Volltext: Kleinstaaten in Europa

ressen – wie alle andern Staaten auch – im Zuge wechselnder Koalitionen mit andern Staaten durch.16Dieser grosse Vorteil des Zuwachses an Mit- spracherechten ist allerdings den Nachteilen etwa in Form von Souverä- nitätseinbussen und einer allfälligen Nettozahlerschaft gegenüberzustel- len. Welche Seite man stärker gewichtet, ist letztlich eine rein politische Entscheidung. Der am 14. März 2006 verstorbene ehemalige estnische Präsident Lennart Meri hat in einer 2001 an der Universität St. Gallen gehaltenen Rede interessanterweise nicht die bekannte Spur verfolgt, nach der die Kleinstaaten in der EU überproportional gut vertreten sind. Er hat viel- mehr ausgeführt, dass die Mission der Kleinstaaten in Europa sichtbar werde. «Ein kleiner Staat ist verletzlicher, folglich auch empfindlicher in Bezug auf einen für unseren Kontinent fremden Hegemonismus und schneller bereit, darauf zu reagieren. Es ist die Aufgabe der kleinen Staa- ten, ein Barometer des europäischen Gleichgewichts zu sein. ...Wenn die Entwicklung Europas auch nur in Bezug auf den kleinsten Kleinstaat paternalistisch verläuft, kann dies für das Phänomen Europa tödlich sein. Die Kleinstaaten können lästig sein, aber sie tragen das Gleichge- wicht Europas. Wenn es keine Kleinstaaten gäbe in Europa, müssten die Grossmächte sie ausdenken. Und es ist kein Zufall, dass die Europäische Union auf eine Initiative von drei Kleinstaaten zurückgeht.»17 Der Idealismus, dass die europäischen Institutionen die Kleinstaa- ten besonders schützen, wird von Meri nicht erwähnt. Dafür zeichnet er ein anderes Bild, dass nämlich die europäischen Grossmächte die Klein- staaten als Barometer zur Bestimmung der politischen Grosswetterlage benötigen. Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass die Grossmächte die Kleinstaaten überfallen oder geschluckt haben. Das Beispiel der balti- schen Staaten muss nicht näher ausgeführt werden. Aber auch die Neu- tralität ist kein Garant: Belgien wurde als ein neutraler Staat zweimal von Deutschland angegriffen und ist heute kein neutraler Staat mehr.18Die Schweizer Neutralität erscheint aus dieser Sicht wie ein von der Ge- schichte vergessener erratischer Block. Das Sein oder Nichtsein der Kleinstaaten stellt tatsächlich ein Barometer dar.197 
Der Kleinstaat in suprastaatlichen Einigungen 16Vgl. Kreile/Michalsky (Anm. 12), S. 233. 17Vgl. die Rede von Lennart Meri am St. Galler ISC-Symposium, Das Wissen um die eigene Kleinheit verpflichtet, die Identität zu bewahren, NZZ vom 28.7.2001, S. 73. 18Vgl. Kreile/Michalsky (Anm. 12), S. 231.
	        

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.