Volltext: Liechtensteinisches Verfassungsprozessrecht

richtshof berücksichtigt in der Praxis vereinzelt sogar unbillige Härten und nimmt aus Vertrauensschutzgründen ausnahmsweise an, dass trotz an sich bestehender weiterer Rechtsmittel der Rechtsweg erschöpft ist. Dies ist der Fall, wenn insbesondere rechtsunkundige Bürger Beschwer- deführer sind, die entschuldbar kein ordentliches Rechtsmittel und nur eine Verfassungsbeschwerde an den Staatsgerichtshof ergriffen haben, weil sie durch die Rechtsmittelbelehrung verleitet worden sind.710 Ist die Frage der Rechtswegerschöpfung streitig, lässt der Staatsge- richtshof die Verfassungsbeschwerde (neu: Individualbeschwerde) unter gewissen Umständen zu, wenn beispielsweise das Obergericht oder der Oberste Gerichtshof von der Unzulässigkeit weiterer Rechtsmittel aus- gegangen ist und eingelegte Rechtsmittel fälschlich als unzulässig zu- rückgewiesen hat.711In diesem Sinne äussert sich auch das schweizeri- sche Bundesgericht. Ist mangels einer entsprechenden Spruchpraxis nicht klar, ob ein bestimmtes Rechtsmittel ergriffen werden könnte, tritt es auch dann auf eine (bisherige) staatsrechtliche Beschwerde ein, wenn der Beschwerdeführer die allenfalls zuständige kantonale Instanz probe- weise anzurufen unterlassen hat.712Anders verhält es sich im deutschen Recht. Das Bundesverfassungsgericht verlangt nämlich, dass auch solche Rechtsbehelfe erhoben werden, von denen nach dem Stand der Recht- sprechung ungewiss ist, ob sie überhaupt statthaft sind.713 Ist ungewiss, ob in einem konkreten Fall noch ein ordentliches Rechtsmittel zur Verfügung steht, ist es wegen der Verfristung der Ver- fassungsbeschwerdemöglichkeit (neu: Individualbeschwerdemöglich- keit) ratsam, wenn der Beschwerdeführer gleichzeitig mit der Erhebung des fraglichen ordentlichen Rechtsmittels auch eine Verfassungs - beschwerde (neu: Individualbeschwerde) erhebt. Es könnte nämlich 567 
§ 31 Besondere Sachentscheidungs- bzw. Sach urteilsvoraussetzungen 710StGH 1995/16, Urteil vom 24. November 1998, LES 3/1999, S. 137 (140) und LES 1/2001, S. 1 (4); vgl. auch Höfling, Verfassungsbeschwerde, S. 133 f. In diesem Sinne hat etwa auch der Erste Senat des deutschen Bundesverfassungsgerichts betont, dass die «berechtigte Ungewissheit über die Zulässigkeit eines Rechtsbehelfs nicht zu Lasten des Rechtsuchenden gehen und daher nicht zur Unzulässigkeit einer Verfas- sungsbeschwerde führen dürfe». Siehe Lübbe-Wolff, S. 673 unter Bezugnahme auf BVerfGE I 107, 299 (309). 711Höfling, Verfassungsbeschwerde, S. 134. 712Kälin, Verfahren, S. 326 und S. 328 f. zu weiteren prozessualen Ausnahmen vom Er- fordernis der Erschöpfung des kantonalen Instanzenzuges. 713Lübbe-Wolff, S. 672; siehe schon vorne S. 563 ff.
	        

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.