Volltext: Jahrbuch (2012) (111)

184Haupt Herbert: Ein Herr von Stand und 
Würde 
stein führen. Beides war ein in den böhmischen und ös- terreichischen Ländern im 16./17. Jahrhundert einzigar- tiger Fall. Diesem ersten mährischen Fürstentum Liech- tenstein war freilich nur die kurze Lebensdauer von 14 Jahren beschieden.33 1647 trat Fürst Gundaker von Liechtenstein die von den Schweden schwer verwüstete Stadt Mährisch Kromau an seinen jüngeren Sohn, Fürst Ferdinand Johann (1622–1666), ab. Wenn auch nur Epi- sode geblieben, so ist die Entstehung des südmährischen (Titular-)Fürstentums Liechtenstein doch ein beredtes Zeichen für den Geltungsanspruch und das Repräsenta- tionsstreben der Familie Liechtenstein im Kampf um die Vorrangstellung vor den rivalisierenden Neufürsten. Den Eifer und das Engagement, das Fürst Gundaker in Sachen Reichsstandschaft an den Tag legte, vermisste er bei seinem Neffen und Regierer des Hauses Liechten- stein, Fürst Karl Eusebius. Am Regensburger Reichstag von 1653/1654 erlangten zwar die Fürsten von Eggen- berg, Lobkowitz, Dietrichstein, Piccolomini und Auer- sperg Sitz und Stimme auf der Reichsfürstenbank, das Haus Liechtenstein hingegen war leer ausgegangen. Fürst Gundaker erhob schwere Vorwürfe gegen Karl Eusebius. Er warf ihm mangelnden Einsatz und Nach- lässigkeit zum Schaden der gesamten Familie vor.34 
Tat- sächlich befand sich Karl Eusebius zu dieser Zeit in einer schwierigen Lage. Er hoffte noch immer auf einen Sohn und männlichen Erben und sah sich zudem mit Besitz- streitigkeiten mit dem Kurfürsten von Brandenburg wegen des Herzogtums Jägerndorf konfrontiert.35 Karl Eusebius war sich der Notwendigkeit von Kauf oder zu- mindest der Anwartschaft auf reichsunmittelbaren Besitz selbstverständlich bewusst. Er selbst hatte in bemerkens- werter Hartnäckigkeit mehr als drei Jahre lang um die Hand der Pfalzgräfin Anna Maria bei Rhein (1621–1651) angehalten. Die Verbindung scheiterte letztendlich am konfessionellen Gegensatz. Anna Maria, die Tochter des überzeugten Lutheraners Pfalzgraf August bei Rhein (1582–1632) ehelichte nicht den katholischen Liech- tenstein, sondern Graf Joachim Ernst (1612–1659) aus der evangelischen Linie Oettingen-Oettingen.36 Chro- nischer Geldmangel liessen seit den Sechzigerjahren des 17. Jahrhunderts bei Fürst Karl Eusebius erst gar kein Be- mühen aufkommen, nach zum Kauf angebotenen reichs- unmittelbaren Herrschaften Ausschau zu halten. So blieb nur die Hoffnung durch Verheiratung der Kinder Zugang zur Reichsunmittelbarkeit zu erhalten. Das Ziel 
Die folgenden Zeilen verstehen sich als ergänzende An- merkungen zur reichen Literatur über den Erwerb der Herrschaften Schellenberg und Vaduz in den Jahren 1699 und 1712.30 Die aussergewöhnlich einflussreiche Position, die Karl I. von Liechtenstein (1569–1627) als erster Fürst des Hauses in seinen Eigenschaften als kaiserlicher Oberst- hofmeister und später als Vizekönig von Böhmen in der kaiserlichen Politik innegehabt hatte, fand ihre Entspre- chung in der gesellschaftlichen Position der Familie. Die Fürsten von Liechtenstein nahmen unter den vom Kaiser direkt ernannten «Neufürsten» unbestritten den ersten Platz ein. Dass sich dies im Verlaufe des 17. Jahrhunderts deutlich änderte, war eine Folge des Bemühens aller Neufürsten nach Sitz und Stimme («votum et sessio») auf der Reichsfürstenbank in Regensburg. Nur so konnte die angestrebte gesellschaftspolitische Gleichstellung mit den alten Fürstenhäusern erreicht werden. Tatsächlich gelang dies nur 19 von den etwa 160 neufürstlichen Häu- sern. Die grösste Hürde für die Aufnahme in der Reichs- fürstenbank war der bindend notwendige Nachweis eines fürstenmässigen reichsunmittelbaren Territori- ums.31 
Als reichsunmittelbar wurden jene Reichsgebiete bezeichnet, die keiner anderen Herrschaft unterstanden, sondern direkt und unmittelbar, lateinisch: immediat, dem Kaiser untergeben waren. Bei den darum im Wett- streit liegenden Familien wechselten Erfolge und Misser- folge einander ab. Tatsache ist, dass die fürstliche Familie Liechtenstein ab der Mitte des 17. Jahrhunderts sukzes- sive hinter die rivalisierenden Fürsten von Eggenberg, Lobkowitz, Dietrichstein, Waldstein und Schwarzen- berg zurückfielen. Der dadurch drohende gesellschaft- liche Abstieg liess in besonderer Weise den Hofmeister dreier Kaiser, Fürst Gundaker von Liechtenstein (1580– 1658),32 im Sinne der Gesamtfamilie aktiv werden. Sein stetes Bemühen um die Rangerhöhung der mährischen Besitzungen war schliesslich von Erfolg gekrönt: Kaiser Ferdinand II. (1578–1637) erhob in seiner Eigenschaft als König von Böhmen und Markgraf von Mähren die liechtensteinischen Herrschaften Mährisch Kromau (Mo- ravský Krumlov) und Ungarisch Ostra (Uherský Ostroh) am 20. Dezember 1633 zu einem (Titular-)Fürstentum, das den Namen der fürstlichen Familie Liechtenstein erhielt. Auch der Hauptort dieses ersten Fürstentums Liechtenstein, die nahe Znaim gelegene Stadt Mährisch Kromau, sollte von nun an offiziell den Namen Liechten- Kapitel_8_Haupt.indd   18422.10.12   12:53
	        

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