Volltext: Jahrbuch (2011) (110)

32Vogt Wolfgang: Der Aufbau der Krankenversicherung in 
Liechtenstein 
lionenhöhe brachte.208 Ausserdem waren die Folgen der Weltwirtschaftskrise auch in Liechtenstein zu spüren. Im Bereich der Krankenversicherung wurden dennoch verschiedene Initiativen unternommen. Erneut wurde eine Reform der Gewerbeordnung geplant. Die Regie- rung vergab ausserdem den Auftrag zur Erstellung eines Gutachtens zum Sozialversicherungswesen an Hermann Renfer, den Direktor der Basler Lebensversicherungen. Durch die Niederlassung schweizerischer Versiche- rungsgesellschaften entstand in Liechtenstein erstmals ein Markt für die Krankenversicherung. Obwohl die Wirtschaft durch den Krieg schwer geschädigt war, wurde ab Beginn der 1920er Jahre wie- der verstärkt versucht, die Sozialgesetzgebung auszu- bauen. In der neuen Verfassung waren denn auch zwei Artikel enthalten, welche die sozialpolitischen Ziele des Staates 
festlegten: «Art. 18 Der Staat sorgt für das öffentliche Gesundheitswesen, unter- stützt die Krankenpflege und strebt auf gesetzlichem Wege die Bekämpfung der Trunksucht sowie die Besserung von Trin- kern und arbeitsscheuen Personen an.»209 Wichtiger aber war der neu eingeführte Artikel 26, der sich nicht nur mit der Gesundheitspolitik im Allge- meinen auseinandersetzt, sondern spezifisch die staatli- che Förderung des Sozialversicherungswesens 
vorsieht: «Art. 26 Der Staat unterstützt und fördert das Kranken-, Alters-, Inva- liden- und Brandschadenversicherungswesen.»210 Bemerkenswert ist, dass der neue Sozialversiche- rungsartikel 26 kaum zu Diskussionen Anlass gab. Selbst im Bericht der Verfassungskommission wurde er nicht erwähnt. Dies erklärt sich jedoch vor dem Hintergrund, dass vor allem das neue parlamentarisch ausgerichtete Regierungssystem debattiert wurde. In der ersten For- mulierung der Regierungsvorlage war jedoch die Kran- kenversicherung nicht im vorgesehenen Text enthalten, die Unterstützung und Förderung des Krankenversiche- rungswesens wurde also erst in den Beratungen im Land- tag eingefügt.211 Die sehr allgemein gehaltene Formulie- rung des Artikels 26 zur Förderung und Unterstützung des Krankenversicherungswesens lässt keine Schlussfol- gerung zu, in welcher Form diese Förderung und Un- terstützung der bezeichneten Sozialversicherungen zu geschehen hätten.212 
Dem in der Verfassung festgelegten Auftrag «wurde in der Folge zumindest insofern 
nach- 
Spätere Initiativen zur Schaffung von Sozialversicherungen – Ein Ausblick Der Erste Weltkrieg hatte den in Liechtenstein zuvor zaghaft einsetzenden Aufschwung gestoppt. Auch in den 1920er Jahren kam es kaum zu einer Besserung der wirt- schaftlichen Lage. Die Textilindustrie lag nach dem Krieg am Boden, der Staat hatte kaum Geld, um aus der miss- lichen wirtschaftlichen Lage aus eigener Kraft herauszu- kommen. So setzte nach dem Krieg eine aussenpolitische Neuorientierung ein, weg von der zusammengebro- chenen Donaumonarchie und hin zur im Krieg neutral verbliebenen Schweiz.202 Zugleich ergaben sich grosse innenpolitische Veränderungen. 1918 wurde das direkte Wahlrecht eingeführt, es kam erstmals in der Geschichte des Landes zur Gründung politischer Parteien und auch die Arbeiterschaft wurde nun mehr als je zuvor politisch mobilisiert.203 «Unübersehbar ist auch hier, dass der vorhandene oppositio- nelle Kern die Voraussetzung dafür bildete, dass es in Liech- tenstein 1918 zur Forderung nach einer Verfassungsreform kam, deren Verwirklichung den europaweiten Demokratisie- rungswillen schliesslich in einer spezifisch liechtensteinischen Form zum Ausdruck bringt. Die Parteien sind in diesem Pro- zess zugleich Motor und Produkt.»204 1921 erhielt das Land eine neue Verfassung, der Fürst war nicht mehr allein Souverän, sondern die Souverä- nität sollte im Volk als auch im Fürsten gleichermassen verankert sein.205 1923 schliesslich konnte das kleine Für- stentum anstelle des 1919 aufgekündigten Zollvertrags mit Österreich206 einen neuen Vertrag mit der Schweiz abschliessen: «Mit dem Zollanschluss an die Schweiz entrann Liechtenstein erneut der wirtschaftlichen Isolation. Es fand Anlehnung bei jenem Nachbarn, der stabiler, fortschrittlicher und wohlha- bender als der frühere Partner war.»207 Inmitten dieser Umbruchssituation entstand auch eine sozialpolitische Aufbruchstimmung, mittels neuer Gesetze sollte das Land modernisiert werden. Die 1920er Jahre waren allerdings für Liechtenstein von einer ganzen Reihe wirtschaftlicher Schwierigkeiten geprägt. Das Land brauchte Zeit, um die Kriegsfolgen zu überwinden, doch zwei Heimsuchungen stürzten das Fürstentum noch tiefer in die Krise: der verheerende Rheineinbruch 1927, der Teile des Landes überschwemmte, und der Spar- kassaskandal 1928, der dem Land einen Verlust in Mil- Kapitel_1_Vogt.indd   3226.07.11   13:44
	        

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