Volltext: Jahrbuch (2013) (112)

126Schremser Jürgen: «I like Gerard» oder «Freddy for 
ever» 
Am Beispiel Liechtenstein lässt sich zeigen, dass die Er- wartung eines typischen «cultural lag», eines verzöger- ten regionalen Nachvollzugs städtischer Entwicklungen, für die Beschreibung der kulturellen Situation in einer deutschsprachigen «Provinz» der 1960er Jahre zu kurz greift: Wieso sollte etwa ein universitär geprägter Pro- test als Modell taugen für Konfliktlinien in einem Land ohne Universitäten und ohne eine geschichtsmächtige bürgerlich-liberale Tradition? In Bezug auf Liechtenstein müssen auch die Vorstellungen von «Provinz» und kul- tureller «Peripherie» verfeinert werden. Hinsichtlich der Einbettung des Landes in übergreifende Entwicklungen können dabei zwei besondere Umstände im Vergleich zu anderen ländlichen Regionen in Rechnung gestellt werden: Einerseits: Der ländliche Kleinstaat der ersten Nach- kriegsjahrzehnte – wir sprechen von 160 km2 
und ei- ner Einwohnerschaft von rund 21’000 Personen im Jahr 196816 – ist ein politisch-rechtlich integriertes natio- nales Wirtschaftsgebiet mit einem beachtlichen Tempo und Durchsetzungsgrad der ökonomisch-technischen Modernisierung. In einzelnen Eckdaten des Struktur- wandels, etwa bei der Automobilisierung, der Industri- alisierung oder der Wertschöpfung übertrifft das liech- tensteinische Wachstum in den 1960er bis 1970er Jahren die Vergleichsdaten des Zollvertragspartners Schweiz.17 Auch die kommunikative Infrastruktur und die mediale Versorgung des Landes ziehen mit der internationalen Einbettung der Finanzdienstleistungen und der Industrie mit.18 Zugleich ist mit der liechtensteinischen Staatlichkeit auf kleinstem Raum eine zentrale institutionelle Aktions- ebene mit ins kommunale Geschehen geschoben. Liech- tenstein ist ein Staat der Gemeinden. Sie sind die einzige nachgeordnete föderative und administrative Struktur, was im Unterschied zu vergleichbaren ländlichen Regi- onen (etwa Vorarlberg, Sankt Galler Rheintal) viel un- mittelbarer Agenden der zentralen Gesetzgebung und Massnahmenplanung sowie aussenpolitische Repräsen- tationsbedürfnisse und Vernetzungen ins Dorfleben ein- führt. Vor allem in jenes des Hauptortes Vaduz. Andererseits ist die liechtensteinische Modernisierung bis heute von spezifischen Trägheitsmomenten und Ver- zögerungen in der öffentlichen Kultur und Machtvertei- 
in den weniger auffälligen und erforschungsbedürftigen Verschiebungen von Ausdrucksformen und Moderni- tätsaneignungen in den örtlichen Milieus. Die vorliegende Studie ist eine erste Annäherung an die Beschreibung kultureller15 
Veränderungen nach 1945 am Beispiel Liechtenstein. In ihr werden Untersuchungs- zugänge eröffnet und mögliche Fragestellungen erkun- det, die vorhandene Literatur und einschlägige Quellen verzeichnet. Für die Darlegung im Text, der ursprünglich als Beitrag für eine interregionale Geschichtstagung ent- standen ist, wurde der folgende Aufbau gewählt: Um den kulturellen Aufbruch seit den späten 1960er Jahren in sei- ner lokalen Ausprägung und in seiner Vergleichbarkeit mit der deutschsprachigen Nachbarschaft zu diskutieren, wird zunächst auf die Besonderheiten der liechtenstei- nischen «Provinz» als Anknüpfungspunkt für historische Regional-Vergleiche eingegangen. Im Anschluss daran skizziert der Verfasser im Sinne eines Forschungszwi- schenberichts drei Untersuchungsperspektiven zum Ge- genstandsbereich der liechtensteinischen Kultur- und Mentalitätsgeschichte während der 1960er Jahre, um- reisst erste Erkenntnisse in diesen Bereichen und gibt Hinweise auf die Quellenlage. Die Studie schliesst mit einem kultur- und mentalitätshistorischen 
Resümee.Gegenstand 
«nationalstaatliche Provinz Liechtenstein» Kapitel_5_Schremser.indd   12611.06.13   15:47
	        

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