Volltext: Liechtensteinische Wochenzeitung (1877)

Zoll- und GteuervereineS, bestanden hat, vom österreichischen 
Standpunkte in keiner Weise wünschenSwerth; sie wäre den 
fiskalischen Interessen abträglich und dem Handel und Verkehr, 
den geschäftliche» Beziehungen zwischen Vorarlberg und Liech 
tenstein sehr nachtheilig; durch die Zolleinigung mit Siechten- 
stein hat das österreichische Zollgebiet in unserer Gegend na« 
türliche Grenzen bekommen, im Westen bildet nämlich der Rhein 
die Grenze, im Süden gränzt das Gebiet an den Paß Luzien- 
steig und im Südosten find hohe Alpenübergänge. Diese Ver- 
Hältnisse erschweren den Schleichhandel und vereinfachen die 
Grenzbewachung. ES läßt fich auch nicht bestreiten, daß seit 
der Zotteinigung mit Liechtenstein die Contrebande, beispielS- 
weise in Tabak ganz entschieden abgenommen hat. Ferner 
kommt der Umstand in Betracht, daß die Vorarlberger Eisen- 
bahn liechtensteinisches Territorium durchschneidet; im Falle der 
Richterneuerung deS Vertrages müßte das österreichische Zoll- 
amt in der schweizerischen Anschlußstation Buchs zurückverleqt 
werden, etwa nach Feldkirch, waS neben anderen Unzukömm- 
lichkeiten auch Auslagen für Neubauten verursachen würde. 
Ferner müßte an der ReichSstraße nach Liechtenstein im betref- 
senden Grenzorte ein neueS ZollamtSgebäude errichtet werden, 
weil das alte Zollhaus vor einigen Jahren an einen Privaten 
verkauft wurde, also eine neue Auslage. 
ES muß ferner hervorgehoben werden, daß Liechtenstein ein 
Absatzgebiet für verschiedene österreichische Erzeugnisse bildet, 
allerdings ist eS ein kleines Gebiet, aber der Absatz dahin ist 
dennoch für manche Kaufleute von Wichtigkeit, von erheblicher 
Bedeutung. 
Wäre nun Liechtenstein vom'österreichischen Zollverbande 
ausgeschlossen, so würden dessen Bewohner ihre Bedürfnisse in 
einer Reihe von Artikeln zum großen Theile in der Schrveiz 
decken, die Einfuhr aus Oesterreich würde sich vermindern zum 
Schaden des Kleinhandels. 
P' Ich muß noch erwähnen, daß r in den letzten Jahren in 
Liechtenstein mehrere Baumwollwebereien von größerem Umfange 
erbaut worden find, dabei haben fich theilweise auch Vorarl- 
derger betheiligt, in der Meinung, daß die Zolleinigung mit 
Oesterreich nicht mehr in Frage gestellt werde. Diese Fabriken 
würden nun — ich darf wohl sagen — in ihrem Lebensnerv 
getroffen durch den Zollausschluß, und dadurch müßten, wie 
angedeutet, auch Inländer zu Schaden kommen. 
Ausgehend von solchen Erwägungen, bat denn auch die 
Vorarlberger Handelskammer sich für die Zweckmäßigkeit der 
Äertragöerneuerung ausgesprochen. 
Eine finanzielle Mehrbelastung resultirt auS den am frühe- 
ren Vertrage vorgenommenen Aenderungen nicht. 
Der Motivenbericht thut dar, daß die Erhöhung der Mi- 
nimalgarantie vom Reineinkommen an Zöllen, VerzehrungS- 
steuern, an dem Erlöse für Tabak u. s. w. von l. fl. 90 kr. 
biS auf 2 fl. 20 kr. per Kopf der Bevölkerung ganz wohl zu 
gestanden werden konnte, da ja die faktische Einnahme per 
Kopf nach Abzug von 25 Perzent für Regiekosten nach dem 
Durchschnitte der letzten sechs Jahre 2 fl. 67 kr. ausmacht. 
ES handelt fich lediglich darum, daß Liechtenstein schneller 
in den Besitz eineS gewissen TheileS seiner Revenue gelangt, 
als eS bisher der Fall gewesen, weil der Mimmalreinertrag 
in vierteljährigen Raten im vornhinein an die liechtensteinische 
LandeSkasse bezahlt werden soll. 
WaS nun den Umstand betrifft, daß Liechtenstein sich daS 
Recht vorbehält, unbeschadet der Vertragsverhältnisse mit Oester- 
reich in der Währungsfrage selbstständig vorzugehen — das 
heißt die Goldwährung einzuführen — so kann ich nur die 
Angabe deS Motivenberichks bestätigen, welche besagt, daß 
dadurch lediglich der faktische Zustand legalisirt wird. 
Seit nämlich auch unsere Silbergulden schwankende Werthe 
geworden, handelt man in Liechtenstein im Privatverkehr mei- 
AenS in Franks.- österreichische Noten und Silbergulden wer 
den nur zum jeweiligen Curse genommen. Ja, man ist sogar 
übereingekommen, von Zeit zu Zeit in der LandeSzeitung M 
Curse zu publiziren, zu denen österreichische Roten und Gulden 
genommen werden sollen. Die Liechtensteiner wollen eben die 
Silberwährung nicht länger haben; dnS kann uns aber ganz 
gleichgültig sein, da nach den Stipulationen die BertragSver- 
Hältnisse mit Oesterreich dadurch in keiner Weife tangirt werden. 
ES könnte noch die Frage aufgeworfen werden, ob eS fich 
nicht empfehlen würde, eine völlige Vereinigung Liechtensteins 
mit Oesterreich etwa durch einen AccessionSvertrag anzustreben. 
Abgesehen von dem zweifelhaften Werthe einer solchen Ver- 
einigung in finanzieller Beziehung — ich sage daS im Hinblick 
auf die Userbauten am Rhein — glaube ich, daß solche Be- 
strebungen.von vornherein schon an der Opposition der liech- 
tensteinischen Landesvertretung scheitern würden; denn Liechten- 
stein befindet fich wenigstens insofern? in einer beneidenSwerthen 
Lage, als eS daS einzige Land in Europa ist, welches keine 
Blutsteuer zu entrichten hat, — die bewaffnete Macht nämlich, 
bestehend in 60 Mann, welche zu einem der Heerhaufen deS 
alten deutschen Bundes gehörten, ist nach dem Frieden von 
1866 als völlig überflüssig ausgelost worden. Ich empfehle 
dem hohen Haufe nochmals die Annahme des AuSfchußantrageS. 
Ausland. 
Die Dinge km Orient sind noch immer in der Schwebe. 
Die Conferenz tagt noch in Constantinopel und die erwartete 
Entscheidung ist noch nicht eingetroffen. Die Zeitungsberichte 
bringen bald friedliche bald kriegerische Mittheilungen. Soviel 
scheint jedoch festzustehen, daß der schließliche Erfolg der Eon- 
serenz kein günstiger sein wird und daß die schönen Friedens- 
Hoffnungen fast nur mehr schöne Träume sind. Die Türkei, 
die eben sich selbst eine neue Verfassung gegeben hat, scheint 
noch nicht so schwach und krank zu sein, als man annahm, 
und ein „ gemächlicher Spaziergang" der Russen nach Constan- 
tinopel scheint in der Widerstandsfähigkeit der Türkei bedeutende 
Hindernisse in sich zu bergen. Die Vorschläge der Conferenz- 
mächte sind nach den neuesten Telegrammen von der Pforte 
nicht angenommen worden. Die „Republ. Franc " sagt 
hierüber: 
„Die Aufnahme, welche die Vertreter der Pforte den Vor- 
schlügen der Mächte haben angedeihen lassen und ihre Haltung 
auf der Conferenz können nicht übermäßig überraschen, im Ge- 
gentheil wäre eS sehr erstaunlich, wenn sich die Pforte demü- 
thig vor dem Willen der Mächte beugen und ihrerWürde und 
den HoheitSrechten deS Sultans Abbruch thun lassen würde. 
Man hat auf der Conferenz nicht genug an die militärische 
Lage der Türkei gedacht; man hat nicht hinlänglich den Ge- 
danken erwogen, daß die türkischen Truppen die Sieger über 
Serbien sind, daß sie die Montenegriner auö der Herzegowina 
vertrieben, daß die türkische Gewalt, wenn auch in barbarischer 
so doch in sehr wirksamer und wahrscheinlich endgültiger Weise 
die revolutionären Bestrebungen in Bulgarien unterdrückt hat; 
man hat nicht an das furchtbare Panzergeschwader unter dem 
Befehl eines Seemanns ersten RangS, Hobbart Pascha, ge- 
dacht — ein Geschwader, welches die Fahrt durch daS Schwarze 
Meer für die Russen sehr gefährlich, wenn nicht unheilvoll, 
machen kann; man hat nicht daran gedacht, daß die 300,000 
Mann solide Truppen, welche so furchtbare Stellungen, wie 
den Balkan vertheidigen, und sich auf eine so feste erste Ver- 
theidigungSlinie wie die Donau stützen, schwer in die Wage 
fallen, und dem Widerstand der Pforte eine gewisse Kraft ver- 
leihen müssen. Man hat vielleicht auch die Schwierigkeiten und 
Langsamkeit der russischen Mobilmachung mit dieser sehr gün- 
stigen militärischen Lage der Pforte nicht in Vergleich gebracht, 
und den eigenthümlichen Umstand nicht gehörig beachtet daß, 
in dem Augenblick wo die AnlehnSversuche der russischen Re-
	        

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