71 Historischer Verein für das Fürstentum Liechtenstein, Jahrbuch Band 112, 20131
Augustinus, De Cura Pro Mortuis Gerenda Ad Paulinum 6. – Deut- sches Zitat nach Scholz, Fürbitten, S. 153. 2 Einen Überblick über die Entwicklung des mittelalterlichen To- tengedenkens gibt der Katalog zur Ausstellung ‹Bücher des Le- bens – Lebendige Bücher›. In dieser Ausstellung konnte im Jahr 2010 mit Unterstützung der Gemeinde Eschen auch das Eschner Jahrzeitbuch präsentiert und beschrieben werden (Erhart, Bü- cher). Die erste umfassende Monographie zum Thema, die auch die Jahrzeitbücher gebührend berücksichtigt, erscheint in diesen Monaten: Hugener, Buchführung. 3 Tertullian, De poenitentia 2,11. 4 Liermann, Handbuch, S. 107. 5 «In dei nomine. Perpetrandum est
unicuiqu�, quod euuangelica vox admonet dicens: Date et dabitur vobis. Igitur ego in Dei no- mine Ceroldus comes cogitans pro Dei timore vel
anim� me� re- medium vel pro eterna retributione, talis mihi decrevit voluntas, ut aliquid de rebus meis ad monasterium sancti Galli confessoris condonare deberem ...». StiASG, Urk. I 86. – UB St. Gallen I, S. 101–103, Nr. 108. 6 «In dei nomine. Perpetrandum est unicuique, quod euuangelica vox admonet dicens: Date elymosinam et omnia munda sunt vobis. Igitur ego Petto cogitans de innumerabilibus peccatis meis, propterea trado ad monasterium sancti Galloni aliquam partem de alodo meo, ut remissionem invenire merear de peccatis meis apud Dominum. ...». StiASG, Urk. I 101. – UB St. Gallen I, S. 109 f., Nr. 116. 7 Elsener, Seelgerät, S. 86. 8 Vgl. dazu zum Beispiel Elsener, Seelgerät. – Derselbe, Jahrzeitstif- tungen, S. 233–237. 9 Elsener, Seelgerät, S. 86
f.
türlich dasselbe; fromme Schenkungen erfolgten stets im Hinblick auf den ewigen Lohn im Jenseits, den man als göttliche Gegenleistung erwarten durfte. Schenkungen oder Vermächtnisse
pro remedio animae wurden auch als «Seelgeräte» bezeichnet, was man mit «Vorrat für die Seele» übersetzen könnte.7 Die Idee des Seelgeräts war von den Kirchenvätern aus heidnischen Traditionen übernommen und ursprünglich vor allem dahingehend weiterentwickelt worden, dass wohlha- bende Christen wenigstens einen Teil ihres Besitzes an Jesus Christus, das heisst an die Kirche vererben sollten, damit diese ihre vielfältigen Aufgaben erfüllen konnte.8 Die Kirche verwaltete die geschenkten Güter treuhände- risch und setzte sie beispielsweise für den Unterhalt der Priester oder die Unterstützung der Armen ein. Augusti- nus erklärte das «Seelgerät» am Beispiel des römischen Seedarlehens,
des fenus nauticum beziehungsweise der
pe- cunia trajecticia.9 Der Schenker beziehungsweise Erblasser vermachte der Kirche vor seiner ‹Überfahrt› ins Jenseits gewissermassen ein ‹Darlehen›, das er dort samt der im Seehandel üblichen hohen Risikoprämie zurückerhielt.
Bonum factum Deum habet debitorem, so schrieb der bedeu- tende lateinische Kirchenschriftsteller und Jurist Tertul- lian zu Beginn des dritten Jahrhunderts: «Die gute Tat hat Gott zum Schuldner.»3 Dieses eingängige Zitat, das nicht nur dem römischen, sondern auch dem germanischen Rechtsdenken durchaus entsprach, ist grundlegend für das Verständnis des mittelalterlichen Schenkungs- und Stiftungsverhaltens, das sich auch im Jahrzeitbuch von Eschen widerspiegelt. «Es entsprach der naiven Fröm- migkeit des mittelalterlichen Menschen, dass derjenige, der Gott etwas schenkte, von ihm eine Gegenleistung erwarten durfte.»4 Was der ‹gesunde Menschenverstand› sagte, fand sich notabene auch in der Bibel bestätigt:
Date et dabitur vobis – «Gebt, dann wird auch euch gegeben werden», so heisst es im Lukasevangelium (Lk. 6,38), wo- bei die Parallelen zur bekannten römischen Rechtsfor- mel
do ut des nicht zu übersehen sind. Als Graf Gerold im Jahr 786 bedeutende Besitzungen im heutigen Süddeutschland an das Kloster St. Gallen vermachte, begründete er seine Schenkung mit den fol- genden
Worten:5 «Im Namen Gottes. Jeder muss zu erreichen trachten, wozu die Stimme des Evangeliums mahnt, indem sie sagt: ‹Gebt und es wird euch gegeben werden.› So habe auch ich, im Namen Gottes Graf Gerold, aus Gottesfurcht, auf das Heil meiner Seele und auf ewigen Lohn bedacht, mich entschlossen, einige meiner Güter dem Kloster des heiligen Gallus des Bekenners zu übereignen.» Von einem anderen Bibelzitat (Lk. 11,41) liess sich im Jahr 788 der Alemanne Petto leiten, als er seinen Besitz in Glattburg und Zuckenriet dem Kloster St. Gallen ver- machte:6 «Im Namen Gottes. Jeder muss zu erreichen trachten, wozu die Stimme des Evangeliums mahnt, indem sie sagt: ‹Gebt Al- mosen, dann ist für euch alles rein.› Daher übergebe ich, Petto, eingedenk meiner unzähligen Sünden, dem Kloster des heiligen Gallus einen Teil meines Besitzes, um die Erlassung meiner Sün- den vor dem Herrn zu erlangen und zu verdienen.» Die Erwartungshaltung, dass Gott das gute Werk be- lohne, wird auch in vielen anderen frühmittelalterlichen Schenkungsurkunden so unumwunden ausgesprochen wie bei Gerold und Petto. Am häufigsten begegnet uns im frühmittelalterlichen Urkundenformular jedoch die Begründung, dass eine Schenkung
pro remedio animae, «für das Heil der Seele» erfolgt sei. Gemeint ist damit
na-
Gute Werke für das Seelenheil Kapitel_2_Kuratli.indd 7111.06.13 15:44