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steiner Vaterland» abgelöst. Der Parteienstreit war vorerst gebannt. Aussenpolitisch übte die Presse als Aushänge- schild des Landes Zurückhaltung bis zur Gesinnungs- neutralität – im Vergleich dazu bot der «Werdenberger & Obertoggenburger» mehr Orientierung. Ab Juni 1940 wurden jedoch sehr unterschiedliche, die Haltung der Par- teiführungen widerspiegelnde Einstellungen zur neuen Kriegslage erkennbar: Während sich das «Volksblatt» ge- gen die nationalsozialistische «Volksdeutsche Bewegung» und Anpassungstendenzen in der VU – ohne deren explizite Nennung – wandte und für Liechtenstein die Parole «Durchhalten» ausgab, bewunderte das «Vater- land» unverhohlen den deutschen Sieg, bediente sich des NS-Vokabulars und richtete sich mit der Parole «Einordnen» in Hitlers neues Europa auf Anpassung aus. Zwar sprachen sich beide Zeitungen für die Weiterexi- stenz Liechtensteins als Staat aus, unterschieden sich aber deutlich in ihrer Haltung bezüglich
Anpassung. «Volksdeutsche Bewegung» als «Fünfte Kolonne» Im Gefolge des «Anschlusses» von Österreich und als Reaktion auf Parteienbefriedung wurde im März 1938 die nationalsozialistische «Volksdeutsche Bewegung in Liechtenstein» (VDBL) gegründet. Sie trat für den «An- schluss» an Deutschland ein und rekrutierte sich vor allem aus den Reihen ehemaliger Heimatdienst-Leute. Am 24. März 1939 scheiterte ein «Anschluss»-Putsch der Liechtensteiner Nationalsozialisten an der ausblei- benden Unterstützung aus dem Reich und am ener- gischen Widerstand im Innern. Nach Flucht und Verhaf- tung der Anführer aus der VDBL-Spitze stand die Bewe- gung geschwächt und führerlos da. Der Hochverratspro- zess gegen die Verantwortlichen wurde jedoch aus aus- senpolitischen Rücksichten sistiert und die inhaftierten Putschisten ins Reich abgeschoben. Unter dem Eindruck der deutschen Siege und der weiterhin desolaten wirtschaftlichen Lage erhielt die VDBL ab Frühsommer 1940 unter neuer Führung wie- der starken Auftrieb. Sekundarlehrer Alfons Goop aus Eschen ersetzte den nach Deutschland geflüchteten Theodor Schädler als Landesleiter, bevor er sich im März 1943 selbst als Kriegsfreiwilliger nach Deutschland absetzte.
tensteinerin war und man sich sogleich – vorerst zwar erfolglos – auf diplomatischem Weg für sie einsetzte. 1944/45 wurden ungarische Juden auf fürstlichen Gütern bei Wien zur Zwangsarbeit eingesetzt, was ihnen – im Gegensatz zu ihren direkt nach Auschwitz deportierten Leidensgenossen – das Leben rettete. Dem NS-Euthanasiemord fielen höchst wahrscheinlich auch einzelne Geisteskranke aus Liechtenstein zum Opfer. Da das Land nicht über eine eigene Anstalt verfügte, wurden diese oft in Vorarlberg untergebracht. Im Wissen um die drohende Gefahr versuchten Angehörige und Gemein- den die Betroffenen nach Liechtenstein
zurückzuholen. Politische Befriedung im Innern Ende März 1938 – kurz nach dem «Anschluss» Österrei- chs – nahm die Fortschrittliche Bürgerpartei (FBP) die oppositionelle Vaterländische Union (VU) in eine Koali- tionsregierung auf, um angesichts der äusseren Gefahr eine innenpolitische Befriedung zu bewirken und die Ge- fahr eines Abgleitens der VU ins Lager der «Anschluss»- Freunde abzuwenden. Die VU war 1936 aus der Fusion von Christlich-sozialer Volkspartei und der deutschfreund- lichen Erneuerungsbewegung «Liechtensteiner Heimat- dienst» entstanden, wobei die Heimatdienstler in der Führung dominierten. Die Regierung bestand aus zwei Vertretern der FBP (Regierungschef Josef Hoop und Pfar- rer Anton Frommelt, zugleich Landtagspräsident und konsequenter NS-Gegner) und zwei Exponenten der VU, darunter Regierungschef-Stellvertreter und Wirtschafts- minister Alois Vogt. Als ehemaliges Führungsmitglied des Heimatdienstes hegte er unverhohlene Sympathien für Deutschland und nahm eine ambivalente Haltung ein. Anfang 1939 wurde das Proporzwahlrecht eingeführt. Im Frühjahr 1939 einigten sich die Parteien auf eine stille Landtagswahl: Die FBP erhielt acht Mandate, die VU sieben. Auch im Kanton St. Gallen wurden 1939 für den Kantons- rat und den Nationalrat stille Wahlen erwogen, scheiterten aber an der Uneinigkeit der Parteien. Die 1943 anstehende nächste reguläre Landtagswahl wurde per Notrecht bis April 1945 verschoben, letztere änderte an der Sitzver- teilung nichts. Im Zuge der innenpolitischen Befriedung wurden im Frühjahr 1939 die streitbaren Redaktoren des FBP-Organs «Liechtensteiner Volksblatt» und des VU-Blattes «Liechten- Kapitel_4_Hagmann.indd 10826.07.11 13:46