Volltext: Jahrbuch (2012) (111)

126Vogt Paul: «Das Band weben, welches Fürst und Volk enger 
verbindet» 
den unmittelbaren Kontakt zum Fürsten, sie wollten die persönliche Begegnung, sie wollten dessen Anteilnahme an ihrem Schicksal. Das hatte auch ein politische Kom- ponente: Sie wollten ihm ihre Probleme und Anliegen persönlich unterbreiten und hofften, damit mehr Ge- hör zu finden. Ohne direkten Kontakt zwischen Fürst und Volk blieben die Fürsten für die Untertanen vage, schwer fassbare Personen, von deren landesväterlicher Fürsorge sie zwar oft hörten, die sie aber nicht unmit- telbar erlebten. Die Bindung zwischen Landesvater und Untertanenkinder war schwach, sie beruhte nicht auf konkreten und persönlichen Erfahrungen, sondern auf einer christlichen, zum Teil auch staatsrechtlichen Herr- schaftslegitimation. Über die Gründe, warum nach 1722 keine Huldi- gungen mehr durchgeführt wurden, kann man nur Ver- mutungen anstellen: Der wichtigste Grund war wohl der, dass das kleine Fürstentum aus der Sicht der regierenden Fürsten nicht jenes Gewicht und jene Bedeutung hatte, die die Untertanen vermuteten. Eine Reise nach Vaduz war anstrengend, kostete Zeit und Geld und lohnte sich für den Fürsten einfach nicht. Ein anderer Grund mag sein, dass die Untertanen diese Gelegenheiten wohl ge- nutzt hätten, die Rückkehr zu den alten Rechten und neue Vergünstigungen zu verlangen. Auch für die ab- solutistisch regierenden Fürsten war es nicht leicht, den treu gehorsamst und untertänigst bittenden Untertanen Wünsche abzuschlagen, dies war für Beamte einfacher. Eine Konstante in der Geschichte der Beziehungen zwischen Volk und Fürst war bis 1921 die Schuldzuwei- sen an die fremden Beamten, die für alle Missstände im Lande verantwortlich gemacht wurden. Umgekehrt idea- lisierten die Untertanen die Rolle der Fürsten: Der Fürst war edel und gut, aber die Beamten informierten ihn falsch. Der Amtsbote Johann Rheinberger ermahnte in seinem politischen Tagebuch die Beamten: «Machet den edelsten und hochherzigsten Fürsten, der seinen Stolz darin setzt, seine Unterthanen unter seinem Scepter überglücklich zu wissen, nicht zum unwissenden Heuch- ler. Denn er lebt und stirbt in dem edlen Wahn, stets das Wohl seiner Unterthanen in dem Herzen getragen zu haben, während dem ihn dieselben durch eure Ver- anlassung eines an ihnen verübten Unrechtes beschul- digen.»11 
Diese vereinfachte, ja falsche Sichtweise hielt sich bis weit ins 20. Jahrhundert. Alexander Frick, an sich kein unkritischer Mensch, sagte dazu in seinem Fest- 
langte ein Sprecher der Landschaft die «Konfirmation» der alten Rechte, die ihnen auch bestätigt wurden. Darauf leisteten die Untertanen den Huldigungseid, der Schwur verlieh dem ganzen Akt eine religiöse Dimension. Abge- schlossen wurde die Huldigung mit weiteren Salven und schliesslich mit einem Fest: Die Beamten und Vertreter der Landschaften speisten auf Einladung der Herrschaft im Schloss, das Volk wurde draussen mit Wein und Brot verpflegt. Aus einem Verzeichnis von 1722 geht hervor, dass die «gemeinen Leüthe» nicht weniger als 1‘143 Mass Wein und 1‘210 Portionen Brot erhielten.10 
Das Essen und der Festcharakter waren wichtig, da damit die Frei- willigkeit oder zumindest die Einvernehmlichkeit des ganzen Vorgangs besiegelt wurde. Die Huldigung wurde damit zum unvergesslichen persönlichen Erlebnis. Die Huldigung war eine Pflicht und erfolgte nicht auf- grund eines freien individuellen Entscheids. Das bedeu- tet aber nicht, dass die Untertanen die Huldigung nicht gerne leisteten, sie war ja ein bedeutendes soziales Ereig- nis und ein Fest. Mit dem Huldigungszeremoniell wurde die geltende soziale und politische Ordnung bestätigt und erneuert. Eine Verweigerung oder massive Störung hätte diese Ordnung in Frage gestellt. Aufgrund ihres rituellen und religiösen Charakters hatten Huldigungen Bedeutung und Gewicht. Mit der theatralischen und volkstümlichen Inszenierung des Herrschaftsantritts des neuen Landesherrn wurde das an sich abstrakte Herr- schaftsverhältnis für jeden sinnlich erfahrbar gemacht. Der Vorgang wurde einerseits für jeden Beteiligten zu einem persönlichen Erlebnis, andererseits prägte sich die Huldigung als Gemeinschaftserlebnis im kollektiven Ge- dächtnis ein, was das Band zwischen Landesvater und Untertan erneuerte und stärkte. Die zentrale Bedeutung lag also in der Kommunikation des Herrschaftsverhält- nisses: Die Herrschaftsordnung wurde sichtbar darge- stellt, die ganze Sozialordnung beschworen, niemand konnte sich ausnehmen und sich diesem Akt entziehen. Wenn man den Huldigungen eine solche Bedeutung zumisst, stellt sich die Frage, wieso von 1722 bis 1929 – dem Regierungsantritt von Fürst Franz I. – keine Hul- digungen mehr stattfanden. Eines ist sicher: Die Unter- tanen hätten im 19. Jahrhundert gerne gehuldigt, es war aber zu ihrem Leidwesen nie ein Fürst anwesend, dem sie hätten huldigen können. Und einem Vertreter des Fürsten oder gar einem Bild des Fürsten zu huldigen, das war unvorstellbar geworden. Die Untertanen suchten Kapitel_6_Vogt.indd   12622.10.12   12:40
	        

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