Volltext: Jahrbuch (2013) (112)

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tegration insbesondere seitens der Behörden. Da es sich bei den Plafonierungsmassnahmen und dem Familien- nachzug um vorwiegend institutionelle und juristische Fragen ohne Emotionalisierungspotential handelte, war der Einfluss der Bevölkerung bei der Generierung der Fremdheitskonstrukte relativ unbedeutend. Lediglich bei sozialen Aspekten kamen teilweise kritischen Stim- men auf, jedoch wurden diese Interessen hauptsäch- lich durch das italienische Konsulat sowie zur Wahrung guter Arbeitsbedingungen durch den liechtensteinischen Arbeitnehmerverband 
vertreten. Sicherer Hafen Liechtenstein Bezüglich der 
Fluchtmigration zeigt sich Liechtenstein den Fremden gegenüber grundsätzlich wohlgesinnt. Zwar wurden diese stets als Fremde wahrgenommen, jedoch in der Gesellschaft akzeptiert. Dabei spielten Kontext- faktoren wie die vorherrschende Wirtschaftslage und der Kalte Krieg eine wesentliche Rolle. So galten etwa ungarische, tschechische und indochinesische Flücht- linge als Opfer des Kommunismus und deren Aufnahme dementsprechend als antikommunistischer Akt. Die ge- ringe Anzahl an Flüchtlingen dürfte ebenfalls ihren Teil zu deren konfliktloser Aufnahme beigetragen haben. Mit dem Jugoslawienkrieg und den in grosser Zahl Schutz suchenden Bosniern vertraten die Behörden erstmals das Selbstverständnis als humanitäres Gastland. Aus heutiger Sicht diskrepant dazu taten sie jedoch ihr Bestes, um zur gesellschaftlichen Integration der bosnischen Gäste beizutragen. Folglich kam ein relativ grosser Anteil der Bosnier dem behördlichen Wunsch nach Rückkehr in ihr Herkunftsland nicht nach. Aus diesen Erfahrungen resultierend wurde zukünftig versucht mittels negativen Anreizen, wie etwa beschränktem Wohnraum, die At- traktivität Liechtensteins als Flucht- und somit indirekt als zukünftiges Heimatland zu reduzieren. Bemerkenswert ist in diesem Kontext die späte Ein- führung einer gesetzlichen Grundlage im Flüchtlingswe- sen. Erst 1998, nach den Erfahrungen mit den bosnischen Flüchtlingen, wurde eine solche festgesetzt. Zuvor ori- entierte sich Liechtenstein mit seinen Ad-hoc-Entschei- dungen vor allem an der Politik der Nachbarstaaten. Als Hauptakteur bei der Aufnahme von Flüchtlingen kann dabei die Bevölkerung Liechtensteins angesehen werden. 
drohung wahrgenommen und zum Politikum hochstili- siert. Das Frauenstimmrecht wurde schlussendlich 1984 trotz dieser Bedenken angenommen. Seitdem fand ein weiterer, stetiger Wandel statt, bis hin zur heutigen bür- gerrechtlichen Gleichstellung von Frau und Mann. Das Fremdheitsbild bezüglich der Heiratsmigration wurde in den 1950er- und 1960er-Jahren insbesondere durch die Behörden und Verbände geprägt. Erst mit der Debatte zum Frauenstimmrecht gelangte die Diskussion in die breite Bevölkerung und erhöhte dadurch deren Einfluss. Die Dynamik bezüglich der bestehenden Dif- ferenz zwischen der das Frauenstimmrecht befürwor- tenden politischen Elite und dem ablehnenden männ- lichen Stimmvolk scheint dabei symptomatisch. So passte die politische Elite ihre Vorlagen zum Frauenstimmrecht durch inhaltliche Zugeständnisse auf Kosten der einge- heirateten Frauen an die Präferenzen der männlichen Bevölkerung 
an. Italienische Arbeitsmaschinen Bei der zweiten betrachteten Form, der 
Arbeitsmigration, fokussiert sich Martina Sochin D’Elia auf die Gruppe der italienischen Gastarbeiter. Diese wurden vor allem in den 1960er- und 1970er-Jahren nach Liechtenstein ge- holt. Im Kontext des mit inländischen Arbeitern allein nicht zu bewältigenden Wirtschaftsaufschwungs dienten sie als Konjunkturpuffer, ohne das Bedürfnis, sie in die Gesellschaft zu integrieren. Sie sollten fremd bleiben und nach getaner Arbeit wieder in ihr Herkunftsland zurück- kehren, weshalb etwa der Familiennachzug stets sehr restriktiven Bestimmungen unterlag. So musste etwa ein Saisonnier in den 1970ern über elf Jahre lang arbeiten ehe seine Familie zuziehen konnte. Die im Rahmen von Kontingenten nach Liechtenstein geholten Arbeitskräfte wurden somit hauptsächlich als steuerbare Arbeitsmasse gesehen, die zur Glättung der konjunkturellen Schwan- kungen diente. Einzig die kirchliche Betreuung wurde ihnen im Sinne katholischer Wertvorstellungen als parti- zipatives Element von Seiten der Behörden zugestanden. Bei der «Bestellung» von italienischen Saisonarbeitern standen sich grundsätzlich zwei Positionen gegenüber: die industriellen Verbände, die zur Unterstützung des Aufschwungs auf ausländische Arbeitskräfte angewie- sen war, sowie die Verweigerung gesellschaftlicher In- Kapitel_7_Rezensionen.indd   17411.06.13   15:49
	        

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