Volltext: Jahrbuch (2013) (112)

187 Historischer Verein für das Fürstentum Liechtenstein, Jahrbuch Band 112, 
2013 
rungskultur. Eine solche konnte sich nur entwickeln mit einer klaren Abgrenzung von Deutschland, was einher- ging mit einer positiveren Neueinschätzung des habsbur- gischen Erbes. Wurden jedoch die Habsburger primär als Besatzer gesehen, wie gerade in Böhmen und Mähren (in Tschechien), so besann man sich nach 1918 verstärkt auf die vorhabsburgische Geschichte. Der böhmische Refor- mator Jan Hus wurde hochgehalten, Symbole der Habs- burgerherrschaft und zum Teil auch des Katholizismus wurden zerstört. Mit dem Hinweis auf Lemberg, Czernowitz und Sara- jevo wagt Catherine Horel die These, dass die Erinnerung an die Habsburgermonarchie vor allem dort sehr nostal- gisch sei, wo die entsprechenden Orte und Kronländer eine besonders dramatische Geschichte durchmachten. Gerade im Zuge der Bestattung von Kaiserin Zita am 1. April 1989 in Wien (und der beginnenden Demontage des Kommunismus) entdeckten Nachfolgestaaten von Österreich-Ungarn wiederum das gemeinsame habsbur- gische und multikulturelle Erbe. So gedachte zum Beispiel auch Czernowitz, früher stark jüdisch und deutsch geprägt, seiner multikultu- rellen Tradition. Diese Tradition war jedoch grösstenteils abgebrochen, durch Vertreibung, Auswanderung und Neubesiedlung. Zudem wechselte Czernowitz im 20. Jahrhundert viermal die Staatszugehörigkeit (Österreich, Rumänien, Sowjetunion, Ukraine). Die Stadt habe des- halb heute «zweifellos ein Identitätsproblem» (S. 47). Knödel, Wiener Schnitzel und Gulasch, aber auch viele Mehlspeisen stellen hingegen in vielen Nachfolge- staaten Österreich-Ungarns auch heute ein gemeinsames kulinarisches Erbe dar. Dabei sei, so Catherine Horel, aber auch die traditionelle Wiener Küche letztlich «ein Produkt der jeweiligen Kronländer, besonders der italie- nischen Provinzen, Ungarns und Böhmens, die sich auch gegenseitig beeinflussten» (S. 
39). Zum Bild des Fürsten Karl von Liechtenstein   in Tschechien Mit dem Beitrag von Thomas Winkelbauer beginnt der zweite Teil der Publikation, der unter dem Übertitel «Personen und Ereignisse» steht. Der Wiener Historiker Winkelbauer übertitelt seinen Aufsatz wie folgt: «Karl von Liechtenstein und das ‹Prager Blutgericht› vom 21. 
Juni 1621 als tschechischer Erinnerungsort im Spiegel der Historiographie». Die Lektüre seines Beitrags macht plausibel, wieso in Tschechien ein negatives Bild dieses Fürsten von Liechtenstein überliefert ist. Karl von Liech- tenstein (1569–1627) war Vorsitzender des erwähnten habsburgischen Blutgerichts, das 27 Adlige und Bürger zu einer öffentlichen Hinrichtung auf dem Altstädter Ring in Prag verurteilte. Thomas Winkelbauer benennt ausserdem die wich- tigsten biografischen Stationen des Fürsten Karl, der ab 1622 riesige Besitzung in Böhmen und Mähren erwarb, teils durch kaiserliche Schenkung, teils durch Kauf. Die finanzielle Mittel für solche Käufe hatte Karl von Liech- tenstein zum Teil durch Gewinne erhalten, die er aus seiner Beteiligung am «Münzkonsortium» erzielte (vgl. auch die Publikation von Steffen Leins zu diesem Thema, rezensiert von Fabian Frommelt an anderer Stelle in die- sem Jahrbuch). Da Karl von Liechtenstein nicht zuletzt auch ein Ver- bündeter der Habsburger war, galt er in der tschechi- schen Geschichtsschreibung als Bösewicht, was Thomas Winkelbauer mit mehreren Beispielen belegt. Auch Karls Konvertierung vom protestantischen zum katholischen Glauben wurde zumeist als eine rein opportunistische Tat angesessen: Ihr sei lediglich «die Gier nach Macht und Bereicherung» zugrunde gelegt gewesen (Karel Stloukal, zitiert bei Winkelbauer, hier auf Seite 61). Jün- gere Forschungen rückten Karl von Liechtenstein indes in ein etwas milderes Licht. Josef 
Janáček betonte zwar auch dessen Habgier, hob aber andererseits auch die Fä- higkeiten und den Fleiss des Fürsten hervor (S. 
65). Stellung des Hauses Liechtenstein   in Österreich-Ungarn Der Prager Historiker 
Jan Županič bezieht in seinem Bei- trag Position «zur Frage der souveränen Stellung eines aristokratischen Geschlechts» (S. 71) und verweist dabei auf den besonderen Status der Liechtenstein in der Habs- burgermonarchie. Der Fürst von Liechtenstein zählte im Jahr 1914 mit einem Besitz von 1’843 Quadratkilometern zu den reichsten Grundbesitzern in Europa. Kaiser Franz Joseph hatte im Jahr 1851 dem Fürsten von Liechtenstein das Recht der Exterritorialität gewährt. In der Folge un- terstand dieser Fürst nicht mehr den ordentlichen Ge- Kapitel_7_Rezensionen.indd   18711.06.13   15:49
	        

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