Volltext: Jahrbuch (2013) (112)

100Biedermann Klaus: Auf Arbeit in Oberschwaben und in 
Vorarlberg 
Der Titel dieses Beitrags lautet «Auf Arbeit in Oberschwa- ben und in Vorarlberg – Zum Schicksal von Mägden und Knechten aus liechtensteinischen Unterschichtfamilien».1 Bevor etwas über einzelne betroffene Personen und ihre Lebenswege gesagt wird, gibt es eine Einführung zum Thema mit einigen Anmerkungen über Liechtenstein im 19. Jahrhundert. Daran anknüpfend folgen Erläuterungen zur sehr restriktiven Einbürgerungspraxis und zur damit verbundenen Gesetzgebung. Diese restriktive Praxis, die einige Unterschicht-Familien von den Nutzungsrechten in ihren Wohngemeinden ausschloss, führte dazu, dass viele ihrer Angehörigen im Ausland Arbeit suchen muss- ten. Es folgen dann einzelne Fallbeispiele von Personen, die als Mägde und Knechte in Oberschwaben und in Vorarlberg tätig waren. Diese Personen werden – so- weit möglich – in den Kontext ihrer Herkunftsfamilien gestellt. Über den Alltag dieser Menschen schweigen sich die Quellen weitgehend aus. Die hier vorgestellten Mägde, Knechte sowie ein jugendlicher Fabrikarbeiter tauchen in der Regel erst dann in den Akten auf, wenn sie mit dem Gesetz in Konflikt gerieten. Diese Gerichtsakten aus dem Liechtensteinischen Landesarchiv erlauben aber spannende Rückschlüsse auf das Leben und Schicksal dieser Menschen. Zuerst folgen aber nun ein paar An- merkungen über Liechtenstein im 19. Jahrhundert. Der von 1809 bis 1827 amtierende Landvogt Josef Schuppler sagte einmal, Liechtenstein sei «das ärmste Land, das es in der Welt geben mag».2 
Schuppler machte diese Äusserung bei seinem Amtsantritt in Vaduz, im Jahr 1809. Diese Bemerkung des Landvogts Schupp- ler mag etwas übertrieben sein, aber sie enthält doch einiges an Wahrheit: Liechtenstein war damals ein armer Agrarstaat, mit elf Dorfgenossenschaften, aus denen im Jahr 1809 die heutigen politischen Gemeinden wurden. Es gab auch keine Ortschaft mit Stadtrecht. Der Boden vermochte die Bevölkerung nur knapp zu ernähren. Die landwirtschaftlich nutzbare Talebene wurde immer wie- der vom Rhein überschwemmt.3 Die liechtensteinische Wohnbevölkerung betrug um das Jahr 1800 rund 4’500 Personen. Die Bevölkerung wuchs in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts markant, sie belief sich um 1850 auf 7’400 Personen. In der zwei- ten Hälfte des 19. Jahrhunderts hingegen stagnierte die Bevölkerungszahl. Neben den Hungersnöten von 1817 und 1846 beeinflusste auch die ab 1843 de facto erlaubte Auswanderung die 
Bevölkerungsentwicklung.4Die 
Gemeinden waren für verarmte Bürger zuständig Seit der frühen Neuzeit war die Armenfürsorge Aufgabe der Dorfgenossenschaften beziehungsweise der späteren politischen Gemeinden. Deckungsgleich mit einem Be- schluss der Schweizerischen Tagsatzung von 15515 heisst es im Vaduzer Landsbrauch von 1667: «Es sollen auch commun, gemeindt und dörfer ihre armen leuth selbsten erhalten, damit andere leuth mit ihnen nit beschwärt werden».6 Konkret mussten die Gemeinden für ihre Ge- meindebürger aufkommen, wenn diese verarmten. Das Gemeindegesetz von 1864 bestätigte, dass bedürftige Ge- meindebürger in Liechtenstein Anspruch auf Unterstüt- zung durch die Gemeinde hatten.7 In den Gemeinden waren Neubürger solange will- kommen, als es genügend Platz für alle gab. In Zeiten von wirtschaftlichen Krisen und von starkem Bevölke- rungswachstum sperrten sich die Gemeinden jedoch immer mehr gegen die Aufnahme von zusätzlichen Per- sonen als Bürger. Da in Liechtenstein im 18. Jahrhundert ein deutliches Bevölkerungswachstum zu verzeichnen war, erhöhten die einzelnen Gemeinden die Gebühren für die Aufnahme neuer Bürger laufend. So verlangten Schaan und Vaduz gegen Ende des 18. Jahrhunderts Ein- kaufsgelder in Höhe von sogar 700 Gulden.8 Diese kaum bezahlbare Summe von 700 Gulden entsprach damals dem Wert von zwei Wohnhäusern. In Triesen wurde zum Beispiel im Jahr 1777 der durchschnittliche Wert eines Hauses auf 300 Gulden 
geschätzt.9 Zum Gemeindegesetz von 1842 In Fragen der Verleihung von Bürgerrechten war der liechtensteinische Staat im 19. Jahrhundert indes offener als die Gemeinden. Es war auch der Staat, der versuchte, die Einbürgerungsfragen auf nationaler Ebene zu regeln. Ein erstes Freizügigkeitsgesetz von 1810, das allen Staats- angehörigen das freie Niederlassungsrecht in einer an- deren Gemeinde gewährte, scheiterte in der Praxis am Widerstand der Gemeinden.10 Das Gemeindegesetz von 1842 akzeptierte dann zwar das Recht der Gemeinden, selbst über die Neuaufnahme von Bürgern zu entschei- den, aber es gab andererseits dem Staat eine gewisse Handhabe, die Gemeinden zur Aufnahme von Bürgern Kapitel_3_Biedermann.indd   10011.06.13   15:45
	        

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