Volltext: Jahrbuch (2012) (111)

152Vogt Paul: «Das Band weben, welches Fürst und Volk enger 
verbindet» 
gestorben war, da seit 1860 in Liechtenstein keine Trach- ten mehr getragen wurden.94 Seit dem Regierungsantritt von Fürst Franz I. wurden die Trachten wieder gepflegt und bei vielen Feierlichkeiten getragen. Auch Fürstin Elsa zeigte sich gerne in einer Tracht und demonstrierte damit ihre Volksverbundenheit. Unter dem Stichwort Traditionalismus sei noch ein kleiner Exkurs in die liechtensteinische Heimatdichtung gestattet. Zwischen zirka 1890 und 1940 entstanden zahl- reiche Heimatlieder und -gedichte, die Liechtenstein als das glücklichste und friedlichste Land mit einer ein- zigartigen landschaftlichen Schönheit priesen. Sascha Buchbinder und Matthias Weishaupt analysierten das Thema «Alpenidylle» und kamen zu folgendem Schluss: «Die Schilderung landschaftlicher Idyllen dient dazu, Unveränderlichkeit über die Jahrhunderte hinweg zu il- lustrieren, indem sie in der Erzählung eine heimatliche, vertraute Kulisse bereitstellen. Bilder dieser Art entspre- chen der Funktionsweise einer imaginären Geschichte, die ihr Publikum narkotisiert, indem sie die historische Differenz bestreitet und suggeriert, Vergangenheit und Gegenwart seien eins, das Gewesene sei doch immer zu- gleich das Von-jeher-Gewesene.»95 Wie weit Realität, künstlerischer Anspruch und Idylle mitunter auseinanderklafften, zeigt das Beispiel Elias Wille.96 Er schrieb Heimatgedichte,97 die zum Teil im Volksblatt veröffentlicht wurden. 1902 verfasste er «Mein Liechtenstein!», von dem hier nur die letzte Stro- phe wiedergeben wird: «Dort wo am stillen Abend beim Aveglockenklang Ertönt im trauten Kreise melodischer Gesang, Wo schlägt das Herz in Liebe für Fürst und Vaterland: Zur Heimat uns erkoren hat Gottes weise Hand Dieses schöne Land im Alpenkranz am deutschen Rhein, Mein teures Vaterland, mein Liechtenstein.»98 Diese Dichtkunst war nicht nach jedermanns Geschmack. Jedenfalls veröffentlichte ein A.S. (Albert Schädler?) in der darauf folgenden Nummer des Volksblatts einen bösen ironischen Kommentar: «In letzter Nummer d. Bl[attes] hat ein patriotischer Dichter, oder eine dito fe- minini generis, des Vaterlandes Lob gesungen, was sehr brav ist, denn wenige Liechtensteiner dürfte es geben, denen nicht ihre Heimat lieb ist. Was aber da für Sachen 
es uns erhalten, Vorsehung, die es Dir heute anvertraut, Vorsehung wird auch die Zukunft leiten.»92 Daher sei der erste Dank immer Gott geschuldet. Der politische Ka- tholizismus sah eine wichtige Aufgabe in der geistigen Verteidigung der Heimat. Dazu nochmals Pfarrer From- melt an derselben Veranstaltung: «Christentum, Religio- sität, wenn das Ding echt, ist potenzierter Patriotismus, weil die Pflicht an die Heimat in den Kreis der höchsten Verantwortung miteinbezogen steht.» Die Geistlichen verkündeten diese Einstellung nicht nur in ihren Pre- digten, sondern übten über das Erziehungs- und Ver- einswesen auch grossen Einfluss auf die Werthaltung der Jugendlichen aus. Der dritte Faktor, der die liechtensteinische Mentali- tät prägte, war ein ausgeprägter Traditionalismus. Dies kam besonders im hohen Stellenwert, den man der Ge- schichte gab, zum Ausdruck. Die Geschichte gab dem Kleinstaat eine Berechtigung und einen Sinn. Bei ge- nauerem Hinsehen zeigt sich aber, dass es nicht wirklich um die Aufarbeitung von Geschichte ging, sondern um «Bilder von der Geschichte». Konflikte zwischen Fürst und Volk wurden negiert oder die Verantwortung dafür auf die Beamten abgeschoben, die zwischen Fürst und Volk standen. Geschichte wurde als Abfolge von edlen Fürsten gezeigt, alle ohne Fehl und Tadel. In ihren Regie- rungsantrittserklärungen wiesen die Fürsten immer auf ihre Vorgänger hin und dass sie deren Werk weiterfüh- ren wollten. Bruchlinien in der Entwicklung wurden bei staatlichen Feierlichkeiten ausgeklammert. Dort wurde Geschichte in verschiedenen Formen inszeniert: Zu- nächst einmal als historische Festspiele, die auf dem tra- ditionellen Huldigungsplatz mit den alten, imposanten Schlossmauern im Hintergrund inszeniert wurden. Dann an den Umzügen mit bunten Fahnen, Triumphbögen, Herolden und historischen Motiven. Fahnen waren an vaterländischen Anlässen in grosser Zahl zu sehen und hatten eine leicht erkennbare Symbolik: Rot stand für die Liebe, blau für die Treue. Wer Farbe zeigte, bekannte Farbe. Ein Beispiel für einen verklärten Traditionalismus ist der Militärveteranenverein: Dieser bestand aus den Militärveteranen, die beim Ausmarsch ins Südtirol 1866 dabei waren, und wurde von Fürst Johann II. gefördert. Der Verein war ein Relikt aus einer vermeintlich guten alten Zeit, wobei die vom Verein gepflegte Idylle nicht der historischen Realität entsprach.93 
Schliesslich sugge- rierten auch die Trachten eine Tradition, die längst aus- Kapitel_6_Vogt.indd   15222.10.12   12:40
	        

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