Volltext: Liechtensteinische Wochenzeitung (1877)

tenstein'schen Regierung im empfehlenden Sinne an den Bundes- 
rath zu übermitteln." 
Ausland. 
Neue wichtige Nachrichten sind in dieser Woche vom Kriegs- 
schauplatze nicht zu melden. Die Lage der Türken ist eben im- 
mer noch sowohl in Bulgarien als in Asien eine sehr ungünstige. 
Die Belagerung von Plewna schreitet vorwärts, so daß man 
nach Mittheilungen aus Bukarest im russischen Hauptquartier 
hofft, Plewna bis in 14 Tagen zu Falle zu bringen. 
Kars in Asien «ist ebenfalls von allen Seiten umzingelt, 
wird aber noch nicht regelrecht belagert. 
Aus Bukarest, 6. Nov, geht der „Polit. Korr." fol 
gende interessante Mittheilung zu: „SDte seit einiger Zeit hier 
herrschende politische Windstille ist in den letzten Tagen einer 
sehr erregten Stimmung gewichen, welche ihre ebenso bedeutsamen 
als interessanten Motive hat. Man ist hier plötzlich zur Er- 
kenntniß gelangt was die unlängst offiziell in ganz harmloser 
Form gebrachte Meldung aus Poradim über eine neue Dislo- 
zirung der rumänischen Truppen vor Plewna eigentlich zu be- 
deuten habe. Diese „Dislozirnng" entpuppt sich heute als die 
Thatsache, bag, die rumänische Armee in zahllose kleine Abthei- 
lungen zersplittert und eine jede dieser Abtheilungen in verschie- 
dene russische Korps eingetheilt worden ist, so daß die Indivi- 
dualität der rumänischen Armee als solche zu bestehen heute 
aufgehört hat. In sehr maßgebenden politischen Kreisen ist man 
über dieses Faktum überaus bestürzt, um so mehr, als dasselbe 
nicht nur ohne die Zustimmung, sondern geradezu gegen den sehr 
prägnant ausgedrückten Willen jenes Elementes sich vollzog, 
welches nach den bestehenden Institutionen bei solchen Gescheh- 
nissen ein Wörtlein mit darein zu reden hat. Das dritte Alinea 
des Art. 92 der rumänischen Verfassung präzisirt genau und 
klar die Grenzen der Gewalten der Krone. In russischen Hee- 
reSabtheilungen inkorporirt, sagt man heute hier, wird die rumä- 
nische Armee von nun an keinen Namen mehr haben, und die 
durch ihre blutigen Opfer erkämpften Früchte werden nicht dem 
Lande errungen sein. ES fanden in den jüngsten Tagen über 
diesen Gegenstand in maßgebenden Kreisen sehr eingehende konfi- 
dentielle Berathungen statt, ohne daß eS jedoch bei der unendlich 
delikaten Natur desselben bisher zu irgend einem Entschluß ge- 
kommen wäre." 
Den neuesten Angaben St. Petersburger Blätter über die 
russischen Verluste zufolge sind auf dem europäischen Kriegs- 
schauplatze vom 26. Okt. bis 1. Nov.: 32 Generale und Of 
fiziere gefallen und 138 Generale und Offiziere, sowie 5 (?) 
Untermilitärs verwundet worden, während außerdem noch 3 Of- 
fiziere und 2686 Untermilitärs aus der Fronte schieden. Ein- 
schließlich der früheren Angaben beziffert sich der bisherige Ge- 
sammtverlust der Russen auf 64,801 Mann. 
„Daily News" meldet aus Alexandrapol, 31. Okt.: 
„Die Besatzung von Kars hat die Uebergabe verweigert und die 
Belagerungsarbeiten beginnen jetzt. Inzwischen wird eine Ka 
nonade geführt. KarS ist mit Lebensmitteln und Munition gut 
versorgt, die Besatzung besteht aus etwa 10,000 Mann. — 
Zwei englische Aerzte, die KarS verlassen hatten, wurden von den 
Russen angehalten und heute nach Hause geschickt." 
Die Reformfähigkeit der Türkei ist der Titel 
eines Buches, welches einer der ausgezeichnetsten Kenner des 
Orients, Vambery, jüngst herausgegebeu hat. Die „Köln. 
Ztg.", welche diesem Werke eine Besprechung widmet, zieht fol- 
genden, für die Russen sehr wenig schmeichelhaften Vergleich mit 
den Türken: „Wer ist es, der die Zivilisation auf der Spitze 
des Schwertes einführen will? Die Russen, ein Volk, welches, 
was die Volksmassen betrifft, nicht blos an Charakter, sondern 
auch an Bildung von den Türken entschieden übertroffen wird. 
% Lesen und Schreiben zum Beispiel sind unter den Türken viel 
allgemeiner verbreitet als unter den Russen. Als Reformer kam 
im Gefolge des russischen Heeres der bekannte Panslavist Fürst 
Tscherkaßky mit vierhundert Beamten aller Grade. Und was 
berichten sie jetzt selbst über die Bulgaröi, die sie organisiren 
sollen? Die Verwaltung sei von den Türken eigentlich ganz gut 
eingerichtet, ja, man müßte sie musterhaft nennen, wenn nicht 
Manches blos auf dem Papier stehe. Als ob nicht gerade Ruß- 
land das Land, wo das Meiste blos auf dem Papier steht und 
als ob nicht anerkanntermaßen die russischen Tschinowniks (Be- 
amten) eine ganz verdorbene Menschenklasse wären! Und daS 
sollen die Beglücker der Bulgare! sein; die sollen ein Volk re- 
formiren, das immerhin genug Fähigkeit zu einer selbständigen 
Reformarbeit in sich trägt!" Vambery aber, auf dessen Autorität 
sich vorstehendes Urtheil gründet, erklärt es für. seine gewisseste 
Ueberzeugnng, daß einem Volke, das so viel. Aufopferung bewie- 
sen, eS nicht schwer, zum mindesten nicht unmöglich werden würde, 
die Energie und Selbstverleugnung, mit welcher eS sein Recht 
vertheidigt, auch zur Begründung seiner staatlichen Existenz auf 
dem Gebiete des Friedens anzuwenden. 
England. Viel von sich reden macht gegenwärtig die 
Ansprache, in welcher der englische Ministerpräsident Lord Bea- 
consfield bei dem Lord Mayors-Bcinkett am 9. d. die Orient« 
frage behandelte. Er berührte zuerst die Hungersnot!) in Indien 
und das bei dieser Gelegenheit gegebene Beispiel nationaler Sym- 
pathien. Dann gab er einen Ueberblick über die diesjährigen 
Ereignisse des Orientkrieges und sagte: Beim Ausbruch des 
Krieges habe die Regierung sofort ihre Politik angekündigt, und 
sei von dieser niemals abgewichen; diese Politik sei die bedin- 
gungsweise Neutralität. Wir haben gleichzeitig erklärt: die Neu- 
tralität müsse aufhören, sobald britische Interessen angegriffen 
oder bedroht werden sollten. Unsere Politik wurde als eine selbst- 
süchtige getadelt; aber ist sie selbstsüchtig, so ist sie ebenso pa- 
triotisch. Die Regierung glaubt, daß es ihre Pflicht ist, die 
britischen Interessen im Auslande zu schützen, und daß dies eine 
von der Stimme des Landes gebilligte Politik ist. Unter den 
Gründen, welche die Regierung bestimmten, diese Politik zu adop- 
tiren, gab es einen hauptsächlichen. Er glaube, daß die Politik 
der Regierung gleich vortheilhaft für England wie für die Türkei 
sei. Seit einigen Jahren war ein Dogma, die Diplomatie der 
Türkei sei eine Mythe, die Regierung derselben ein Phantom, ihr 
Volk erschöpft, und sie werde von den Staatsmännern nur als 
Mittel gebraucht, um das angebliche Gleichgewicht zu erhalten 
und den europäischen Frieden zu sichern. Wäre dem so, so wäre 
dieß eine Wiederholung dessen, was sich im Krimkrieg ereignete; 
das würde ein großer Fehler gewesen sein; es sei das beste ge- 
Wesen, daß die Welt sich vom Zustand der Türkei überzeugte. 
Die Türkei habe seit Jahresfrist gezeigt, daß sie Kraft und 
Hülfsquellen besitzt, deren Anerkennung sie beanspruchen könne. 
Die Forderung der Unabhängigkeit der Türkei sei vor Jahres- 
srist ein Gegenstand des Spottes gewesen; aber wie auch das 
Kriegsglück ausfallen möge, das veränderlich wie der Mond, so 
werde die Aufrechterhaltung der Unabhängigkeit der Türkei nicht 
mehr bezweifelt: eine halbe Million türkischer Soldaten habe sie 
bewiesen. Was die Friedensaussichten unter den obwaltenden 
Verhältnissen anlange, so verzweifle er nicht daran und fühle sich 
selbst ermuthigt nicht daran zu verzweifeln, Mm er sich an das 
Verhalten det Staatshäupter der beiden kriegführenden Theile 
erinnere. Am Vorabend des Krieges erklärte der Kaiser Alexan- 
der: Sein einziger Zweck sei, die christlichen Unterthanen der 
Pforte zu schützen, und daß er sein kaiserliches Wort und seine 
Ehre verpfände, daß er keinen Gebietszuwachs anstrebe. Ebenso 
wenig kann ich vergessen, daß der Sultan sich in der formellsten 
Weise bereit erklärte, alle Veränderungen zu bewilligen, welche 
den Christen dikse Sicherheit und Wohlfahrt geben die der Zar 
allein wünscht. Angesichts solcher feierlichen und ernsten Erklä- 
rungen beider jetzt streitenden Souveräne glaube er das Recht zu 
haben, zu sagen, daß der Friede kein unmögliches oder noch fer- 
neS Ereigniß sei. ES können Schwierigkeiten bestehen, die den
	        

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