Volltext: Liechtensteinische Wochenzeitung (1877)

-Paris erklärt: diese. Tagesordnung hat daS Ministerium nicht 
in Erstaunen gesetzt. Die Reden der vorangegangenen Redner 
ließen dieselbe voraussetzen; die Kammer kann sich aussprechen. 
Der Senat wird morgen sprechen; wenn er die Auflösung 
ausspricht, wird das Land seinerseits entscheiden zwischen der 
Koalition aller Linken urk» der Coalition aller Konservativen. 
Die Tagesordnung wird hierauf mit 363 gegen 158 Stimmen 
angenommen. 
Veychiedenes. 
* Der Wolf in Rußland. Von dem ganz enormen 
Schaden welchen in Rußland alljährlich der Wolf verursacht, 
gibt eine auS der Druckerei deS russischen Ministeriums deS 
Jynern hervorgegangene Broschüre von LasarewSki einen Be- 
griff. Nach verschiedenen Schätzungsmethoden kommt Lasa- 
tcttSft zu dem natürlich nur ganz approximativen Resultat, 
daß allein daS europäische Rußland an 200,000 Wölfe be- 
Herbergt — eine Zahl die sich, nach der Statistik der von 
Wölfen getödteten Menschen zu urtheileu, in den letzten Jahr- 
zehnten eher vermehrt als vermindert hat. Denn während in 
den Jahren 1849, 1850 und 1851 durchschnittlich 125 Per- 
fönen verschiedenen Alters den Bestien zum Opfer fielen, waren 
eS im Jabre 1875 161 Personen. Und dabei ist zu bedenken, 
daß die Maßnahmen zur Bekämpfung, geschweige denn zur 
Ausrottung deS RaubthiereS durchaus ungenügend sind und 
die eigentliche Jagd, die ein großes Aufgebot von Menschen 
fordert, seit dem Aufhören der Leibeigenschaft wesentlich abge- 
nommen hat. Den offiziellen Angaben zufolge werden von 
den Wölfen alljährlich etwa 180,000 Stück Großvieh und 
560,000 Stück Kleinvieh vernichtet; LasarewSki weiSt aber an 
dem Beispiele mehrerer Gouvernements, auS dem Bergleiche der 
offiziellen Daten mit denen der LandfchaftSämter nach, daß die 
genannten Zahlen noch weit hinter der wirklichen Höhe zurück- 
bleiben« UeberdieS find dabei die Verluste a« Federvieh und 
Hunden n«ch gar nicht berücksichtigt. Erftere pflegen, da die 
Wölfinnen ihre Zungen fast nur mit Federvieh auffüttern, sehr 
beträchtlich zu sein, und betrugen z. B. im Gouvernement Ka 
san allein an Gänsen jährlich 11,000 Stück. Die Zahl der 
alljährlich getödteten Hunde wird auf mindestens 100,000 Stück 
geschätzt. In Anbetracht aller Umstände dürfte daher nach 
LasarewSki'S Taxirung der von Wölfen im europäischen Ruß- 
land an HauSthieren angerichtete Schaden mindestens die 
Summe von 15 Mill. Rubel betragen. Dies ist jedoch nur 
der kleinere Theil deS vernichteten WertheS, denn vielleicht vier- 
mal so viel Nahrung muß die Natur an Wild liefern um den 
stetS bellenden Magen deS Wolfeö zu befriedigen. In Deutsch- 
land würde man dieS freilich in national-ökonomischer Hinsicht 
kaum alS einen Verlust bezeichnen können, da bei unS daS zur 
Ernährung deS WildeS nöthige Quantum wirtschaftlicher 
Produkte an Werth bei weitem den deS WildeS übersteigt. 
DieS ist aber in Rußland bei einer minder dichten Bevölke- 
rung und noch lange nicht so weit gediehener Ausnutzung des 
BodenS größtentheilS nicht der Fall, und so veranschlagt Lasa- 
rewSki den Verlust an Wild (vielleicht etwas zu hoch) auf 
jährlich 50 Mill Rubel. Schließlich muß man noch die Ver- 
luste der Hirten und Nomaden in Sibirien in Anschlag bringen, 
die sich zwar der statistischen Beobachtung fast durchgängig 
entziehen, die aber, wie u. a. aus A. v. Middendorsi'S Hchil- 
derungen erhellt, namentlich an Rennthieren sehr bedeutend sein 
müssen. 
Mittheilungen über den Krieg zwischen 
Nnßland und der Türkei. 
Auszug aus oen Berichten eines englischen Stabsoffiziers 
a. D., veröffentlicht in der „A A. Ztg " 
.1. v. W. Seit 14 Tagen verweile ich nun in den ver- 
schiedenen türkischen Festungen und Feldlagern an der Donau 
von Matschin bis Stlistria und habe vieles gesehen waS für 
mich in militärischer Hinsicht von größtem Interesse war. ES 
ist selbstverständlich, daß ich von meinen Wahrnehmungen auch 
nicht daS geringste was den Türken etwa von Nachtheil sein 
könnte in diese Mittheilungen einfließen lasse, und so werden 
solche freilich in mancher Hinsicht nur dürftig sein können, und 
manch Interessantes waS ich weiß muß ich verschweigen. ES 
find zwar viel höchst erfreuliche, aber auch eben so viele un- 
erfreuliche Wahrnehmungen, welche ich in letzter Zeit hier 
machte, und gar manches was ich in Konstantinvpel nur muth- 
maßen konnte, ist mir jetzt zur entschiedenen Gewißheit ge- 
worden. Zwar fällt eS mir nicht ein ein blinder Anhänger 
der Türkei zu fein, und kein vernünftiger Mensch, der seine 
fünf Sinne an der rechten Stelle hat, kann und wird dieS 
auch mit Wahrheit von sich behaupten können ; denn nur zu 
vieles ist im Lande des Padischah im höchsten Grade tadelnS- 
Werth und bedarf der gründlichsten Verbesserungen. Aber in 
diesem jetzigen Kriege stehe ich unbedingt und mit Leib und 
Seele auf Seite der Türken, und ich glaube auch, fast jeder 
meiner LandSleute der nur etwas RechtlichkeitSgefühl besitzt und 
die politischen Verhältnisse, klar und unbefangen wie sie in 
Wirklichkeit sind und nicht wie die panslavistischen Blätter voller 
Lug und Trug sie darstellen, genau kennt, wird unbedingt auf 
meiner Seite sein. Es ist die frechste Lüge die jemals in die 
Welt geschleudert und der ärgste politische Humbug der je ge- 
trieben wurde, wenn Rußland jetzt behauptet, daß eS diesen 
Krieg im Interesse der Humanität und deS bedrohten Christen- 
lhumS in Bulgarien führe; denn nichts, aber auch gar nichts, 
als die nackte panslavistische Eroberungssucht und der brutale 
Uebermuth der ehrgeizigen russischen Kriegspartei hat diesen 
scheußlichen Kampf ohne den mindesten Grund und daS ge- 
ringße Recht begonnen. Die Geschichte aller Jahrhunderte ist 
leider nux zu reich an frevelhaften, auS verbrecherischer Er- 
oberungSlust begonnenen Kriegen, und in dieser bösen Reihe 
niMlM per jetzt ohne Gewissen und Humanität geführte Feld 
zug wahrlich nicht den letzten Platz ein. 
WaS nun Meine jüngsten Wahrnehmungen betrifft, so wird 
meine schon stetö gehegte Ueberzeugung, daß die Türkei zwar 
— kommt ihr nicht von einer fremden auswärtigen Macht 
plötzlich eine unerwartete Hülfe — zuletzt in diesem Krieg 
unterliegen muß und unzweifelhaft auch unterliegen wird, daß 
sie aber dabei noch einen langen verzweifelten Widerstand von 
ganz unberechenbarer Dauer zu leisten im Stande ist, jetzt 
wiever noch mehr bestärkt. Leider ist nur die türkische Ober- 
leitung — wenigstens hier an der Donau — äußerst mittel- 
mäßig und der Seraskier Abdul-Kerim, so sehr ich ihn auch 
sonst verehre und so viele Verdienste er sich in mancher Hin- 
ficht unzweifelhaft um daS Heer deS Padischah erworben hat, 
nicht der Führer, welcher seinem schweren Posten im mindesten 
fich gewachsen zeigt. Er ist der Mann 'des passiven Wider- 
standS, der indolenten Trägheit des unerschütterlichen Glaubens 
an das schon im voraus bestimmte Schicksal jedes einzelnen 
Manschen wie -auch deS ganzen Staats So hat der SeraSkier 
die unersetzliche Zeit, sogleich nach der Kriegserklärung über die 
Donau zu gehen, in Rumänien einzurücken, alle Eisenbahnen 
und Magazine daselbst vollständig zu vernichten und somit dem 
russischen Aufmarsch ungeheure Schwierigkeiten zu bereiten, 
gänzlich versäumt und dadurch unersetzliche Vortheile ohne den 
mindesten 'Grund auö der Hand gegeben. Es ist gar nichts 
geschehen von den Türken in den ersten vierzehn Tagen, und 
sie hätten doch so ungemein viel damals erreichen können, ohne 
die mindeste Gefahr dabei zu laufen; denn der freie und un- 
gehinderte Rückzug über die Donau stand ihnen zu jeder Zeit 
wieder offen. Die Russen haben diesen großen, ihnen durch 
die unverantwortliche türkische Faulheit eingeräumten Vortheil 
sehr energisch und geschickt zu benutzen gewußt, und ihr Ein- 
marsch in Rumänien wie ihr Aufmarsch längs der Donau ist
	        

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