d)Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers Das Bundesverfassungsgericht untersucht – im Gegensatz zum Bundes- gericht und dem Verfassungsgerichtshof –, ob die tatsächlichen Annah- men, Prognosen und Erwartungen des Gesetzgebers objektiv haltbar sind. Für die Frage der
Einschätzungsprärogativedes Gesetzgebers bei Tatsachen- und Prognosefeststellungen gelten ebenfalls differenzierte Massstäbe, die von der blossen Evidenzkontrolle bis zu einer strengen inhaltlichen Kontrolle reichen. Das Bundesverfassungsgericht berück- sichtigt dabei insbesondere die Eigenart des jeweiligen Sachverhalts und die Bedeutung der auf dem Spiel stehenden Rechtsgüter sowie die Mög- lichkeit des Gesetzgebers, sich im Zeitpunkt der Entscheidung ein hin- reichend sicheres Urteil zu
bilden.148 5.Weitere Aspekte des Gleichheitssatzes a)Systemgerechtigkeit beziehungsweise Folgerichtigkeit Den Argumentationstopos «Systemgerechtigkeit» beziehungsweise «Folgerichtigkeit» verwendet das Bundesverfassungsgericht – ähnlich wie den Begriff «Natur der Sache» – dazu, um die Überlegungen zum Gleichheitssatz zu systematisieren und diesen materiell mit Inhalt aus- zufüllen. «Systemgerechtigkeit» beziehungsweise «Folgerichtigkeit» be- deuten, dass der Gesetzgeber zwar weitgehend frei in seinen Grundent- scheidungen und einfachgesetzlichen Wertungen ist, er ist aber ver- pflichtet, die einmal gewählten Wertentscheidungen konsequent durch- zuhalten. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts indi- ziert die Systemwidrigkeit den Gleichheitsverstoss eines Gesetzes. Wi- 296Aktuelle
Interpretation des Gleichheitssatzes und des Willkürverbots satz) sehr variabel sei und bis zur Evidenzprüfung zurückgenommen werden könne, damit bleibe für die Prüfung eines eigenständigen (vergleichsbezogenen) Willkür- verbotes kein Raum mehr. Der Begriff «Willkür» wäre folglich nur noch eine Frage der Terminologie. Vgl. dazu auch Herzog, Art. 3 Anh., Rz 8. 148Vgl. Kallina, S. 133 f. und 189. Siehe dazu aber die abweichende Rechtsprechung des Bundesgerichts (S. 258), des Verfassungsgerichtshofes (S. 276 f.) und des Staatsge- richtshofes (S. 57 und S. 202 ff.), die allein auf das Ergebnis eines gesetzgeberischen Prozesses im Zeitpunkt der verfassungsgerichtlichen Überprüfung abstellen.