Volltext: Jahrbuch (2012) (111)

106Haupt Herbert: Aufstieg und 
Konsolidierung 
Als Karl von Liechtenstein nach dem Tod seines On- kels Johann Septimius (1558–1596) 1596 im Alter von 27 Jahren das Seniorat der Familie übernahm, blickte er auf die für einen protestantischen Adeligen der Zeit typische Laufbahn zurück. Der Grundausbildung durch auserlesene Hauslehrer in Schloss Feldsberg, der Resi- denz seines Vaters Hartmann II. (1544–1585), folgte das Studium an der Akademie der mährischen Brüder in der nahe Brünn gelegenen Stadt Eibenschütz (Ivančice). In dieser damals weit über die Grenzen hinaus bekannten Schule – heute würden wir sie vielleicht auch als «Ka- derschmiede» bezeichnen – traf sich der protestantische junge Adel aus fast allen Teilen des Habsburgerreichs. Hier wurden Freundschaften fürs Leben geschlossen, hier wurde die Politik der protestantischen Stände der Zukunft grundgelegt. Gemeinsam mit Karl dem Älteren von Žierotín (1564–1636) besuchte Karl von Liechten- stein die Universität in Genf und schloss die Ausbildung mit einer ausgedehnten Kavalierstour ab, die ihn vorwie- gend nach Frankreich führte. Herkunft, Ausbildung und das schon früh erkennbare diplomatische Geschick liessen Karl von Liechtenstein die politische Laufbahn ergreifen. Die Doppelhochzeit Karls und seines um neun Jahre jüngeren Bruders Ma- ximilian (1578–1643) mit Anna Maria (verstorben 1625) und Katharina (verstorben 1637), den Erbtöchtern des reich begüterten böhmischen Uradelsgeschlechts der Czernohorsky von Boskowitz, vermehrte den liech- tensteinischen Grundbesitz beträchtlich. Zusätzliche planmässige Erwerbungen machten Karl schon bald zu einem der reichsten Adeligen im niederösterreichisch- südmährischen Raum, der es sich leisten konnte, dem Kaiser immer wieder mit namhaften Geldbeträgen zur Türkenabwehr unter die Arme zu greifen. Die politische Laufbahn Karls von Liechtenstein be- gann im mährischen Landrecht, dem «Ständeparlament», wo er als Vertreter der protestantischen Brüderunität seit 1596 als Beisitzer fungierte. Dem Amt des stellver- tretenden Landeshauptmanns folgte 1599 auf Antrag der protestantischen Stände die Ernennung zum Oberstland- richter in Mähren. Der nunmehr 30-jährige Karl galt als der Hoffnungsträger im protestantischen Lager. Umso tiefer muss die Enttäuschung gewesen sein, als sich Karl von Liechtenstein 1599 entschloss, zum katholischen Glauben seiner Vorfahren zurückzukehren. Spätestens seit dieser überraschenden Konversion begann Karl von 
Es ist ein reizvolles, zugleich aber auch ein schwieriges und riskantes Unterfangen, auf wenigen Seiten einen Zeitraum von mehr als 100 Jahren zu beschreiben. Dies gilt im Besonderen, wenn sich der Aufstieg einer Fami- lie – wie es bei Liechtenstein der Fall war – in einer Zeit vollzog, die von immer wiederkehrenden Kriegen, Seu- chen, aber auch von grundlegenden wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Veränderungen geprägt war. Für kaum ein anderes Jahrhundert treffen alle eben genannten Merkmale so sehr zu wie für das 17. Jahrhun- dert. Angesichts des zeitlichen und inhaltlichen Umfangs lau- tet die grundsätzliche Frage nicht, was zu berichten ist, sondern vielmehr, was ausgelassen werden kann, ohne dass das Gesamtbild dadurch verzerrt wird und in eine Schieflage kommt. Fassen wir einleitend kurz zusam- men: Die Geschichte der fürstlichen Familie Liechten- stein war im 17. und frühen 18. Jahrhundert von aus- sergewöhnlich starken Persönlichkeiten geprägt, denen – rückblickend betrachtet – jeweils unterschiedliche Aufgaben im Rahmen der Familiengeschichte zukamen.1 Karl I. (1569–1627) positionierte die Familie Liechten- stein unter den ersten Häusern des Heiligen Römischen Reichs. Der neu gewonnene territoriale Besitz, die Her- zogswürde, sowie wirtschaftlicher Reichtum und der gesellschaftliche Rang der Familie erreichten unter Fürst Karl I.2 
einen ersten Höhepunkt. Besitz und Ansehen auch in schwierigster Zeit ungeschmälert erhalten zu ha- ben, das war die historische Aufgabe und Leistung des meist – und dies zu Unrecht – unterschätzten Fürsten Karl Eusebius von Liechtenstein (1611–1684)3. Dessen Sohn und Erbe, Johann Adam I. Andreas (1657–1712), orientierte sich in Vielem am Vater, öfter aber noch an seinem Grossvater, Fürst Karl I.; Johann Adam I. An- dreas4 erweiterte und konsolidierte den territorialen Be- sitz, sein sprichwörtlicher Reichtum festigte die Position der Familie im Wettstreit mit den anderen hochadeligen Häusern auf höchstem Niveau. Die Erwerbungen von Schellenberg 1699 und von Vaduz 1712 ebneten zudem den Weg zu Sitz und Stimme auf der Reichsfürstenbank in Regensburg.5 Die Gleichstellung mit den alt einge- sessenen Fürstenhäusern war damit erreicht. Soweit die grosse Linie. Nun gilt es, in aller gebotenen Kürze, die getroffenen Aussagen durch die Einzeldarstellung der genannten Personen zu untermauern. Kapitel_5_Haupt.indd   10622.10.12   12:37
	        

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