nale Einheit als eine Form von Kolonisierung empfanden.45Die Ver- nichtung der einzelstaatlichen Institutionen trug auch wesentlich dazu bei, dass der neue nationale Zentralstaat vor allem im Süden ein Klien- telsystem hinnehmen musste, da er ansonsten die dortige Bevölkerung nicht erreicht hätte. Deren Loyalität blieb ausserordentlich stark zwi- schen Dorf, Stadt, Region und Nation aufgeteilt.46 Solche unerwünschten Entwicklungen bei Staatsfusionen oder Staatserweiterungen zu verhindern, war eine Hauptaufgabe des
zusam- mengesetzten Staatesin der frühen Neuzeit gewesen, und auch noch im Jahrhundert des Nationalstaates bewies eine nationale Einigungspolitik, die diesem in der frühen Neuzeit erprobten Weg folgte, eine hohe Inte- grationskraft. Das Leitprogramm dieser Form nationaler Einigungspoli- tik, welche die Autonomie der einzelstaatlichen Glieder nicht zentral- staatlich vernichtet, lässt sich als Idee der föderativen Nation umschrei- ben. Diese Konzeption der Föderativnation sei am deutschen Beispiel erläutert.47 «Föderativnation» ist kein eingebürgerter Begriff. Indem er eine Brücke von der frühneuzeitlichen «Reichsnation» zum nationalen Den- ken und der nationalen Bewegung des 19. Jahrhunderts schlägt, zielt er 112Dieter
Langewiesche 45Vgl. dazu Giovanni Aliberti: Lo stato postfeudale: Un secolo di potere pubblico nel Mezzogiorno italiano. 1806–1910, Napoli 1993; Piero Bevilacqua: Breve storia dell’Italia meridionale, Roma 1993; Angelantonio Pagnoletti: Storia del Regno delle Due Sicilie, Bologna
21999 (11997). 46Vgl. dazu mit umfangreicher Spezialliteratur Stuart Woolf: Nation, nations and power in Italy, c. 1700–1915, in: Len Scales/Oliver Zimmer (eds.): Power and Na- tion in European History. Cambridge 2005, S. 295–314. 47Das Folgende habe ich näher ausgeführt in: Nation, Nationalismus, Nationalstaat in Deutschland und Europa, München 2000; Föderativer Nationalismus als Erbe der deutschen Reichsnation: Über Föderalismus und Zentralismus in der deutschen Na- tionalgeschichte, in: Langewiesche/Georg Schmidt (Hrsg.): Föderative Nation. Deutschlandkonzepte von der Reformation bis zum Ersten Weltkrieg. München 2000, S. 215–242; Langewiesche: Zentralstaat – Föderativstaat: Nationalstaatsmo- delle in Europa im 19. und 20. Jahrhundert, in: Zeitschrift für Staats- und Europa- wissenschaften 2 (2004), S. 173–190; Was heisst
‹Erfindung der Nation›? National- geschichte als Artefakt – oder Geschichtsdeutung als Machtkampf, in: Historische Zeitschrift 277, 2003, S. 593–617; Föderalismus und Unitarisierung – Grundmuster deutscher Geschichte im 19. und 20.Jahrhundert, in: Handbuch der baden-würt- tembergischen Geschichte. 4. Band. Die Länder seit 1918. Im Auftrag der Kommis- sion für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg hrsg. v. Hansmartin Schwarzmaier/Meinrad Schaab (†) in Verbindung mit Pauls Sauer/Gerhard Taddey. Stuttgart 2003, S. 1–21.