Volltext: Liechtensteinische Wochenzeitung (1877)

wahrscheinlich eine sehr gewichtige, im russischen Generalstab 
bat, zeigte sich hiebe« wieder so recht. So befindet sich das 
gesammte linke Donauufer von Galatz bis Kalafat im unge« 
hinderten Besitz der Russen, sie können überall daselbst Vefesti- 
gungen anlegen, große Niederlagen an Lebensmitteln und Mu« 
tittion errichten, und ganz nach Lust und Belieben sich die 
güngstigsten Punkte zum Donau-Uebergang aussuchen' und die 
ihnen geeignetste Zeit dazu abwarten, ohne befürchten zu müssen 
irgendwie darin gestört zu werden. Und wie leicht hätten die 
Türken bei nur einiger Thatkraft dieS verhindern können! 
Wenn nur sofort am Tage der Kriegserklärung acht- bis zehn- 
tausend Türken in verschiedenen Kolonnen über die Donau 
gesetzt wären (und da der Großsultan eine Flottille daselbst 
besitzt, so wäre ihnen dieS ein Leichtes gewesen), und hätten 
alle rumänischen Eisenbahnen zerstört, so würden den Russeu 
ganz unendliche Schwierigkeiten dadurch erwachsen sein. Beson- 
derS die wichtige Eisenbahnbrücke von Barboschi mit dem 
langen Damm davor bei der Mündung des Sereth in die 
Donau unweit Galatz, mußten die Türken um jeden Preis 
besetzen, dann möglichst la'nge zu vertheidigen suchen (und, da 
die Angreifer nur auf einem schmalen langen Damm dagegen 
anstürmen können, so hätten 5—6000 Mann dieS viele Tage 
vermocht), und beim endlichen nothgedrungenen Rückzug alles 
gründlich zerstören und in die Luft sprengen. Durch den Besitz 
dieser wichtigen Stellung bei Barboschi haben die Russen jetzt 
einen großen Vortheil gewonnen, und können von hier aus 
beliebig ihre Einmarschkolonnen über die Donau in die Do- 
brudscha senden. 
Da die Russen jetzt überall an strategisch wichtigen Punkten 
deS linken Donau-UferS schwere Batterien anlegen, so hat 
schon wiederholt eine ziemlich lebhafte Kanonade mit den tür 
kischen Batterien am rechten Donauufer stattgefunden. Allzu 
große Wichtigkeit kann aber ein Geschützkampf bei welchem 
bewe Theile durch einen Fluß, wie die untere Donau, getrennt 
sind, unmöglich besitzen. Von großer Bedeutung halten wir 
aber die Nachricht, daß eS den russischen Batterien bei Braila 
gelang die Panzer-Corvette ,Lufti-Djellil" so zu treffen, daß 
sie mit der gesammten Mannschaft, an 150—200 Köpfe stark, 
in die Luft flog. Die Hauptüberlegenheit der Türke» hierauf 
der Donau, durch welche sie die Russen am kräftigsten an 
einem Uebergang verhindern können, besteht ganz entschieden 
in ihren Monitors und sonstigen Panzerschiffen, denen letztere 
ntchtS AehnlicheS entgegensetzen können. Gelingt eS nun den 
russischen Batterien diese türkischen Schiffe zusammenzuschießen 
oder nur durch ihr Feuer von einem thätigen Eingriffen in 
daS Gefecht abzuhalten, dann bietet ein Donau-Uebergang 
entschieden nicht mehr die Hälfte der Schwierigkeiten dar wie 
im entgegengesetzten Fall. Es ist daher ein böser Umstand für 
die Türken, daß sie gleich zum Beginn deS Krieges ihr bestes 
und größtes Gchiff der Donau-Flottille vollständig auf solche 
Weise verloren haben, und dieS wird entschieden lähmend auch 
auf die fernere Thätigkeit der übrigen Schiffe einwirken. Man 
hielt diese schwer gepanzerten türkischen Monitors bisher so 
ziemlich für kugelfest, und glaubte, daß sie den Geschossen der 
russischen «Strandbatterien trotzen könnten, und nun haben einige 
Schüsse schon genügt um ein Fahrzeug vollständig in die Luft 
zu sprengen. Es scheint uns dies für die Russen ein wichtigerer 
Erfolg zu sein, als wenn sie ein ziemlich bedeutendes Land- 
treffen gewonnen hätten. 
Wie lang aber die Russen, trotz aller angeblichen Friedens- 
liebe, diesen Krieg schon vorbereitet haben, und wie sorgfältig 
sie dabei zu Werte gingen, beweist der Umstand, daß sie 
kleine zerlegbare Dampfschiffe mit zur Donau brachten, um 
solche daselbst wieder zusammenzusetzen. Gelingt eS der russi- 
schen Marine eine kleine wirklich tüchtige Flottille derartiger 
Dampfer auf der Donau zu formiren, so kann solche immer- 
hin bei einey, etwaigen Uebergang den größten Nutzen ge 
währen und den Türken manchen Nachtheil zufügen. Wie die 
neuesten Nachrichten melden, sollen mehrere russische Dampf, 
barcassen auch schon eine heimliche nächtliche Expedition auf 
daS türkische Ufer unternommen und von dort 20 Tonnen 
Steinkohlen auS einem Magazin der türkischen Donau-Flottille 
genommen habe». Bestätigt sich diese Nachricht wirklich — 
man kann aber nicht vorsichtig genug sein in der Beurtheilung 
der Richtigkeit sowohl der türkischen als der russischen Sieges- 
depeschen, denn gelogen wird leider von beiden Theilen mit 
gleicher Unverschämtheit — so zeigt dieS ausS neue auf welch' 
wirklich unverantwortliche Weise die Türken auch jetzt wieder 
ihren Sicherheitsdienst vernachlässigen 
Die nächste Frage wird und muß nun sein: wann und wo 
die Russen den Donau-Uebergang versuchen wollen. Soweit 
sich die Verhältnisse dieses Krieges aus den bisherigen Rüstun- 
gen und den Aufmärschen der russischen Truppen sowohl in 
Rumänien als auch in Armenien beurtheilen lassen, soll dieser 
ganze Krieg von russischer Seite nach einem sorgsam berathenen, 
genau erwogenen und lange vorbereiteten großartigen Plan 
und mit enormer Uebermacht geführt werden. To wild der 
russische Generalstab sich sicherlich nicht übereilen und die Donau- 
Uebergänge nicht früher unternehmen lassen, als bis aflcS auf 
das sorgfältigste dazu vorbereitet wurde; ist dieß aber geschehen, 
so wird man auf die energischeste Weise und mit Entfaltung 
sehr überlegener Kräfte damit beginnen. Wir wollen uns wahr- 
lich keine Prophetengabe zutrauen, und gerade in der Beur- 
theilung militärischer Verhältnisse, wo unvorhergesehene Um- 
stände plötzlich die Zerstörung oder doch Veränderung deS ganzen 
Plates herbeiführen können, ist das Voraussagen stetS ein un 
gemein mißliches Unternehmen; aber wir können nicht umhin 
unsere Ansicht hier auszusprechen, daß die Russen sehr wahr« 
scheinlich den Donau-Uebergang an drei verschiedenen Stellen 
und dann wo möglich an einem Tag oder richtiger wohl in 
einer Nacht versuchen werden. Die eine Stelle dürfte wahr- 
scheinlich zwischen Braila und Galatz sein, von wo aus ein 
russisches Korps von etwa 30,000 Mann meistens leichter 
Truppen übergehen, die kleine türkische Festung Jsaktscha cer- 
niren, und dann die ziemlich gute Straße nach Babadagh, die 
auch für stark bespannte Geschütze Fortkommen gewährt, be- 
nutzen wird, um von letzterem Ort vermittelst fahrbarer Straßen 
auf w'e Eisenbahn die von Tschernawoda nach Küstendsche führt 
zu gelangen, und sich derselben zu bemächtigen. Gelingt de.« 
Russen wirklich diese Unternehmung, und kommen sie in den 
Besitz dieser Eisenbahnlinie, oder nöthigen auch nur die Türken 
zu deren Zerstörung, so haben sie einen ungemein großen Vor- 
theil damit erreicht Bildet diese Eisenbahn doch jetzt weit die 
wichtigste Linie, auf welcher den türkischen Truppen an der 
Donau Munition und Proviant zugeführt wlrd. Der zweite 
Uebergang von mindestens 60,000—70,000 Mann dürfte wahr 
scheinlich von Oltenitza nach Turtukai geschehen. Gelingt eS 
den Russen fyiet eine Schiffbrücke zu bauen und solche gegen 
die türkischen Monitors * durch Torpedos oder andere Mittel 
zu schützen, so haben sie sehr viel gewonnen. Von Turtukai 
führt eine ziemlich gute Straße, welche die beiden Festungen 
Silistria und Rustschuk mit einander verbindet, und ist ersterer 
Ort in russischem Besitz, so können CernirungSkorpS von 20,000 
Mann sehr leicht von dort aut gegen jede dieser Festungen 
abgesandt werden, während eine dritte russische Armee die 
ziemlich gute Straße, die vvn dort auS nach RaSgrad an der 
Varna-Rustschuker-Bahn führt, leicht benützen kann. Ist auch 
letztere Bah» erst in russischem Besitz, oder von den Türken 
nothgedrungen zerstört worden, so können alle türkischen Fest- 
ungen wie Truppen an der Donau weder Proviant noch 
Munition mehr erhalten und die Russen vermögen sie durch 
Cernirung und Aushungerung leicht zur Kapitulation zu 
zwingen, ebenso wie die Deutschen daS 1370 bei Metz und 
Paris gethan haben. Freil ch dürften die türkischen Truppen
	        

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