Volltext: Jahrbuch (2013) (112)

142Schremser Jürgen: «I like Gerard» oder «Freddy for 
ever» 
als Sittenverfall und Traditionsverlust durch Konsum und wachsende Aussenkontakte diskreditiert worden war, nahm allmählich den Geschmack und die Farben eines guten, ja eines verlockend anderen Lebens an. In schriftlichen Quellen der 1960er und frühen 1970er Jahre artikulieren sich Wahrnehmungen der eigenen Lebens- möglichkeiten in Liechtenstein, in denen der örtliche Lebensraum wenig heimelige Konturen erhält und das Verhältnis zu diesem überdacht wird. Der anfangs so en- gagierte Schülerzeitungsmacher Hilmar Stetter schrieb in seinem Abschiedseditorial 
1968: «Jeder kann doch seine meinung selbst in die hand nehmen, kann modern, kritisch und progressiv denken. Diese allgemeinheit habe ich gesucht und nicht gefunden. «Wir» versank in der pro- vinz, in der lethargie des unwichtigen alltags. Nicht die lösung von aussen, sondern eigene vorschläge sind wichtig und zählen.»116 Das Empfinden provinzieller Enge und Trägheit im Schlusswort eines angehenden Maturanten äussert sich hier weniger als Langeweile, denn als ein desillusio- niertes Engagement, das den Lebens- und Handlungs- spielraum Liechtenstein Ende der 1960er kulturell und politisch zur Debatte stellte. Die Frage nach der Zukunft und nach dem Zeitgemässen angesichts einer verän- derten Jugend trieb auch die Parteien und das lokale Es- tablishment 
um: Heute gilt es eine neue Welt zu bauen. Der Blick des neuzeit- lichen Menschen und besonders der Jugend ist auf die Zukunft gerichtet. Die Tätigkeit unseres Historischen Vereins aber ist der Vergangenheit verhaftet. Und es stellt sich die Frage: Ist unser Tun noch zeitgemäss?117 Nach den Potentialen im kleinen Raum fragte auch der ehemalige Regierungschef Gerard Batliner und rief Anfang der 1970er Jahre zum «Nachdenken über Liechtenstein»118 auf. Mit der von ihm initiierten Reihe «Liechtenstein Politische Schriften» wurde 1972 ein neues Forum für  einen Patriotismus mit intellektuellen Mitteln eröffnet. «Was bedeutet mir Liechtenstein?» und «Was könnte Liechtenstein sein?» titelten die Fragen an die Auto- rinnen und Autoren von Band 3 der Schriftenreihe. Hier äusserten sich, für das Land damals noch ungewöhnlich, nicht nur männliche Beiträger, sondern auch Frauen, Schüler und Ausländer. Für einige der Beitragenden hatte Liechtenstein in seiner unbewaffneten Kleinstaat- 
leben neuer Konfliktsituationen und im auslandserfah- renen Vergleichen entstand auch ein anderes Gefühl und Bewusstsein für die Zufälligkeit und Veränderlich- keit der lokalen «condition humaine». Bildhaft gespro- chen: Nach einer langen Phase der bäuerlichen Bindung an «Sippe», «Scholle» und Dorf und einer diesbezüg- lichen Verwurzelungssehnsucht in der Volkstumsideo- logie unter Alexander Frick sind die liechtensteinischen Lebensgewohnheiten in den 1960ern in eine fühlbare Schwebe versetzt worden. Insbesondere für Jugendliche. Das, was noch wenige Jahre zuvor von autorisierter Seite «Swinging London», Cartoon zum pop-report von Peter Goop in der Schülerzeitung wir Nr. 18/1967. Kapitel_5_Schremser.indd   14211.06.13   15:48
	        

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