Volltext: Kleinstaaten in Europa

hätte. Werner Kaegi hebt deshalb in seinem Aufsatz von 1938 die Schweiz scharf ab vom «übrigen Europa» der «grossräumigen, unifor- mierten politischen Organisationen, deren Bevölkerungen allmählich zu Nationen werden», während er die Schweiz – in seiner Zeit hielt er sie allenfalls mit Holland vergleichbar – einen «Bund kleinräumiger, auto- nomer, städtischer und ländlicher, auf der Genossenschaftsidee aufge- bauter, politischer Gemeinwesen» nannte.42 Die staatliche Entwicklung der Schweiz im 19. Jahrhundert wird man im europäischen Vergleich in eine Entwicklungslinie einordnen dürfen, die vom frühneuzeitlichen 
zusammengesetzten Staatzur Idee der föderativen Nation führt, die ihre nationale Einheit nicht in einem Zentralstaat suchte, sondern in einer Verbindung der Einzelstaaten, die ein hohes Mass an institutioneller Autonomie behalten und nur das ge- meinsam regeln, was sie als gemeinsame nationale Handlungsfelder an- erkennen. Wie diese Verbindung institutionell gestaltet werden sollte, war umstritten, doch einig war man sich in der Ablehnung einer natio- nalen Einigung in Gestalt eines Zentralstaates. Italien ist den konträren Weg der Zentralisierung gegangen, auf dem die Teilstaaten ausgelöscht wurden, die kleinen ebenso wie die gros- sen. Im nationalen Grossstaat unterzugehen, war in Italien kein Sonder- schicksal des Kleinstaates.43 Das nachrevolutionäre Italien hatte der Wiener Kongress in Gestalt von Fürstenstaaten erschaffen, zwischen denen es im Unterschied zu den Staaten des Deutschen Bundes keine institutionelle Klammer gab, sei es in Form einer Fürstenvertretung oder eines Parlamentes. Mit dieser Struktur fügte sich das Kongress-Italien nicht in die frühneuzeitliche Tradition des 
zusammengesetzten Staates. Damit entfiel ein politisches Schutzdach, unter dem die einzelnen Staaten, insbesondere die kleinen, dem doppelten Zentralisierungszugriff von unten und oben hätten stand halten können: seitens der zentralisierungswilligen Nation, damals 110Dieter 
Langewiesche 42Kaegi, Kleinstaat im europäischen Denken, S. 257; Verweis auf Holland S. 258. 43Vgl. zum Folgenden: Alberto Mario Banti: Il Risorgimento italiano, Roma-Bari 2004; Derek Deales/Eugenio F. Bigini: The Risorgimento and the Unification of Italy. London 
22002; Rudolf Lill: Geschichte Italiens in der Neuzeit, Darmstadt 41988; Lucy Riall: The Italian Risorgimento: State, Society, and National Unifica- tion, London 1994, Stuart Woolf: A History of Italy, 1700–1860. London 1979/ 1991; Peter Stadler: Cavour. Italiens liberaler Reichsgründer. München 2001.
	        

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