55 Historischer Verein für das Fürstentum Liechtenstein, Jahrbuch Band 110,
2011
die Genehmigung des Kaisers erforderlich war.26 Der Besitz eines Adelstitels war aber auch am Ende des 19. Jahrhunderts ein zweifelloser Vorteil, der die Türen etli- cher Empfangsräume öffnete. Es ist deswegen nicht über- raschend, dass noch vor dem Jahrhundertwende, am 24. Dezember 1898, die Freiin von Hirsch den österreichi- schen Kaiser Franz Joseph I. bat, ihre Adoptivkinder in den Freiherrenstand zu erheben und ihnen das Prädikat «von Hirsch auf Gereuth» zu erteilen. Mit Rücksicht darauf, dass Baron von Hirsch nicht alle Kinder adoptiert hatte, sondern nur die Tochter, gab der Kaiser ihrem Antrag nicht ganz statt. Mit dem obersten Beschluss vom 22. Januar 1899 – aus besonderen Gna- den und mit der Nachsicht der Taxen – erhob der Kaiser schliesslich doch alle Adoptivkinder zumindest in den Freiherrenstand, jedoch ohne das ursprünglich bean- tragte Prädikat «von Hirsch auf Gereuth». Die Jungen trugen also weiter den Namen «Freiherr von Deforest- Bischoffsheim», währenddem die Tochter Irene sich «Freiin von Premeli-Hirsch» nennen durfte. Allen Kin- dern stand in der Folge das gemeinsame Wappen zu, das vom Wappen der Familie «von Hirsch auf Gereuth» ab- geleitet wurde.27
Kurz nach diesem Ereignis, am 1. April 1899, ist Clara in Paris gestorben. Von ihren Kindern ste- hen uns bis heute keine Nachrichten zur Verfügung, mit Ausnahme des älteren Sohns Maurice Arnold. Es ist be- merkenswert, dass gerade auch mit seiner Person meh- rere, bis jetzt nicht gelöste Fragen verbunden sind. Es ist vor allem nicht klar, was mit seinen Geschwi- stern – Bruder Raymond und Stiefschwester Irene – ge- schah. Nach dem Vermächtnis von Clara von Hirsch, von dem die Presseagentur Reuters informierte,28 wurde ihr Vermögen zwischen Maurice Arnold und Raymond aufgeteilt: Der Erstgenannte erhielt 25 Millionen Francs in bar und die mährischen Besitztümer Rossitz (Rosice) und Eichhorn (Veveří); der Zweitgenannte bekam 20 Millionen Francs und das Schloss «Château de Beaure- gard», das fünf Kilometer von Versailles entfernt liegt. Dieses Schloss in Frankreich hatte Freiherr Moritz von Hirsch mit grossem Kostenaufwand umbauen lassen und zu einer seiner Hauptresidenzen gemacht. Die Baronin Clara von Hirsch vererbte weitere Kostbarkeiten an ihre beiden Söhne: ihren ganzen Schmuck, ihre Bildersamm- lung, Möbel und weitere Wertsachen, die sich in ihrer Pariser Villa in der Rue de l'Elysée (sogenanntes Hôtel de Hirch) und in zwei weiteren Häusern in dieser Strasse
26 Zu den Adoptionen in Österreich siehe Županič, Jan: Nová šlechta (Der neue Adel), S. 110–112. 27 Die Urkunde wurde mit dem Datum 26. Februar 1899 erlassen. Das Familienwappen war wie folgt: Ein gold-blau geteilter Wap- penschild. Im oberen Feld sieht man einen Zwölfender im Sprung in natürlicher Farbe mit roter Zunge. Im unteren Feld sind drei fünfzackige Silbersterne. Auf dem Schild stehen die Freiherren- krone und darauf ein gekrönter offener Helm mit blau-goldenen Helmdecken. Die Helmzier bilden offene, geteilte golden-blaue Flügel. Als Schildhalter sind zwei auf goldener Arabeske stehende Hirsche vom Schild. AVA, AA, Deforest, Freiherrnstand 1899. 28 Vgl. Ladie´s Gossip. In: Otago Witness, 2. November 1899, S. 52. [online], letzte Revision nicht angeführt [zit. 25. September 2010]. Zum Herunterladen unter: http://paperspast.natlib.govt.nz/cgi- bin/paperspast?a=d&d=OW18991102.2.275. 29 Deforest, der mehrere weitere Residenzen besass, sorgte für das Schloss nicht besonders gut. Siehe Château du Comte de Bendern à Beauregard, [online], letzte Revision 29. Dezember 2008 [zit. 24. September 2010]. Zum Herunterladen unter: http://www.lacelle- saintcloud.com/pages/bendern/bendern.php. 30 Dieses Datum wird sowohl im Memorandum des Ministerpräsi- denten Franz Graf Thun-Hohenstein vom 20. Januar 1899 (AVA, AA, Deforest, Freiherrnstand 1899), als auch von Donat Büchel im Stichwort «Bendern» des sich in Vorbereitung befindenden Historischen Lexikons für das Fürstentum Liechtenstein ange- führt. Für die geleisteten Informationen danke ich Dr. Peter Gei- ger (Liechtenstein Institut, Bendern), Mag. Rupert Tiefenthaler (Landesarchiv Liechtenstein) und Donat
Büchel.
befanden. Die Söhne sollten die Verfügungsrechte an diesen Vermögenswerten jedoch erst nach der Vollen- dung ihres Alters von dreissig Jahren erlangen. Bis zu diesem Zeitpunkt wurden diese Güter von einem eigens dazu eingesetzten Verwalter betreut. Da jedoch am An- fang des 20. Jahrhunderts nur Maurice Arnold als Besit- zer des Château de Beauregard erwähnt wird, sieht es so aus, dass Raymond seine Stiefmutter Clara von Hirsch nicht lange überlebte. In der Folge wurde wohl sein äl- terer Bruder Maurice Arnold von Deforest-Bischoffsheim zum Haupterben des Imperiums der Familie Hirsch.29 Seine ungeklärte Abstammung bildet den Schlüssel zum Verständnis des Schicksals von Maurice Arnold. Alle Nachrichten stimmen darin überein, dass er am 9. Januar 1879 in Paris geboren wurde.30
Offen ist die Frage, wer seine Eltern waren. Clara von Hirsch führte in ihrem Antrag an den Kaiser zur Erteilung des Freiher- renstands im Dezember 1898 an, dass Maurice Arnold und sein Bruder Raymond die ehelichen Kinder von Eduard Deforest und Julia Arnold sein sollten. Sie nannte keine näheren Einzelheiten, erwähnte nur, dass beide Kapitel_2_Zupanic.indd 5526.07.11 13:45