Volltext: Jahrbuch (2012) (111)

30Frommelt Fabian: Der Kauf der Grafschaft Vaduz am 22. Februar 
1712 
Am Beispiel der 200-Jahr-Feier von 1912 werden im Fol- genden zunächst einige Elemente und Ausdrucksformen dieses obrigkeitlichen Geschichtsbildes aufgezeigt, er- gänzt durch knappe, exemplarische Hinweise auf Ge- schichts- und Schulbücher. Anschliessend wird der Frage nachgegangen, inwiefern die Vaduz-Schellenberger Kauferzählung in der geschilderten Form Merkmalen und Erscheinungsformen eines Nationalmythos ent- spricht und welche Funktionen einem politischen My- thos gemeinhin beigemessen 
werden. Geschichtsvermittlung an der 200-Jahr-Feier 1912 sowie in Geschichts- und Schulbüchern: Beispiele und Grundelemente Die 200-Jahr-Feier von 191296 begann am Sonntag, dem 7. Juli morgens früh um 8 Uhr mit einem vom Churer Bischof Georg Schmid von Grüneck (1851–1932) zelebrierten Pontifikalamt. «In dessen Verlaufe», so be- richtete das Liechtensteiner Volksblatt, hielt der Vaduzer Pfarrer Johannes Fidelis De Florin (1856–1932) «eine die Bedeutung des Festes erläuternde Ansprache [...], die [...] die Vorsehung Gottes pries, durch welche die früher in den armseligsten Verhältnissen darbenden Herrschaften Schellenberg und Vaduz an das ruhmreiche Geschlecht der Fürsten von Liechtenstein kamen, unter dem sie in materieller und kultureller Hinsicht nach und nach einen großen Aufschwung nahmen ...».97 Wegen schlechten Wetters konnten die Feierlich- keiten erst am 14. Juli fortgesetzt werden: Ein histo- rischer Festzug mit Musik, Fahnen und Kostümen begab sich vom Regierungsgebäude zum Gasthof «Löwen» und weiter zum Festplatz auf der Wiese nördlich von Schloss Vaduz (Quadretscha). Dort wurde vor 6’000–7’000 Fest- besuchern das von Kanonikus Johann Baptist Büchel (1853–1927) gedichtete «Weihelied zur Zweihundert- jahrfeier 1912» vorgetragen.98 Das Weihelied schildert die Heimat Liechtenstein als Hort von Glück und Frieden. Die in Strophe 3 genannten «bösen Tage» bezogen sich zweifellos auf die Hohenem- ser Herrschaft, gegen die sich die Vorfahren mutig zur Wehr setzten. Dass Johann Baptist Büchel damit auch den heftigen Widerstand der Bevölkerung gegen die Re- formen Fürst Anton Florians von Liechtenstein gemeint haben könnte, ist nicht anzunehmen. Diese Konflikte werden ausgeblendet mit dem Hinweis in Strophe 4, dass die Fürstenherrschaft «immerdar», also seit Beginn, 
träglich den Verkauf und den Übergang an eine neue Herrschaft anzuerkennen. Im Gegenzug sicherte ihnen die Obrigkeit Schutz und Schirm und die Wahrung der alten Rechte zu: Hierin zeigt sich die Huldigung als ein zweiseitiger Akt, der Vertragscharakter hatte. Durch die Androhung einer Huldigungsverweigerung konnten die Vaduzer 1712 wie schon die Schellenberger 1699 ge- wisse Zusagen und Versprechungen erreichen, deren Wert sich aber erst im Nachhinein erweisen musste.88 Nach dem Übergang von Vaduz und Schellenberg an Fürst Anton Florian 1718 war eine erneute Huldigung fällig. Wiederum forderte Basil Hoop in einer Rede die Einhaltung der alten Rechte und Gewohnheiten sowie die «Abwend- und Steuerung einer (sic) einige Zeit hero eingeschlichener Fehler und Novitäten [Neuerungen]».89 Diese Forderung weist auf Konflikte zwischen den Un- tertanen und dem Fürsten hin. Als Anton Florian ein Jahr später – entgegen den bei den Huldigungen von 1699, 1712 und 1718 abgegebenen Versprechen – mit seiner Dienstinstruktion vom 10. April 1719 die landschaft- lichen Rechte beseitigte,90 
sich wegen dem Novalzehnten mit der Geistlichkeit anlegte und Güter beanspruchte, die die Untertanen den Grafen von Hohenems abgekauft hatten, musste 1721 erneut eine kaiserliche Kommission in Liechtenstein vermitteln. Zu den Gemeindeausschüs- sen gehörte auch der nun 71-jährige Basil Hoop.91 Wenig später, 1722, starb Hoop in 
Balzers. Die Erzählung vom Kauf der Grafschaft Vaduz – ein liechtensteinischer Nationalmythos? Die Geschichte vom Kauf der Grafschaft Vaduz wurde schon oft erzählt. Die frühe Darstellung im Geschichts- buch von Peter Kaiser (1847)92 betont die Sicht der Un- tertanen und Landschaften und wurde deshalb im ersten Teil dieses Beitrags als «bürgerliches» Identifikationsan- gebot bezeichnet. Neben sie gesellte sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine stärker auf die fürstliche Obrigkeit fokussierende Erzählung.93 Letztere prägte auch die beiden ersten Gedenkfeiern, die aus Anlass des Kaufs von Schellenberg und Vaduz abgehalten wurden: Die 200-Jahr-Feier in Schellenberg 1899 und die 200-Jahr-Feier in Vaduz 1912.94 Beide Feiern haben zur Popularisierung eines obrigkeitlichen Geschichtsbilds beigetragen, das über weite Strecken des 20. Jahrhunderts vorherrschte.95 Kapitel_1_Frommelt.indd   3022.10.12   13:20
	        

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