Türken daran hat, läßt sich noch nicht sagen. Die Russen
werden wohl ihren Sieg rasch verfolgen, zunächst wieder Kars
cerniren nnd dann nach dem Südwesten auf Erzerum losmar-
schüren. Außer dem offiziellen russischen Bericht über die tür-
tische Niederlage liegt folgende ausführlichere Meldung des
Korrespondenten der „Daily News" im russischen Hauptquartier,
aus Karajal vom 15. Abends, vor: „Am 9. begann General
Lazareff mit 27 Bataillonen Infanterie und 40 Geschützen eine
Flankenbewegung von hier hinter dem Aladscha Dagh nach der
Anhöhe Awlias und Wisinkiöi. Gestern Nacht meldete er durch
den Feldtelegraphen aus dem Dorfe Basardschik daß Mukhtar
Pascha mit überlegenen Streitkräften ihm gegenüberstehe, und bat
um Unterstützung. Daraufhin begannen heute früh unsere Trup-
Pen einen Angriff auf die türkischen Stellungen, und nach einem
heftigen.Geschützfeuer unseres linken Flügels mit den Batterien
am Aladscha Dagh gingen wir zum ernstlichen Sturmangriff ge-
gen die Höhe von Awlias und die Redoute über. Bei Kenant
im Centrum der türkischen Stellung, gab es ein geschickt geleitetes
Artillerie-Gefecht auf zwei Werst Abstand, in welchem nur Schrap-
nels mit vorzüglicher Wirkung verwendet wurden Um Mittag
erstürmten die kaukasischen Grenadiere unter General Heymann
die Awlias-Höhe und Redoute mit großem Erfolge. Erstere
wurde von unseren Truppen besetzt, wobei uns drei Krupp-Ge-
schütze in die Hände fielen; die aus ihren Stellungen in Un«
ordnung fliehenden Türken wurden überall scharf verfolgt. Das
vierte Ezinköi'sche Regiment besetzte den Aladscha Dagh und griff
das türkische Lager an, welches es eroberte. Der Feind floh
ungeordnet in drei Richtungen, nachdem er in seinem Rücken
von Kars abgeschnitten war. Morgen wird die Verfolgung fort-
gesetzt. Bisher fehlt es noch im Lager an Nachrichten von
General Lazareff."
Zur Lage auf dem Kriegsschauplatz in Bulgarien schreibt
das „Journ. des Debats":
„Es scheint sicher, daß die Russen entschlossen sind einen
Winterfeldzug zu unternehmen oder wenigstens ihre Stellungen
bis zum Frühling festzuhalten. Nach der Ansicht aller kompe-
tenten Männer und aller Kriegskorrespondenten wird sie dieses
Vorhaben theuer zu stehen kommen. Man erinnert daran, daß
im Jahr 1853 der Kampf von Oltenitza "im November und
der von Kalafat im Januar geliefert wurden. Das ist richtig;
aber es ist widersinnig, isolirte Kämpfe, einzelne Aktionen mit
einem Ganzen nach einem allgemeinen Plan entworfener und
ausgeführter Operationen vergleichen zu wollen. Während der
Aufhellungen, die auch in den strengsten Wintern eintreten, kann
man wohl diesen oder jenen Handstreich versuchen, und was im
Jahr 1853 geschah, läßr sich auch im Jahr 1877 versuchen;
aber ist das der Gedanke der Russen? Wollen sie nicht viel-
mehr, trotz der Unbilden des Wetters, den begonnenen Feldzug
fortsetzen? Bereiten sie sich nicht vor, gegen die Türken und die
Elemente zugleich zu kämpfen? Bisher schon haben sie viel Un-
glück gehabt Das Wetter ist immer gegen sie gewesen. Der
Frühling begann verspätet, der Winter dagegen schrecklich rasch.
Schon jetzt machen Regen, Schnee und Stürme den Aufenthalt
in Bulgarien sehr schwierig. Die Donaubrücken sind bedroht,
und die Kommunikationen der Jnvasionsarmee sogar zwei oder
drei Tage lang unterbrochen. Alle Korrespondenten vom Kriegs-
schauplatz entwerfen ein trauriges Bild von dem Zustande der
Straßen und der Ungesundheit des Landes. Vom Schnee fällt
man in den Koth. „ Oie russischen Soldaten," schreibt der
„Globe", „sind in einer bejammernswerten Lage; halb ver-
hungert, halb erfroren, Tag und Nacht einem schrecklichen Klima
ausgesetzt; so verschlechtert sich ihr Gesundheitszustand immer
mehr." ~ Uebertreibt der „Globe"? Das ist nicht wahrscheinlich.
Die „Times" behauptet ihrerseits, daß in den letzten drei Wo-
chen 15,000 Mann Leiden und Krankheiten erlegen sind. Ebenso
berichtet die russenfreundliche „Daily News". Im allgemeinen
berechnen die englischen Depeschen, daß täglich etwa 200 Mann
von der Plewna-Armee in die Spitäler verbracht werden und
kaum 20 aus denselben zurückkommen. Für eine einzige Armee
beträgt der Verlust alle fünf Tage also 1000 Mann. Und wir
stehen erst am Beginn der schlechten Jahreszeit? Wenn der
Plan der Russen, während des Winters in Bulgarien zn blei-
ben, festzustehen scheint, so ist man dagegen sehr verschiedener
Ansicht über das was zunächst zu geschehen habe. Plewna vor
allem ist der Stein des Anstoßes für die Jnvasionsarmee. Nach
allgemeiner Ansicht ist dasselbe das Sebastopol der Türkei. "
Ein Österreich. Blatt, welches eine Begleichung anstellt-, welche
im Ausland großen Beifall gefunden hat, die wir aber nicht ohne
Schmerz wiedergeben können, bemerkt, daß Plewna bereits einen
Widerstand bethätigt hat, der über den von Metz hinausgeht.
Mehr als ein Monat ist seit dem letzten Angriff verflossen;
zwischen diesem und dem vorhergehenden waren 6 Wochen ver-
strichen. Man kann danach die Verluste Rußlands bei jedem
dieser Versuche bemessen. Ueber die Art und Weise wie Plewna
.zu nehmen sei herrschen getheilte Ansichten. Man schlägt drei
Lösungen vor: 1) die Eröffnung einer regelmäßigen Belagerung
mit Approchen, Trancheen, Parallelen, Sturmangriffen u. s. w.;
2) einen neuen Angriff nach der Art der bisher versuchten; 3)
die Cernirung Osman Pascha's, um ihn durch Hunger zur Ka-
pitulatiou zu zwingen. Alle diese drei Lösungen sind gleich ge-
wagt. Eine regelmäßige Belagerung würde ins Unendliche dauern
und ungeheure Opfer fordern. Die Türken haben das Klima
zum Verbündeten. Wie Trancheen in einem eiserstarrten und
mit Schnee bedeckten oder durch Aufgefrieren durchnäßten und in
Koth verwandelten Boden graben? Wie die Soldaten inmitten
solch ungesunder Arbeiten am Leben erhalten? Und wir sprechen
hier nur noch von den besonderen Schwierigkeiten, die bei Plewna
eintreten können; aber die belagernde Armee dürfte gleicherweise
den allgemeinen Gefahren einer Ueberwinterung in Bulgarien
ausgesetzt sein. Zudem vergißt man, wenn man Plewna mit
Sebastopol vergleicht, daß letzteres durch eine dominirende Stel-
lung beherrscht wurde und die Einnahme des Malakoff über.den
Ausgang der Belagerung entschieden hat. Um Plewna zum Fall
zu bringen, müssen nach einander zwanzig Redouten, ähnlich 'der
von Griwitza, genommen werden, an welcher sich die rumänischen
Truppen seit einem Monat vergeblich abmühen. Der Plan eines
neuen Sturmes auf Plewna verdient keine weitere Erörterung.
'Sollten die Russen ihn noch einmal versuchen, so würden sie eine
dritte (Es wäre die vierte D. R.) Niederlage erleiden, da die Ver-
Hältnisse seit ihren erste« Niederlagen sich nicht geändert haben.
Diesmal würde eine Niederlage für sie geradezu ein tödtlicher
Schlag, dem sie sich nicht thörichterweise werden aussetzen wollen.
Es bleibt nur die Einschließung übrig. Aber alles, was in deu
letzten Wochen sich begeben hat, beweist, wie recht wir haben,
wenn wir sagen, daß zu einer- Cernirung Plewna's eine Armee
von 150,000 Mann nothwendig wäre. Die russischen Streit-
kräfte reichen nicht dafür aus. Allerdings hat man feit einigen
Tagen viel von einem Kavalleriekorps unter dem Kommando des
Generals Gurko gesprochen, von dem man die allergrößten Dienste
erwarte. Aber der Korrespondent der „Polit. Korresp.", eines
den Russen ganz ergebenen Blattes, bemerkt mit Grund, daß es
absurd wäre, wollte man eine Einschließung Osman Paschas
mittelst Kavallerie für möglich halten. Schestet Pascha ist es
gelungen, mit einem ungeheueren Eonvoi von Vorräthen und
Munition, eskortirt von 24 Bataillonen in Plewna einzurücken;
er hat mit Osman Pascha einen Kriegsrath gehalten, ihm einen
Theil seiner Streitkräfte überlassen und sich dann ruhig auf
Orkhanje zurückgezogen. Die ganze russische Kavallerie hat seinen
Marsch nicht aufhalten können. Es ist übrigens wahrscheinlich,
daß, wie unser Korrespondent meldet, das Korps des Generals
Gurko zur Hauptaufgabe hat, den Rückzug der russischen Trup-
Pen, welche den Schipka-Paß besetzt halten, zu Hecken Dabei
darf man nicht vergessen, daß die wichtigen Punkte auf der
Straße von Plewna nach Sophia über Orkhanje mit Verschan-