Volltext: Liechtensteinische Wochenzeitung (1877)

neueste Depesche Mukhtar Paschas gibt den Verlust der Russen 
auf 15000 Mann und den der Türken auf 2500 an. Die 
„N. Fr. Pr." bemerkt über diese Kämpfe: 
„Seit der mißglückten Offensive, welche Loris-Melikoff und 
Tergukassoff gegen Erzerum unternahmen, und seitdem es dem 
militärischen Geschick Mukhtar Paschas gelungen ist, die Russen 
in mehreren glücklichen Gefechten zu schlagen und sie schließlich 
auch Eude Juli zur Aufhebung Iber Belagerung von Kars zu 
zwingen, herrschte in dem Räume zwischen Kars-Tschai und 
Arpa-Tschai verhältnißmäßig Ruhe. Die beiden Armeen standen 
sich zwei Monate lang mit schußbereiten Waffen gegenüber, wäh- 
rend welcher Zeit es Mukhtar Pascha durch einige glückliche Ge^ 
fechte abermals gelang, die Russen aus einigen vorteilhaften 
Positionen zu vertreiben, und insbesondere den Berg Kisil-Tepe, 
welcher ihnen wie ein Pfeil im Fleische sitzt, zu erobern. Wäh- 
rend dieser Zeit zogen die Russen ununterbrochen Verstärkungen 
an sich, insbesondere die 1. Grenadier-Division aus Moskau 
und die 40. Division aus Stawropol. Anfangs September 
ftaub die Armee des Generals Melikoff in zwei Corps getheilt, 
und zwar das Nordcorps mit 28 Bataillonen bei Paldirwan 
auf der von Kars nach Alexandrapol führenden Straße, während 
das Südcorps mit 21 Bataillonen 15 Kilometer weiter südlich 
sich in der Position von Ughnzln-Bairaktar befand. Nach Ein- 
langen der oben erwähnten Verstärkungen haben die russischen 
Generale den Plan gefaßt, von Paldirwan aus — also längs 
der Straße nach Kars — über den linken Flügel Mukhtar 
Paschas herzufallen, diesen zu schlagen und hiedurch die türkische 
Armee, welche in der Richtung von Keribone gegen Ani auf den 
dort befindlichen Bergabhängen stand, von Kars abzudrängen. 
Der Angriff der Russen wurde am 2. d. durch die Eroberung 
des großen Jagnilar-Berges, welcher nur von einem türkischen 
Bataillon ohne Geschütze vertheidigt wurde, eingeleitet. Alle 
weiteren Versuche der Russen, an diesem Tage auch den kleinen 
Jagnilar-Berg auf dem linken türkischen Flügel und den Kisil- 
Tepe, welcher vor dem türkischen Centrum liegt, zu nehmen, er- 
wiesen sich als resultatlos. Ebenso wurde ein Angriff, welchen 
der russische linke Flügel von Arpatschai aus unternahm und 
welcher den türkischen rechten Flügel bedrohte, zurückgewiesen. 
Am 3. d. scheint außer einem unbedeutenden Kampfe, ebenfalls 
auf dem rechten türkischen Flügel, nichts vorgefallen zu sein. 
Am 4. Oktober räumten die Russen den großen Jagnilar-Berg, 
angeblich wegen Wassermangels, in der That aber weil sie, an- 
gesichts der Resultatlosigkeit ihrer anderen Angriffe, nicht im 
Stande waren, die weit vorgeschobene Position zu halten. Noch 
an demselben Tage scheint nun der türkische linke Flügel zur 
Offeusive übergegangen zu sein. 
Türkei. Ueber eine Audienz welche Gras Zichy der österr. 
Botschafter am 20. September bei dem Sultan Abdul Hamid 
hatte, wird dem Pester Lloyd aus Konstantinopel geschrieben: 
„Man sagt daß Graf Zichh dem Großherrn die guten Dienste 
der österreichisch-nngarischen Regierung bezüglich eines Waffen- 
stillstandes angeboten hätte, und daß Abdul Hamid einer even- 
wellen Mediation nicht abgeneigt wäre. Wie mir jedoch von 
berufener Seite versichert wird, hat Graf Zichy durchaus keine 
Instruktionen gehabt dem Sultan irgendwelche Mediationsvor- 
schlüge zu machen. Graf Zichy hat sich nach Dolma-Bagdsche 
begeben, weil er vom Sultan ausdrücklich hiezu eingeladen wurde. 
Daß bei dieser Audienz von der brennenden Tagesfrage, vom 
Kriege, gesprochen wurde, ist ganz selbstverständlich; ebenso 
selbstverständlich ist es auch daß Graf Zichh die Ideen des 
Sultans in dieser Richtung zu sondiren bemüht war, um die- 
selben, wenn sie friedlicher Natur sind, als Anknüpfungspunkt 
zu einer näheren Auseinandersetzung zu benützen. Abdul Hamid 
soll jedoch unfern Botschafter nicht lange im Unklaren gelassen 
und in ungefähr folgenden Worten seiner Neigung zum Frieden 
Ausdruck gegeben haben: „Ich bestieg den Thron unter außer- 
ordentlich kritischen Verhältnissen; das Reich war in Folge jähre 
langer Mißwirtschaft finanziell zerrüttet, der Krieg mit Serbien 
und Montenegro war ausgebrochen und in Bosnien und der 
Herzegowina nahm der Aufstand immer größere Dimensionen an; 
meine Armee hat Serbien bezwungen, und ich habe auf Jnter- 
vention, namentlich der österreichisch-ungarischen Regierung, diesem 
Vasallenstaate den Frieden wieder gegeben, ohne die Siege meiner 
Armee auszunützen und ohne in den Besitz jener Garantien zu 
gelangen welche geeignet waren die Ruhe meines Reiches vor 
einem Rückfall dieses treubrüchigen Ländchens sicherzustellen. Auch 
mit Montenegro wollte ich Frieden machen, und bin zu diesem 
Zwecke bezüglich der an mich gestellten Ansprüche bis zur äußersten 
Grenze gegangen; russische Einflüsse paralysirten jedoch alle meine 
Bemühungen,, und die Banden Nikitas morden noch immer nach 
Herzenslust unschuldige Muselmänner und verheeren einen Theil 
meines Reiches. Was Rußland anbelangt, so ist es in mein 
Reich eingefallen unter dem erheuchelten Borwand die slavischen 
Brüder vom türkischen Joche zu befreien, die Vorsehung hat je- 
doch die gerechte Sache beschützt und meiner opferwilligen Armee 
zu den glänzendsten Siegen verholfen; nichtsdestoweniger bin ich 
bereit, um weiteres Blutvergießen zu vermeiden, Frieden zu machen, 
natürlich einen Frieden welcher meine Würde und die Unab- 
hängigkeit meines Reiches zu wahren geeignet ist. Ich habe den 
Krieg nicht provozirt, er wurde mir von meinem unversöhnlichen 
Feind aufgedrungen, und ich hätte also das volle Recht erobertes 
Gebiet meinem Land einzuverleiben; so könnte ich z. B. Suchum 
Kale und den ganzen Theil der von meinen Truppen besetzten 
Distrikte annektiren, allein mein Reich ist groß genug und ich ver- 
zichte auf jede Annexion im Interesse des Friedens; ich habe 
40,000 kaukasische Familien muselmännischen Stammes nach der 
Türkei transportiren lassen, um dieselben der Rache Rußlands 
zu entziehen; ich habe diese Familien nicht zur Revolte gegen 
ihre Autorität aufgereizt, kein Manifest an sie, so wie Zar Ale- 
xander an die Bulgaren, gerichtet; diese Stammesbrüder haben 
sich beim Herannahen meiner Truppen für meine gerechte Sache 
erklärt, und ich hielt es für meine heilige Pflicht dieselben unter 
meinen Schutz zu nehmen. Ich erkläre — schloß Abdul Hamid 
— noch einmal daß ich den Frieden wünsche, und zwa* einen 
Frieden auf Grund der bestehenden Verträge." Graf Zichy war 
von dieser gemäßigten, aber festen Sprache Abdul Hamids auf 
das angenehmste überrascht, beglückwünschte denselben zu den 
friedlichen Gesinnungen mit der Bemerkung daß diese Gesinnungen 
den glänzenden Siegen der türkischen Armee die Krone aufsetzen, 
und drückte die Ueberzeuguug aus daß ein Monarch welcher, un- 
geachtet seiner ganz Europa in Erstaunen setzenden Erfolge, eine 
solch friedliche und gemäßigte Sprache führt, nur das Wohl aller 
seiner Unterthanen wünschen kann, und er es demnach gewiß als 
seine höchste Aufgabe betrachten wird die erforderlichen Reformen 
in der Verwaltung des Reiches schleunigst durchführen zu lassen. 
Hierauf erwiderte der Großherr: „Ich habe aus eigener Im- 
tiative meinen Völkern eine Konstitution verliehen, welche geeignet 
ist mein Reich auf n?ne und solide Grundlagen zu stellen und 
die Zufriedenheit und den Wohlstand aller meiner Unterthanen 
zu sichern; es ist mein sehnlicher Wunsch daß jeder einzelne 
meiner Unterthanen sich glücklich unter meiner Herrschaft fühle, 
und ich werde die genaue Durchführung meiner Konstitution über- 
wachen, um diesen meinen Wunsch so schnell als möglich zu 
realisiren." 
Verschiedenes. 
* Sprüche eines Weisen. Unter diesem Titel bringt 
der „Reformkalender" eine Serie von fragmentarischen Auszügen 
aus Dr. Sonderegger's berühmtem Buche: „Vorposten der Ge 
sundheitspflege", von denen wir einige hier zu Nutz und From- 
men unserer Leser wiederbringen: 
„Der Mensch lernt langsam und stückweise. Er besitzt nur 
dasjenige ganz, was er selbst erworben und schätzt meistens Das 
gehörig, was er verloren hat. Darum erscheint die Welt nie
	        

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