einer gesun- genen und einer gesprochenen Seelmesse. Eine gesungene Vigil bildete den Auftakt zur Gedächtnisfeier. Nach den Messen hatte der Mesmer die Priester mit Weihrauch zu den Gräbern zu weisen, wo die Antiphon 
Placebo domino in regione vivorum aus Psalm 116 gesungen wurde. Ausser- dem sollte der Priester der Stifter auch an der Kanzel ge- denken. Die Jahrzeit war mit sechs Schilling Pfennig dotiert: Ein Schilling ging an Sankt Martin, acht Pfennig an den Priester für die Verkündigung der Namen von der Kanzel, vier Pfennig erhielt der Mesmer für seine Dienste und den Weihrauch, und vier Schilling gingen an den Pfarrer für das Halten der jährlichen Seelmessen, wobei er einen Schilling an den Hilfspriester weiterzugeben und diesen nach dem Totengedächtnis zu verköstigen hatte. «Messopfer, Gebete, Almosen und andere Werke der Frömmigkeit» – in der Jahrzeitstiftung von Ruedi Kremel und Els Graf begegnen uns alle vier Strategien, die eine Ver- kürzung des Aufenthalts im Fegefeuer bewirken konnten. Die Messe galt dabei als das wirksamste Mittel.62 
Ihre he- rausragende Bedeutung für die Verstorbenen lag nach Gre- gor dem Grossen darin begründet, dass das Messopfer eine Erneuerung des Kreuzopfers darstelle, mit dem Christus die Menschheit erlöst habe.63 
Was die ganze Menschheit befreit 
hatte, konnte auch dem Einzelnen nur Nutzen bringen. Ruedi Kremel und Els Graf sicherten sich mit ihrer Stif- tung neben dem Messopfer aber auch noch weitere Ge- betshilfen, und zwar nicht nur derer, die ihre Jahrzeitfeier (die an einem Werktag, nämlich jeweils am Montag nach St. Lorenz stattfand) besuchten, sondern auch jene der ge- samten Eschner Bevölkerung, die sich am Sonntag zum Gottesdienst versammelte. Einen Teil des Stiftungsertrags setzten sie nämlich dafür ein, dass der Priester ihre Na- men im Sonntagsgottesdienst öffentlich verlas, damit die Verstorbenen in das Gebet der Gemeinde eingeschlos- sen werden konnten. Diese Verkündigung erfolgte nicht nur am Sonntag vor dem Gedächtnistag, als Hinweis auf die anstehende Jahrzeit, sondern an jedem Sonntag im Jahreskreis.64 
Deutlich wird dies zum Beispiel beim Ein- trag zum 21. April, wo es heisst, der jeweilige Kirchherr von Eschen solle den Stiftern 
ewenklich gedencken an der kantzlen all Sonntag mit andren selen, so dann stond jn dem ewi- gen bůch.65 Neben dem Jahrzeitbuch führten die Eschner Pfarrer also noch ein «ewiges Buch» – beziehungsweise einen 
sel zedel66 – wo die Namen jener Verstorbenen ein- geschrieben waren, die den Eschner Kirchgängern jede Woche in Erinnerung gerufen werden wollten. Dieses Verkündbuch ist allerdings nicht überliefert. Zurück zu Ruedi Kremel und Els Graf: Mit ihrer Zu- wendung an den heiligen Martin stifteten sie ein jährliches Almosen zu Gunsten der Pfarrkirche. Martin war der Pa- tronatsheilige der Eschner Kirche und damit der eigentliche ‹Besitzer› des Kirchenguts.67 Die Spende an Sankt Martin – die auch in vielen anderen Stiftungen im Eschner Jahrzeit- buch vorgesehen war – versprach gleich doppelten Nutzen. Denn neben der Wirkung des Almosens konnte man auch noch den heiligen Martin für sich gewinnen, dessen Für- sprache bei Gott ebenfalls sehr erfolgsversprechend war.68 Die der Eschner Kirche durch Almosenstiftungen erwach- senen Einkünfte flossen in die Kirchenstiftung, die 
Fabrica ecclesiae (Kirchenfabrik).69 Diesen Fonds verwaltete ein Kir- chenmeier; das Geld wurde für den Unterhalt und andere Aufwendungen der Kirche verwendet. Die in der Stiftung von Ruedi Kremel und Els Graf vorgeschriebene Bewirtung des Hilfspriesters schliesslich konnte als ein Werk der Nächstenliebe angesehen werden (Mt. 25,35: «ich war hungrig und ihr habt mir zu essen ge- geben»).70 Damit hatten Ruedi Kremel und Els Graf in einer einzigen Stiftung für alle von der Kirche empfohlenen Hilfe- leistungen für das Jenseits vorgesorgt. 
Ausschnitt aus der Legenda aurea, 14. Jahrhundert. Kapitel_2_Kuratli.indd   8611.06.13   15:44
	        

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