Volltext: Jahrbuch (2013) (112)

132Schremser Jürgen: «I like Gerard» oder «Freddy for 
ever» 
Urbane Signale am Land: Protestkundgebung und Neubau des Gymnasiums Der zuversichtliche Anspruch auf eine gesellschaftliche Modernisierung am Land lässt sich auch in einer zwei- ten Untersuchungsperspektive zum kulturellen Wandel nachvollziehen. Hierbei sind zwei «Erinnerungsorte»60 hervorzuheben: zum einen zwei Protestkundgebungen im Vaduzer Städtli im Februar und März 1971, getragen von jugendlichen Befürworter/innen des Frauenstimm- rechts, nachdem dessen Einführung in der Volksabstim- mung vom 26./28. Februar mit knappem Männer-Mehr61 abgelehnt worden war. Als zweiter, auch physisch ma- nifester Erinnerungsort ist der Neubau des Liechtenstei- nischen Gymnasiums (im Folgenden: LG, d. Verf.) be- merkenswert, vom Wettbewerb 1968 bis zum Bezug des Gebäudes im Jahr 1972. Wie gelangten diese beiden «Orte» ins gesellschaftliche Bewusstsein? Was machte ihre Wirkung und Nachwirkung als Merkpunkte in der lokalen politischen Kultur aus? Die Verankerung beider Orte im Erinnerungsraum der liechtensteinischen Gesellschaft verdankt sich zu- nächst ihrer identitätsstiftenden Qualität für jeweils unterschiedliche soziale Träger bzw. Gruppen, die da- ran ihre Geschichtserzählungen knüpfen können. Zum einen die Schulleitungen des Collegium Marianum, das seit 1967 den Titel Liechtensteinisches Gymnasium führt und 1972 den bis heute existierenden Neubau bezogen hat. Zum anderen die liechtensteinischen Aktivistinnen und Aktivisten für das Frauenstimmrecht, deren öffent- liches Engagement Ende der 1960er, Anfang der 1970er Jahre den Beginn einer politischen Selbstbewusstwer- dung von Frauen in einer traditionellen Männergesell- schaft einläutete. Was aber die Nachwirkung, die besondere emotio- nale und assoziative Qualität der beiden Ereigniskom- plexe «Protestkundgebungen» und «Neubau» ausmacht, ist mit ihrer Beanspruchung für ein institutionelles oder politisches Funktionsgedächtnis62 
nicht erklärt. Ihre Sym- bolkraft gewinnen die beiden «Orte» als Bruchstellen ge- genüber bis dahin Üblichem und Geltendem. Sowohl die Protestkundgebungen für das Frauen- stimmrecht als auch der Gymnasiums-Neubau waren bereits in ihrer zeitgenössischen Wahrnehmung bedeu- tungs- und symbolgeladene Zäsuren. Dies freilich in un- terschiedlicher Weise: 
fentlicher Bauherr förderte wiederum der Staat moderne Architektur in Schulhäusern und propagierte «zeitgemäs- se Wohntypen».55 Als Vorreiter einer Modernisierung des Geschmacksempfindens wirkten im katholischen Liechtenstein nicht zuletzt die Neubauten und Reno- vationen von Kapellen und Kirchen in den 1960er bis 1970er Jahren.56 Und schliesslich wurde auch das lokale Sprechtheater zu einem Versuchsfeld eines inhaltlich wie formal erneuerten Bühnengeschehens. Als Schrittma- cher hierhin erwiesen sich das Jungmannschaftstheater Schellenberg und das mit diesem personell verflochtene Kabarett Kaktus. Während man am Schellenberg bereits in den 1950er Jahren ein «Volkstheater der Gegenwart» anstrebte und diese Ansage auch in pointierten Plaka- ten des Junggrafikers Louis Jäger unterstrich,57 
galt auch für ein breiteres Publikum im Laufe der 1960er, dass die «Jahre der aufgeklebten Bärte»58 vorbei waren. Die Suche nach einer festen Kleintheaterbühne mündete letztlich in die künstlerische Adaptierung und Umbenennung des ehemaligen Schaaner Vereinshauses in «Theater am Kirch- platz», in dem 1970 das Kabarett Kaktus sein letztes Pro- gramm «Ob Schwarz, ob Rot oder Grün» zum Besten gab. Jene Kunstform aber, die wie wenig andere grenz- überschreitend wirkte und auch Landeskinder an den Popularmythen des 20. Jahrhunderts teilnehmen liess, war der Film. Er fand – unter den Vorzeichen des Ju- gendschutzes59 – in mehreren Kinos der Region seinen Weg zum Publikum. «Ob Schwarz, ob Rot oder Grün», Kabarett Kaktus 1970, Schreber- gärtner-Nummer. Von links: Josef Biedermann, Susanna Kranz, Hansrudi Sele. Kapitel_5_Schremser.indd   13211.06.13   15:47
	        

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