Volltext: Liechtensteinische Wochenzeitung (1877)

Zar und den Sultan, obwohl sie über alle Fragen übereinstim- 
men mögen, verhindern, den gewünschten Frieden herbeizuführen. 
Man sagt, das militärische Ansehen Rußlands erheische die Fort- 
setzung des Krieges; meines Erachtens hängt das militärische 
Ansehen nicht von einem einzelnen Siege ab, denn ein solcher 
kann vom Zufall oder vom Glück abhängen, und kann selbst bei 
fähigen Befehlshabern von vorübergehenden Umständen abhängen. 
Aber die wahre Grundlage des militärischen Ansehens ist meines 
Erachtens: wenn ein großes Land und eine Mächtige Regierung 
über die militärischen Dienste einer braven, entschlossenen, diszi- 
plinirten Nation verfügt. Welche Zufälligkeiten auch in die- 
fem Kriege vorkommen mögen, so kann doch Niemand von dem 
russischen Soldaten sagen, daß er sich nicht ausdauernd, diszi- 
plinirt und muthvoll erwiesen habe; die Russen seien selbst tapfer 
bei Niederlagen. Unter allen Umständen kann ich nicht ver- 
stehen, daß das militärische Ansehen Rußlands. gelitten habe. 
Sie werden mir. sagen: „Wenn Sie wirklich keine sichere Hoff- 
nung haben, wie können Sie dann die Bürger Londons ermuthi- 
gen, indem Sie nur eine problematische Hoffnung auf die Wie- 
derherstettung des Friedens geben?" Ich antworte auf jene Frage, 
wie Walpole einem Mann antwortete, der ihm seine Drangsale 
klagte und sagte: er habe keine Hoffnung. Walpole sagte ihm: 
»Versuchen Sie es ein wenig- mit Geduld." Hinsichtlich des 
Krieges habe die Regierung Hoffnung und Geduld, und er hoffe, 
daß die Zeit nicht sehr ferne sein dürfe, wo wir mit den übri- 
gen Mächten Europas zur Lösung der Schwierigkeiten beitragen 
können, um nicht nur den Frieden, sondern auch die Unabhängigkeit 
Europa's zu sichern. (Beifall.) Lord Beaconsfield schloß mit 
den Worten: Das englische Volk dürfe stolz sein auf seine per- 
sönlichen Privilegien und politischen Rechte, auch stolz darauf, 
einem Reiche anzugehören, welches durch die Energie der Vor- 
fahren geschaffen worden, uud das es entschlossen sei aufrechtzu- 
erhalten. 
Frankreich. Die französischen Kammern sind am 7. d. 
eröffnet worden, ohne daß eine Botschaft des Präsidenten verle- 
sen wurde. 
Das bisherige Ministerium ist auf seinem Posten geblieben, 
Am vor den Kammern seine bis jetzt eingehaltene Politik zu 
vertheidigen. 
Die schroffe und bis zur Spitze getriebene feindselige Hal- 
tung zwischen den Republikanern und Conservativen, dann die 
unglückselige. Zersplitterung in der konservativen Partei selbst, 
lassen eine sehr bedeutungsvolle Krisis in Frankreich erwarten. 
Die Kammer hat sich bereits constitüirt und es werden da- 
her entscheidende Ereignisse in Bälde eintreten können. 
Oesterreich. Der in Aussicht gestellte „Gesetzentwurf be- 
treffend den allgemeinen Zolltarif des österr.-ungar. Zollgebietes" 
ist vom „Wiener Tagblatte" veröffentlicht worden und wird 
nunmehr im Reichstage zur verfassungsmäßigen Behandlung 
kommen. Der Entwurf hat eine ausgesprochene schutzzöllnerische 
Tendenz. Nach demselben sind von Neujahr 1878 an die Zölle 
in Gold zu entrichten. Hauptsächliche Erhöhungen haben die 
sogen. Finanzzölle (d. h. jene Zölle, die auf Verbrauchsgegen- 
stände gelegt werden, welche im eigenen Lande nicht erzeugt wer- 
den, oder die wenigstens so beschaffen sind, daß sie nicht zur un- 
mittelbaren Nothdurft des Lebens gehören) erfahren. Dahin 
gehört z. B. der Kaffee. Auch das Petroleum soll eine wesent 
liche Zollerhöhung erfahren. Es ist vorderhand abzuwarten, 
welche Stellung der Reichsrath gegenüber dieser übermäßigen 
Erhöhung der Finanzzölle einnehmen wird. 
Verschiedenes. 
* Eine Eisenbahn durch die Sahara. Wir leben 
in der Zeit der Ausführung von Riesen-Projekten, — schreibt 
die „Didaskalia"; Werke, deren Fertigstellung wir für unmög- 
lich gehalten, sind ausgeführt worden --- denken wir nur an 
die Legung des Kabels zwischen Europa und Amerika, die Durch 
bohrung des ^ Mont Cenis, den 22 Meilen langen Suezkanal 
und an die riesenhafte Eisenbahn, welche, den ganzen amerikani 
schen Kontinent durchschneidend, den Atlantischen und den Stillen 
Ozean miteinander verbindet. Obgleich zuerst mit Mißtrauen 
aufgenommen, haben wir uns nach und nach an solche Nene- 
rungen gewöhnt, und so wird man nichts Übermenschliches darin 
finden, wenn wir möglicherweise in einem Jahrzehnt nicht mehr 
auf schwankendem Schiff, sondern im behaglichen Eisenbahncoupe 
durch einen mächtigen Tunnel unter dem Meeresboden vom Kon- 
tinent nach Albions reichen Gefilden reisen. Ein Riesenprojekt, 
welches neuerdings anfgetaucht ist, betrifft die Erbauung einer 
Eisenbahn durch die Wüste Sahara. 
Gerhard Rohlfs, der berühmte Afrikareisende, ist es, welcher 
die Erbauung einer Eisenbahn von Tripolis nach den überaus 
reichen Ländern, die den Tsad-See im Herzen von Afrika um- 
geben, zuerst angeregt hat und heute noch befürwortet. Dieser 
berühmte Reisende hat die 300 Meilen lange Strecke, auf welcher 
die Eisenbahn anzulegen wäre, selbst begangen. Nach seinen 
Ausführungen bestehen die Hauptschwierigkeiten bei der Anlage 
dieser Bahn 1) in örtlichen Hindernissen, 2) in Kohlenmangel, 
3) in. der Feindseligkeit der Eingebornen. Alle diese Schwierig- 
keiten seien jedoch durch die geeigneten Mittel, wenn auch mit 
Mühe und großen Kosten, zu heben. Was den ersten Punkt 
anbelangt, so sind z. B. die Terrainverhältnisse der Eingangs 
genannten Pacific-Eisenbahn noch ungünstiger gewesen. Oem 
Kohlenmangel will Gerhard Rohlfs dadurch abhelfen, daß er 
vermittelst sehr großer drehbarer Brennspiegel die Sonnenstrahlen 
zum Sieden des Wassers benützt. So befremdlich das dem Un- 
eingeweihten auch klingen mag, so ist dies doch keinesfalls ein 
Hirngespinst, denn man hat schon vor Lahren die Sonnen- 
strahlen als Ersatz für Feuer ^u benützen gesucht und französische 
Techniker haben die Möglichkeit der praktischen Ausführung durch 
Experimente erwiesen. Wenn den letzteren dies sozusagen mit 
französischer Sonne schon möglich war, um wie viel mehr muß 
dies unter den intensiven Sonnenstrahlen des nie bewölkten Him- 
mels der Wüste Sahara möglich sein! Was schließlich den 
letzten Punkt, nämlich die Feindseligkeit der Bewohner, anbelangt, 
so glaubt unser Gewährsmann mit wenigen Forts, resp. den auf 
diesen befindlichen Kanonen, diesem Uebelstande vollständig ab- 
helfen zu können. Einer Frage jedoch, welche besonders in un- 
serer nach Gewinn trachtenden Zeit zuerst aufgestellt wird, müssen 
wir schließlich gedenken, nämlich der der Rentabilität. Auch hier- 
auf weiß uns Gerhard Rohlfs zu antworten. Allein schon durch 
die Ausfuhr von Produkten aller Art, welche in den überaus 
reichen Ländern um den Tsad-See vorkommen und welche ihrer 
Menge halber fast werthlos sind, wäre die Rentabilität gesichert; 
es sind dies hauptsächlich.Schwefel, Natron, Indigo, Getreide, 
Baumwolle, Nutzholz, Rinder, Häute, Elfenbein, Straußenfedern 
u. s. w. Nicht vergessen dürfen wir aber, daß außer dem ma- 
teriellen Nutzen, der uns durch die Ausfuhr, den die Bahn ver- 
mittelt, erwächst, auch die zivilisatorische Bedeutung einer solchen 
Eisenbahn für das innere Afrika von unberechenbaren Folgen wäre. 
* In Berlin ist eine unsinnige Wette, trotzdem der erste 
Versuch durch das Einschreiten der Frau des Uebermüthigen ver- 
eitelt wurde, nun doch zum Austrag gebracht worden. Ein Mann 
hatte nämlich gewettet, zwischen den Eisenbahnschienen liegend 
einen Eisenbahnzug über sich hinfahren lassen zu wollen. Er 
wurde wegen der Intervention seiner Frau von seinen Bekannten 
geneckt und glaubte selbst nicht eher beruhigt sein zu können, bis 
er den Streich vollführt hätte. Nur zwei Bekannte, von denen 
er einen Verrath nicht zu fürchten hatte, erfuhren von seinem 
Entschluß, und nun am Dienstag Abend begab sich das' Kleeblatt 
zu Wagen von Steglitz nach Südende, weil man auf dem Bahn 
körper der Dresdener Bahn sicher von einer erneuerten Ueber- 
raschung durch die Frau zu sein glaubte. Zwischen Südende 
und Marienfelde wurde die dunkelste Stelle herausgesucht, damit 
der Lokomotivführer das Vorhaben nicht entdecke. Mit Spannung 
V
	        

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.