Volltext: Kleinstaaten in Europa

In Deutschland hat man den ursprünglichen Quellenbegriff 
zusammen- gesetzter Staatnicht wieder aufgenommen.24 Was ist gemeint? Auf eine kurze Formel gebracht: Im frühneuzeit- lichen Europa strebten die Fürsten zwar überall nach staatlicher Zentra- lisierung, um ihre Macht zu steigern und konkurrierende Institutionen auszuschalten oder zumindest zu schwächen, doch überall blieben die- ser Machtzentralisation Grenzen gezogen. Wenn ein Fürst Gebiete hin- zugewann, wurden deren Rechte und Privilegien vielfach nicht angetas- tet. Selbst in Frankreich, dem wohl am stärksten zentralisierten Staat, blieben noch im 18. Jahrhundert Elemente des 
zusammengesetzten Staa- teserhalten. Weitaus stärker ausgeprägt war dies in Grossbritannien und erst recht in Spanien. Koenigsberger nennt die spanische Monarchie «the monarchy par excellence of multiple dominions and multiple parlia- ments».25Die britische Monarchie dieser Zeit hat man als «multiple kingdoms» charakterisiert.26 Dies muss hier nicht weiter ausgeführt werden; es genügt zu er- kennen: der zentralisierte Machtstaat, den Otto Hintze als den Inbegriff des souveränen Staats der Neuzeit dargestellt hat,27war keineswegs die frühneuzeitlich Norm, an der alles andere als Rückstandsgebiet ausge- wiesen werden könnte. Staatliche Souveränität blieb trotz voranschrei- tender Machtzentralisierung eine wandlungsreiche Grösse, aufgeteilt auch weiterhin auf verschiedene Träger. James J. Sheehan hat dies kürz- lich brillant bis in die Gegenwart verfolgt.28In dieser Perspektive bilden die beiden kleinstaatlichen Massenkatastrophen des 19. Jahrhunderts, um noch einmal Werner Kaegis Diktum aufzunehmen, keinen Bruch mit 103 
Der europäische Kleinstaat im 19. Jahrhundert 24Nicht durchgesetzt hat sich der Begriff Mehrfachherrschaft: Bosbach: Mehrfach- herrschaft (wie Anm. 22); Bosbach: Krieg und Mehrfachherrschaft im 17. Jahrhun- dert, in: Prague Papers on History of International Relations 4 (2000), S. 69–83; Mehrfachherrschaften im 17. Jahrhundert, in: Uta Lindgren (Hrsg.): Naturwissen- schaft und Technik im Barock. Innovation, Repräsentation, Diffusion. Köln/Wien 1997, S. 19–35. 25Koenigsberger, Dominium Regale, S. 13. 26Conrad Russel: The Causes of the English War. Oxford 1990, S. 27. 27Vgl. insbes. Otto Hintze: Wesen und Wandlung des modernen Staats (1931), in: Hintze: Staat und Verfassung. Gesammelte Abhandlungen zur allgemeinen Verfas- sungsgeschichte. Bd. 1. Hrsg. Gerhard Oestreich. Göttingen 
31970, S. 470–496; Staatenbildung und Verfassungsentwicklung (1902), ebd. S. 34–51. 28James J. Sheehan: The Problem of Sovereignty in European History, in: The Ame- rican Historical Review 111, 1 (2006) S. 1–17.
	        

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.