man auch in Österreich beginnt, die Konzeption der Geschlossen- heit des Rechtsquellensystems infrage zu stellen, ist in diesem Kon- text nur ein und keineswegs ein zwingender Aspekt. Die
Gewal- tenteilungist ein anderer Aspekt bzw. ein gewichtigeres Argument, weil der Staatsgerichtshof bei der Anerkennung von ungeschriebe- nen Grundrechten in die Funktionen des Verfassungsgesetzgebers übergreift bzw. als Ersatzgesetzgeber auftritt. Dieser Einwand fin- det in der Entscheidung des Staatsgerichtshofes keine Berücksich- tigung und bleibt ausgeblendet.»113 Herbert Wille weist im Zusammenhang mit der Entscheidung StGH 1998/45 auf die Gewaltenteilung hin und gibt zu bedenken, dass der Staatsgerichtshof mit der Anerkennung ungeschriebener Grundrechte seine Kompetenzen gegenüber dem (Verfassungs-)Gesetzgeber ausge- weitet und möglicherweise auch überschritten hat. Es trifft zu, dass sich der Staatsgerichtshof durch die Entscheidung StGH 1998/45 die Möglichkeit geschaffen hat, in Zukunft ungeschriebe- nes Verfassungsrecht anzuerkennen. Er hat diese Rechtsprechung mit den Entscheidungen StGH 2000/39 und StGH 2004/48 fortgeführt. Der Staatsgerichtshof verbaut sich aber damit auch die Möglichkeit davon wieder abzugehen. Bei Fragen im Zusammenhang mit ungeschriebenem Verfassungsrecht kann er sich in Zukunft auf diese Rechtsprechung stüt- zen, ohne dies weiter rechtfertigen zu müssen. Diese Tatsache scheint mir zumindest
problematisch.114 IV. RECHTSPRECHUNG IM ANSCHLUSS AN DIE GRUNDSATZENTSCHEIDUNG STGH
1998/45 1.Rechtsprechung zum Willkürverbot In den an das Grundsatzurteil StGH 1998/45 vom 22. Februar 1999 anschliessenden Entscheidungen hat der Staatsgerichtshof die Anerken- 352Willkürverbot
als ungeschriebenes Grundrecht 113Wille H., Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 53. 114Auch deshalb hätte die Anerkennung des Willkürverbots als ungeschriebenes Grundrecht eine umfassende dogmatische Neupositionierung erfordert.