Volltext: Jahrbuch (2012) (111)

44Schindling Anton: Karl VI. und das Heilige Römische Reich deutscher Nation im Jahr 
1712 
Ihr Auftakt war 1711 die Rückkehr des Erzherzogs Karl, des künftigen Kaisers Karl VI., ins Reich. Sein älterer Bru- der Joseph I. war plötzlich in Wien verstorben. Damals verliess Erzherzog Karl das spanische Barcelona und Ka- talonien, von wo aus er vergeblich versucht hatte, sich als König Karl III. von Spanien in dem iberischen Kö- nigreich zu etablieren. Nach seiner Rückkehr ins Heilige Römische Reich, in die Habsburgerresidenz Wien und die Stadt von Wahl und Krönung der Kaiser, Frankfurt am Main, sollte Karl das von ihm geliebte Spanien nicht mehr wieder sehen. Auch seine Ehefrau Elisabeth Chri- stine, eine geborene Welfenprinzessin aus dem Haus Braunschweig-Wolfenbüttel, die Karl zunächst in Bar- celona als Statthalterin zurückliess, musste ihm im Jahr 1713 folgen und kehrte jetzt als Kaiserin in das Reich zurück. Die grossen europäischen Dynastien und ihre Erb- schaftsfragen bestimmten die Schicksale der Länder und Völker in keiner Epoche so ausschliesslich wie auf dem Höhepunkt des Zeitalters, das wir üblicherweise mit der monarchischen Herrschaftsweise des Absolutismus und dem Stil des Barock als dominierenden Phänomenen be- nennen. Da der absolut regierende Fürst als Träger der Souveränität ins Zentrum des staatlichen Lebens und der Legitimation staatlicher Gewalt getreten war, kam den Problemen der Herrschaftsübertragung eine Schlüssel- rolle zu – und dies war in den meisten Reichen Europas die Vererbung nach Erstgeburtsrecht innerhalb der regie- renden Herrscherfamilie. Der Erbmonarch galt der abso- lutistischen Staatstheorie als der Idealfall. Nur er schien Kontinuität und Durchsetzungskraft des weltlichen Re- giments zu garantieren. Die wenigen Wahlmonarchien und Republiken Europas wurden für eher schwach an- gesehen. Selbst solche Staatswesen mit republikanischen Wahlämtern – wie die Republik Venedig, die Republik der Vereinigten Niederlande und die polnisch-litauische Rzeczpospolita – hatten monarchische Verfassungsele- mente mit Dogen, Statthaltern und Wahlkönigen. Auch die vornehmste Monarchie der Christenheit, das Kaiser- tum des Heiligen Römischen Reichs, war eine Wahlmo- narchie. Die Stärke und Durchsetzungskraft des Kaiser- amts hing nicht an der verfassungsrechtlichen und sym- bolischen Position des Reichsoberhaupts, sondern vor allem an der Hausmacht des jeweiligen Trägers der Kai- serkrone. Die mächtigste fürstliche Dynastie des Reichs, die Familie der Habsburger, konnte deshalb im Jahr 1712 
Der Kauf der Grafschaft Vaduz durch das Haus Liech- tenstein im Jahr 1712 fällt in Schicksalsjahre der Kaiser- dynastie Habsburg, Österreichs, des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation und Europas. Es waren die Entscheidungsjahre eines grossen europäischen Kriegs, des Spanischen Erbfolgekriegs, eine Phase der Wei- chenstellungen und neuen Orientierungen. Die grossen Mächte der christlichen Staatenwelt positionierten sich neu, um in einem allgemeinen europäischen Frieden ein neues Verhältnis zueinander zu finden. Die Eckdaten waren: der Tod Kaiser Josephs I. im Jahr 1711, der Frie- den von Utrecht im Jahr 1713 und im gleichen Jahr die Pragmatische Sanktion Kaiser Karls VI. als neues Haus- gesetz für das Haus Habsburg. Nach diesen Ereignissen waren Österreich, das Reich und Europa verändert. Eine neue Periode begann. Kaiser Joseph I. Kapitel_2_Schindling.indd   4422.10.12   12:31
	        

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