Volltext: Kleinstaaten in Europa

Gang und drückten mit all dem der historischen Entwicklung ihren Stempel auf. Gleichwohl bleibt bei einer gesamteuropäischen Betrach- tungsweise daran festzuhalten, dass der Kontinent am Ende des 19. Jahr- hunderts noch keineswegs ein Europa der Nationalstaaten war. Vielmehr hielten sich machtpolitisch die modernen Nationen und die herkömm - lichen multiethnischen Reiche die Waage. Rein geographisch gesehen kontrollierten letztere sogar immer noch den flächenmässig grösseren Teil des Kontinents, und es war keineswegs ausgemacht, dass sich das nationale beziehungsweise nationalstaatliche Modell flächendeckend durchsetzen würde. Zwischen den beiden dominierenden Erscheinungsformen der po- litisch-staatlichen Ordnung, den Nationen und den Reichen, gab es in Europa schliesslich auch noch eigenständige Territorien, die weder Pro- vinzen eines grossen Reichsverbandes waren noch von den benachbarten Nationalstaaten aufgesogen wurden. Es handelte sich dabei um eine Handvoll Kleinstaaten, die bei der historischen Betrachtung wegen ihrer geringen Bedeutung meist übergangen werden. Ihre Geschichte und die politischen Konstellationen, die das Überleben dieser Kleinstaaten im 19. und 20. Jahrhundert bewirkten beziehungsweise ermöglichten, werden in der Regel von der Historikerschaft der grösseren Staaten kaum wahr- genommen, obwohl es sich sämtlich um Staatswesen handelt, deren Ur- sprung im Mittelalter liegt und die sich bemerkenswerterweise bis heute als autonome politische Einheiten behaupten konnten. Die Gruppe die- ser Kleinstaaten «ohne Nation» umfasst letztlich nur vier Staaten, und zwar die Fürstentümer Andorra, Liechtenstein und Monaco sowie die Republik San Marino. Staatsrechtlich gesehen waren und sind sie eigen- ständige Klein- beziehungsweise Kleinststaaten9, aber in völkerrechtli- cher Hinsicht waren sie über weite Strecken ihrer Existenz – und sind es auch teilweise heute noch – nicht im Besitz der vollen Souveränität. 124Jürgen 
Müller 9Zur Terminologie vgl. Seiler, Kleinststaaten (wie Anm. 7), S. 5–20. In der interna- tionalen, vor allem angelsächsischen Forschung, ist häufig die Rede von «Mikro- staaten»: vgl. Dieter Erhardt, Der Begriff des Mikrostaats im Völkerrecht und in der internationalen Ordnung. Aalen 1970; Jorri Duursma, Self-Determination, State- hood and International Relations of Micro-States. Leyden 1994; Sheila Harden (Ed.), Small is Dangerous: Micro State in a Macro World. London 1985. – Eine ein- deutig negative Akzentuierung lassen Bezeichnungen wie «Diminutivstaat», «Lili- putstaat», «Miniaturstaat» oder «Zwergstaat» erkennen.
	        

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