84Kuratli Hüeblin Jakob: Das Jahrzeitbuch von
Eschen
Die Mittel, die den Verstorbenen Hilfe bringen konnten, wurden von den Predigern immer wieder wiederholt und auf Bildern ins Bewusstsein gerufen. Auch wir wollen sie uns hier noch einmal vergegenwärtigen: «Messopfer, Gebete, Almosen und andere Werke der Frömmigkeit, die von den Gläubigen entsprechend den Anordnungen der Kirche für andere Gläubige gewöhnlich verrichtet werden.» Mit der Errichtung entsprechender Stiftungen konnten sich die Menschen diese Fürbittleistungen schon zu Lebzeiten sichern und damit eine gewisse Unabhän- gigkeit von ihren Angehörigen erlangen, die sich
post mor- tem leider oft als sehr unzuverlässige Helfer herausstellten. Wer es sich leisten konnte, sicherte sich mit seiner Stiftung gleich mehrere Arten von Fürbittleistungen,57 zum Beispiel Greta Erhart, die Witwe von Ulrich Strub. Ihr Gedächtnis wurde im Eschner Jahrzeitbuch auf den 6. April angesetzt.58 Für ihr eigenes Seelenheil sowie je- nes ihrer Eltern und Voreltern legte sie fest, dass aus dem Ertrag eines von ihr bezeichneten Grundstücks jährlich fünf Schilling Pfennig für ein ewiges Andenken einge- setzt werden sollten. Die fünf Schilling waren folgender- massen an die Destinatäre auszuschütten: sechs Pfennig an Sankt Martin, vier Schilling (48 Pfennig) an den Leut- priester, zwei Pfennig an den Mesmer und nochmals vier Pfennig an den Pfarrer. Folgende Gegenleistungen forderte Greta Erhart für diese jährliche Ausschüttung explizit ein: Der Pfarrer von Eschen sollte jedes Jahr für zwei Totenmessen be- sorgt sein: eine gelesene und eine gesungene. Daraufhin sollte der Mesmer auf dem Friedhof Greta Erharts Grab sowie die Gräber der übrigen in die Stiftung eingeschlos- senen Verstorbenen bezeichnen, damit dort weitere Ge- bete gesprochen werden konnten. Zusätzlich sollte Greta Erharts Name jeweils am Sonntag von der Kanzel verkün- det werden. Stiftungen mit zwei Messen, oftmals sogar noch Verbun- den mit einer Totenvigil am Vorabend oder Morgen des Gedenktags,59
begegnen uns im Jahrzeitbuch von Eschen wiederholt. Während
H�nni Marxer und seine Frau Clara ausdrücklich festsetzten, dass der jeweilige Pfarrer von Eschen jährlich
zwo selmessan nauchenandra vff zwen tag zu fei-
nossen der
Alpe in Campo Mauri im 9. Jahrhundert getätigt hatten, hatte die Stiftung einen entscheidenden Vorteil: Sie konnte dem Seelenheil nicht nur einen einmaligen, sondern dauerhaften Nutzen bringen. Seelgerätsstif- tungen wurden in der Regel auf ‹ewige› Zeiten, das heisst bis zum Jüngsten Tag angelegt. So lange hatten die Verstorbenen – im schlimmsten Fall – Fürbitten aus dem Diesseits nötig. «Das einfache Seelgeräte wurde zum anniversarium, zur Jahrzeitstiftung. Durch sie wurde si- chergestellt, dass an Gedenktagen ... in ständiger Wie- derkehr für den Toten Messen gelesen wurden.»56 Ein solches ‹ewiges› Andenken machte eine aufwän- dige Buchführung notwendig. Neben den Namen der Stifter, dem Stiftungsgut (beziehungsweise Stiftungskapi- tal) und dem jährlich auszuschüttenden Ertrag mussten auch die Gedenkleistungen festgehalten werden, welche die Stifter von der Kirche erwarteten. Auch das Jahrzeit- buch von Eschen, dem wir uns im Folgenden nun wid- men möchten, erfüllte alle diese
Aufgaben.Strategien
der Jenseitsvorsorge 56 Liermann, Handbuch, S. 110. 57 «Umsichtige Stifter bauen ... auf Risikoverteilung. Ihre Seelgeräte gleichen dem Anlageplan eines modernen Kapitalisten, der sein Kapitel_2_Kuratli.indd 8411.06.13 15:44