Volltext: Liechtensteinische Wochenzeitung (1877)

treue der meisten Abgeordneten des letzten Landtages zu ver 
dächtigen ! 
Wenn ein solches Vorgehen in unserem Ländchen Anklang 
finden könnte und jeder Abgeordnete seine Ueberzeugung nur 
nach der Wetterfahne zu richten hätte, dann würde wahrlich 
jeder gefinnungStüchtige Mann im Lande sich scheuen, jemals 
die Schwelle des LandtagSjaaleS zu betreten. 
Dr. Rudolf Schädler. 
Ausland. 
Ueber das resultatlose Ende der Konferenz in Konstantinopel 
haben wir bereits berichtet. Seither find nun auch endlich die 
Botschafter und Konferenzdelegirten zur ^ mündlichen Bericht- 
erstattung" auf der Heimreise begriffen. 
Inzwischen hat der russische Kanzler Fürst Gortschakoff ein 
Rundschreiben an die Vertreter Rußlands im Auslände vom 
Stapel gelassen. Das Rundschreiben und der durch dasselbe 
angeregte Ideenaustausch scheint die letzte Phase vor dem Kriege 
zu sein, der letzte voraussichtlich vergebliche Versuch, die Mächte 
zu bestimmen, daß sie die Last der „Arbeit" auf ihre Schultern 
gemeinsam mit Rußland vertheilen mögen. 
Die neueste Depesche aus Konstantinopel bringt die über- 
raschende Mittheilung: daß der türkische Großwessier 
Midhat Pascha (der Schöpfer der neuen türkischen Ver- 
fassung) gestürzt wurde unv sofort inS Ausland ab 
gereist ist. Edhem Pascha wurde zum Großwessier ernannt. 
Der Sturz Midhaj Paschas wird dem Einflüsse Rußlands 
zugeschrieben. 
Nachträglich melden wir noch, daß die Türkei mit Serbien 
und Montenegro Friedensunterhandlungen angebahnt hat, ob 
dieselben wirklichen Erfolg haben werden, erscheint zum minde- 
M zweifelhaft zu sein. 
AUS Oesterreich meldet ein Wienertelegramm vom 6. d. 
MtS, daß vie Verhandlungen bezüglich der Bankfrage mit ven 
uttMtMen Ministern zunächst ohne Resultat endeten. Die 
HiMDig der Verhandlungen sei zweifelhaft. 
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Verschiedenes. 
» Lord SaliSbury als Adoptivvater. Eine Kor- 
respondenz deS , Journal de Geneve" erzählt folgende charakte 
ristische Anekdote von dem englischen Bevollmächtigten, MarquiS 
of SaliSbury: „Bor einigen Tagen bemerkten die Aufwärter 
im Hotel Royal, wo der MarquiS wohnt, am Thore zwei 
sorgfaltig bedeckte Körbe. ES waren zwei neugebsrne Kinder, 
welche unter ven Schutz Großbritanniens gestellt wurden. Von 
diesem gewiß höchst undiplomatischen Besuche unterrichtet, er- 
laubte SaliSbury, daß die beiden armen Geschöpfe zu ihm ge- 
bracht würden. Er lächelte bei ihrem Anbllck und sagte dann: 
i,3ch behalte sie für mich." Diese wenigen Worte entrissen 
zwei menschliche Wesen dem Tode oder dem Elend, um sie viel- 
leicht in Wohlstand zu versetzen. Alle verfügbaren Ammen 
wurden vorgerufen, und der gute MarquiS nahm sich die Mühe, 
die beiden besten herauszusuchen, denen er bedeutete, daß sie 
ihm mit den beiden Kindern nach London zu folgen hätten." 
* (Zotale Mondfinsterniß) Am 27. Februar stn- 
det eine gänzliche Mondfinsterniß statt, die bei günstiger Witte- 
rung deßhalb besonders bequem durch ihren ganzen Verlauf 
zu beobachten ist, weil der Mond bei Beginn der Erscheinung 
bereits hoch über dem Horizont steht, und das ganze Schau- 
spiel in den Abendstunden vor sich geht. Die Berliner „Volks- 
Ztg." bemerkt darüber: „Schon bei Sonnenuntergang, der an 
diesem Tag um 5 Uhr 34 Minuten vor sich geht, wird im 
Osten bereits der Vollmond bei klarem Horizont sichtbar sein, 
der um 5 Uhr 21 Minuten aufgeht. Der interessante An- 
blick den die beiden HimmelSgestirne stets darbieten wenn sie 
gleichzeitig im Osten und im Westen den Horizont berüh 
ren, ist dießmal recht geeignet auch dem Laien deutlich zu 
machen, daß der Schatten der Erdkugel, welche zwischen 
Sonne und Mond steht, den Mond treffen und ihm das 
Sonnenlicht nehmen müsse. Der Mond befindet sich be- 
reitS um diese Zeit im Halbschatten der Erdkugel, wenngleich 
dieß für unser Auge wenig bemerkbar ist. Die wirkliche 
Verfinsterung beginnt erst wenn der Mond in seiner Bewegung 
um die Erde in den Kernschatten derselben eintritt, waS um 6 
Uhr 23 Minuten der Fall ist. Hienach bemerkt man sehr bald 
auch mit bloßem Auge wie der untere Rand deS Vollmonds 
sich zu verfinstern beginnt, als ob eine schwarze Scheibe sich 
vor die helle Mondkugel schiebe. Der finstere Ausschnitt wächst 
nun mehr und mehr, und schreitet wachsend fort, so daß die 
helle Mondscheibe nach und nach zu einer schmalen Sichel mit 
trübem Lichte wird. Endlich um 7 Uhr 20 Minuten ver 
schwindet auch der letzte helle Streifen, und es beginnt die 
gänzliche Verfinsterung, welche über 1 % Stunden anhält. Zu 
weilen wird der völlig verfinsterte Mond ganz unsichtbar, zu- 
weilen erscheint er jedoch bei gänzlicher Verfinsterung in einem 
auffallend rothen Licht, als ob sein sonstiger Silberstrahl sich in 
glühendes Kupfer verwandelt hätte. Die Wissenschaft lehrt 
uns. daß dieses rothe Licht von Sonnenstrahlen herrührt, welche 
durch die Atmosphäre der Erde von ihrer Bahn abgelenkt wor- 
den, und in den Schattenkegel hineinfallen durch welchen der 
Mond wandert. Daß dleseS Licht nicht immer sichtbar wird, 
rührt wahrscheinlich von Trübungen in der Erdatmosphäre her,, 
welche die Sonnenstrahlen nicht durchlassen. Um 3 Uttr 57 
Minuten wird wiederum der zuerst verfinstert gewesene Theil 
der Mondkugel Helles Sonnenlicht empfangen und zu leuchten 
anfangen. Nunmehr wachs, die Mondscheibe wieder nach und 
nach an, und um 9 Uhr 54 Minuten verschwindet der letzte 
Hauch der Verfinsterung, und der Vollmond strahlt in unge- 
trübtem Glänze." 
* Der Briefverkehr der Welt. Auf der ganzen 
Erde werden im Durchschnitt 5,3^0,000 Briefe per Woche, 
resp. 300,000 Briefe per Stunde expedirt. Diese kolossalen 
Ziffern repräsentiren einen jährlichen Verbrauch von mehr als 
23 Millionen Kilogramm Papier, vorausgesetzt, daß jeder Brief 
daS Minimalgewicht besttzt. 
Verantwortlicher Redakteur u. Herausgeber: vr. Rudolf Schädler 
Thermometerstand nach Reaumnr in Badnz. 
Monat 
Morgens 
7 Uhr 
Mittags 
12 Uhr 
Abends 
6 Uhr 
Witterung. 
Jänner 31. 
+ 
+ 1 % 
0 
trüb; Nwd. 
Februar 1. 
— 2 
+ 2 
+ Vi 
fast trüb 
- 2. 
0 
+ 2 
+1 
trüb 
» 3 
+ i 
+ 4 
+ 2 
9 
. *■ 
+ 2 
-|— 5 
+ ^ 
n 
. 5, 
0 
+ 3% 
— 1 
halb hell 
n 
— 2 
+ 3 
0 
trüb; schneit. 
Telegrafischer Kursbericht von Wien. 
7. Februar Silber 115 25 
20-grankenstücke 9.87 
Druck von Heinrich Graff in Feldtirch.
	        

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