Volltext: Jahrbuch (2011) (110)

22Vogt Wolfgang: Der Aufbau der Krankenversicherung in 
Liechtenstein 
verdienenden Männern der Weberei zur Aufbesserung der mangelhaften betrieblichen Krankenvorsorge einen vorteilhafteren Versicherungsschutz zu gewähren.109 Die Vereinsgründung erfolgte nicht ohne Schwierigkeiten, die Betriebsleitung wandte sich an die Regierung um eine Bewilligung der Statuten zu verhindern und selbst der Gewerbeinspektor opponierte in einem Schreiben an die Regierung – freilich aus anderen Motiven – gegen die Vereinsgründung.110 Während die Betriebsleitung die Krankenkasse als unnötige und nicht durchdachte Idee einiger weniger Arbeiter abqualifizieren wollte, hätte der Gewerbeinspektor statt eines exklusiven Männerversi- cherungsvereins lieber eine Verbesserung der allgemei- nen betrieblichen Versicherungsleistungen gesehen.111 Die Regierung war offenbar unschlüssig, wollte das Vor- haben aber nicht von vorneherein verunmöglichen. So entschloss sie sich 1897, die Vereinsstatuten für ein Jahr provisorisch zu genehmigen, unter der Auflage, dass der Verein eine solide Jahresrechnung vorweisen und damit seine Lebensfähigkeit belegen müsse.112 Ein Jahr später erfolgte die definitive Genehmigung durch die Regie- rung.113 Für eine Aufnahme kamen nur männliche Arbei- ter der Weberei mit einem täglichen Mindestverdienst von einem Gulden in Frage. Bei der Festsetzung der Bei- träge und Leistungen scheint die Vorsicht überwogen zu haben, im Gegensatz zu den bisherigen Kassengrün- dungen wurden die Leistungen anfangs zurückhaltend bemessen und erst in den Statutenänderungen der fol- genden Jahre ausgebaut. Doch in den letzten Jahren der Vereinstätigkeit, vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs, sanken die ausbezahlten Taggelder ähnlich wie dies auch bei den Fabrikkrankenkassen der Fall war von zwi- schenzeitlich 40 bis 50 Prozent auf nur mehr 30 Prozent des durchschnittlichen Verdienstes.114 
1899 wurde auch in der Spinnerei in Vaduz ein Männerkrankenverein ge- gründet, der seine Statuten weitgehend identisch mit je- nen des Triesner Männerkrankenvereins ausgestaltete115 und damit durch die bereits geleistete Pionierarbeit bei seiner Gründung nicht mehr auf Widerstände stiess.116 Mit dem Inkrafttreten der neuen Gewerbeordnung von 1910117 kam es zu einem Krankenversicherungsobligato- rium für alle Arbeitnehmer. In den entsprechenden Re- gelungen wurden auch gesetzliche Mindestleistungen für die bestehenden betrieblichen Krankenversicherungen vorgeschrieben, welche deren Leistungen bedeutend er- höhten.118 Im Fall des Triesner Männerkrankenvereins 
ausgebaut,100 bis es im Zusammenhang mit der Durch- setzung einer neuen Gewerbeordnung ab 1912 zum Konflikt zwischen dem Kranken-Unterstützungs-Verein auf der einen und den staatlichen Behörden auf der an- deren Seite kam.101 
Die selbstbewusste Haltung des Ver- eins in diesem sich über Jahre hinziehenden Konflikt erinnert an die oftmals antizentralistische Ausrichtung der schweizerischen Hilfskassen.102 Der einigermas- sen exklusive Charakter der Vereinszugehörigkeit mag mit dazu beigetragen haben, dass sich die Generalver- sammlungen des Krankenkassenvereins weigerten, die Statuten so anzupassen, dass die grosse Zahl an unversi- cherten Hilfsarbeitern Aufnahme gefunden hätte. Dieses exklusive Selbstverständnis kommt in einem Schreiben an die Regierung zum Ausdruck, in dem der Vereins- präsident Theodor Jehle103 an die Regierung notiert: «Ein rechter Arbeiter versichert sich selbst, wo er Gelegenheit hat, ohne dazu gezwungen zu werden ...».104 Die Mitgliederzahlen des Vereins stiegen mit einigen Schwankungen von 30 im Gründungsjahr auf 225 im Jahr 1900, 308 um 1905, 479 um 1910, 652 um 1915. In den Folgejahren erreichten sie mit über 750 Mitgliedern einen vorläufigen Höchststand.105 In den von wirtschaft- lichen Krisen und aufkommender Konkurrenzierung durch private Versicherungen aus der Schweiz geprägten 1920er und frühen 1930er Jahren sank die Mitgliederzahl wieder unter 600. Der Verein schuf sich von Beginn an auch mit Hilfe der Landessubventionen eine solide fi- nanzielle Basis und verfügte schon bald über stattliche Reserven, nur 1913 sowie in den Kriegsjahren konnte dem Reservefonds kein Geld zugewiesen werden, son- dern es mussten Fondseinlagen zur Deckung der Kran- kengelder herbeigezogen werden.106 In einer Ergänzung zu den Statuten von 1917 hielt der Verein angesichts des Krieges fest, dass an Mitglieder, die eingezogen würden oder freiwillig einrückten, keinerlei Unterstützungslei- stungen gezahlt werde.107 In den 1890er Jahren wurden die Leistungen der Fa- brikkrankenkassen auch von der Arbeiterschaft als zu- nehmend unzureichend empfunden. Nach Vorbild des 1894 gegründeten allgemeinen Krankenvereins wurde also die Selbstversicherung in Vereinsform ins Auge ge- fasst. Die erste derartige Gründung erfolgte 1896 in der Triesner Weberei der Firma Jenny und Spoerry. Die dort beschäftigten Arbeiter organisierten sich in einem «Män- ner-Krankenverein».108 Ziel des Vereins war es, den gut Kapitel_1_Vogt.indd   2226.07.11   13:44
	        

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