Pufferzone, eine Zone des Interessenausgleichs zwischen grösseren Nachbarn, die sich in der Regel aus Gründen der europäischen Balance nicht zu Lasten des Kleinen bereichern – damit sind wohl in der Tat die wesentlichsten Elemente der Rolle der Kleinstaaten in der internationa- len Politik Alteuropas genannt. Dass diese Puffer-Funktion zwischen dynamischen Grossmächten im Übrigen auch flächenmässig grosse Staa- ten wie etwa das polnisch-litauische Doppelreich ausüben konnten, sei hier zumindest angemerkt. Von Burckhardts Befund, dessen Interesse an den Kleinstaaten vor allem aus der dort manifestierten Freiheit und ihrer Nicht-Macht resultierte, differieren unsere Ergebnisse also nicht grund- stürzend, wobei gegenüber Burckhardt sicher die systemstabilisierende Funktion des Kleinstaats stärker betont werden muss – in einer Epoche, die von einem extremen Staaten- und Fürstenehrgeiz geprägt war, von einer extremen Staaten- und Fürstenkonkurrenz, waren direkten Rei- bungsflächen zwischen den Grossmächten eine Art Systemdefekt. Was Burckhardt aber noch nicht erkannt hatte, ist, dass aus der stets prekä- ren, für das System aber auch elementar wichtigen Lage der Kleinen auch Innovationen ins Völkerrecht hineinkommen konnten. Schon die ideologische Figur «Europa» bzw. «Ruhe Europas» war ja ein Kon- strukt, das vor allem die Sicherheit der Kleinen im Auge hatte, und vol- lends gilt das für das Motiv der ständigen Neutralität. Die Kleinen und das Völkerrecht wäre ein reizvolles neues Thema, das hier aber nur ge- streift werden kann; immerhin ist es kein Zufall, dass einer der renom- miertesten Völkerrechtler des 18. Jahrhunderts, Emer de Vattel, ein ge- bürtiger Schweizer war und überhaupt viele Protagonisten dieses Fachs aus kleinen oder doch Fast-Kleinstaaten stammten. Zumindest auf die- sem Feld haben die Kleinstaaten das europäische Staatenleben viel nach- haltiger beeinflusst und befruchtet, als es ihre bescheidene Grösse ver- muten liesse.91
Kleinstaaten zwischen den Grossreichen