Volltext: Was will Liechtenstein sein?

gar nicht mehr zulässt. Eine Verfestigung solcher Entwicklungen kann es mit sich bringen, dass man den Kleinstaat langfristig gesehen eben gar nicht mehr zur Gesellschaft der Staatengemeinschaft zählt. Wer nie mehr aufscheint unter den Staaten, gehört nicht mehr voll zu ihnen. Hiess es bisher «les absents ont tort», so könnte es für einen ganz kleinen Staat ei- nes Tages heissen «les absents sont morts». Für Liechtenstein folgt da- raus auch eine Art Kontrahierungszwang, eine Art Präsenzdruck, nicht nur aus den Gründen der Kooperation oder Solidarität, sondern auch aus den Gründen der unmittelbaren Erhaltung seiner staatlichen Exis- tenz. II. Für Liechtenstein ist damit eine neue Situation entstanden. Mehr als hundert Jahre, seit 1850/1860 bis nach dem Zweiten Weltkrieg, trieb Liechtenstein eine fast ausschliesslich bilaterale Aussenpolitik, zuerst an der Seite Österreichs, seit Ende des Ersten Weltkrieges an der Seite der Schweiz. Liechtenstein hat das Glück, Nachbarn zu besitzen, die es res- pektieren und unterstützen und nicht in seiner Existenz bedrohten, die ihm, bis auf wenige Phasen seiner Geschichte, die aussenpolitischen Sorgen abnahmen, so dass sich das aussenpolitische liechtensteinische Denken wenig entwickelt oder gar formuliert hat. Aber die Zeiten des aussenpolitischen Jüngerschlafes an der einen oder anderen Seite unserer schützenden Nachbarn gehen sichtbar zu Ende, nicht in dem Sinne, dass die vitale und elementare und uns schützende Verbindung zur Schweiz in Frage gestellt wird – die Verbindung zur Schweiz bleibt auch in Zukunft von unerlässlicher und lebenswichtiger Bedeutung für unser Land –, aber im Sinne einer Ergänzung und Erweiterung unserer Aus- senpolitik stellen sich neue Fragen an unser Land. Wir sind plötzlich he- rausgerissen aus dem engen nachbarlichen Raum und herausgefordert vor dem Weltforum und regionalen Foren. Dies –mit 22000 Einwohnern; –ohne aussenpolitische Erfahrung; –ohne Personal für die wichtigsten internationalen Organisationen und Ausschüsse; –ausserstande, die Kosten der Beteiligung in diesen Organisationen zu tragen; 38Texte 
aus dem Nachlass von Gerard Batliner
	        

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