neueste Depesche Mukhtar Paschas gibt den Verlust der Russen
auf 15000 Mann und den der Türken auf 2500 an. Die
„N. Fr. Pr." bemerkt über diese Kämpfe:
„Seit der mißglückten Offensive, welche Loris-Melikoff und
Tergukassoff gegen Erzerum unternahmen, und seitdem es dem
militärischen Geschick Mukhtar Paschas gelungen ist, die Russen
in mehreren glücklichen Gefechten zu schlagen und sie schließlich
auch Eude Juli zur Aufhebung Iber Belagerung von Kars zu
zwingen, herrschte in dem Räume zwischen Kars-Tschai und
Arpa-Tschai verhältnißmäßig Ruhe. Die beiden Armeen standen
sich zwei Monate lang mit schußbereiten Waffen gegenüber, wäh-
rend welcher Zeit es Mukhtar Pascha durch einige glückliche Ge^
fechte abermals gelang, die Russen aus einigen vorteilhaften
Positionen zu vertreiben, und insbesondere den Berg Kisil-Tepe,
welcher ihnen wie ein Pfeil im Fleische sitzt, zu erobern. Wäh-
rend dieser Zeit zogen die Russen ununterbrochen Verstärkungen
an sich, insbesondere die 1. Grenadier-Division aus Moskau
und die 40. Division aus Stawropol. Anfangs September
ftaub die Armee des Generals Melikoff in zwei Corps getheilt,
und zwar das Nordcorps mit 28 Bataillonen bei Paldirwan
auf der von Kars nach Alexandrapol führenden Straße, während
das Südcorps mit 21 Bataillonen 15 Kilometer weiter südlich
sich in der Position von Ughnzln-Bairaktar befand. Nach Ein-
langen der oben erwähnten Verstärkungen haben die russischen
Generale den Plan gefaßt, von Paldirwan aus — also längs
der Straße nach Kars — über den linken Flügel Mukhtar
Paschas herzufallen, diesen zu schlagen und hiedurch die türkische
Armee, welche in der Richtung von Keribone gegen Ani auf den
dort befindlichen Bergabhängen stand, von Kars abzudrängen.
Der Angriff der Russen wurde am 2. d. durch die Eroberung
des großen Jagnilar-Berges, welcher nur von einem türkischen
Bataillon ohne Geschütze vertheidigt wurde, eingeleitet. Alle
weiteren Versuche der Russen, an diesem Tage auch den kleinen
Jagnilar-Berg auf dem linken türkischen Flügel und den Kisil-
Tepe, welcher vor dem türkischen Centrum liegt, zu nehmen, er-
wiesen sich als resultatlos. Ebenso wurde ein Angriff, welchen
der russische linke Flügel von Arpatschai aus unternahm und
welcher den türkischen rechten Flügel bedrohte, zurückgewiesen.
Am 3. d. scheint außer einem unbedeutenden Kampfe, ebenfalls
auf dem rechten türkischen Flügel, nichts vorgefallen zu sein.
Am 4. Oktober räumten die Russen den großen Jagnilar-Berg,
angeblich wegen Wassermangels, in der That aber weil sie, an-
gesichts der Resultatlosigkeit ihrer anderen Angriffe, nicht im
Stande waren, die weit vorgeschobene Position zu halten. Noch
an demselben Tage scheint nun der türkische linke Flügel zur
Offeusive übergegangen zu sein.
Türkei. Ueber eine Audienz welche Gras Zichy der österr.
Botschafter am 20. September bei dem Sultan Abdul Hamid
hatte, wird dem Pester Lloyd aus Konstantinopel geschrieben:
„Man sagt daß Graf Zichh dem Großherrn die guten Dienste
der österreichisch-nngarischen Regierung bezüglich eines Waffen-
stillstandes angeboten hätte, und daß Abdul Hamid einer even-
wellen Mediation nicht abgeneigt wäre. Wie mir jedoch von
berufener Seite versichert wird, hat Graf Zichy durchaus keine
Instruktionen gehabt dem Sultan irgendwelche Mediationsvor-
schlüge zu machen. Graf Zichy hat sich nach Dolma-Bagdsche
begeben, weil er vom Sultan ausdrücklich hiezu eingeladen wurde.
Daß bei dieser Audienz von der brennenden Tagesfrage, vom
Kriege, gesprochen wurde, ist ganz selbstverständlich; ebenso
selbstverständlich ist es auch daß Graf Zichh die Ideen des
Sultans in dieser Richtung zu sondiren bemüht war, um die-
selben, wenn sie friedlicher Natur sind, als Anknüpfungspunkt
zu einer näheren Auseinandersetzung zu benützen. Abdul Hamid
soll jedoch unfern Botschafter nicht lange im Unklaren gelassen
und in ungefähr folgenden Worten seiner Neigung zum Frieden
Ausdruck gegeben haben: „Ich bestieg den Thron unter außer-
ordentlich kritischen Verhältnissen; das Reich war in Folge jähre
langer Mißwirtschaft finanziell zerrüttet, der Krieg mit Serbien
und Montenegro war ausgebrochen und in Bosnien und der
Herzegowina nahm der Aufstand immer größere Dimensionen an;
meine Armee hat Serbien bezwungen, und ich habe auf Jnter-
vention, namentlich der österreichisch-ungarischen Regierung, diesem
Vasallenstaate den Frieden wieder gegeben, ohne die Siege meiner
Armee auszunützen und ohne in den Besitz jener Garantien zu
gelangen welche geeignet waren die Ruhe meines Reiches vor
einem Rückfall dieses treubrüchigen Ländchens sicherzustellen. Auch
mit Montenegro wollte ich Frieden machen, und bin zu diesem
Zwecke bezüglich der an mich gestellten Ansprüche bis zur äußersten
Grenze gegangen; russische Einflüsse paralysirten jedoch alle meine
Bemühungen,, und die Banden Nikitas morden noch immer nach
Herzenslust unschuldige Muselmänner und verheeren einen Theil
meines Reiches. Was Rußland anbelangt, so ist es in mein
Reich eingefallen unter dem erheuchelten Borwand die slavischen
Brüder vom türkischen Joche zu befreien, die Vorsehung hat je-
doch die gerechte Sache beschützt und meiner opferwilligen Armee
zu den glänzendsten Siegen verholfen; nichtsdestoweniger bin ich
bereit, um weiteres Blutvergießen zu vermeiden, Frieden zu machen,
natürlich einen Frieden welcher meine Würde und die Unab-
hängigkeit meines Reiches zu wahren geeignet ist. Ich habe den
Krieg nicht provozirt, er wurde mir von meinem unversöhnlichen
Feind aufgedrungen, und ich hätte also das volle Recht erobertes
Gebiet meinem Land einzuverleiben; so könnte ich z. B. Suchum
Kale und den ganzen Theil der von meinen Truppen besetzten
Distrikte annektiren, allein mein Reich ist groß genug und ich ver-
zichte auf jede Annexion im Interesse des Friedens; ich habe
40,000 kaukasische Familien muselmännischen Stammes nach der
Türkei transportiren lassen, um dieselben der Rache Rußlands
zu entziehen; ich habe diese Familien nicht zur Revolte gegen
ihre Autorität aufgereizt, kein Manifest an sie, so wie Zar Ale-
xander an die Bulgaren, gerichtet; diese Stammesbrüder haben
sich beim Herannahen meiner Truppen für meine gerechte Sache
erklärt, und ich hielt es für meine heilige Pflicht dieselben unter
meinen Schutz zu nehmen. Ich erkläre — schloß Abdul Hamid
— noch einmal daß ich den Frieden wünsche, und zwa* einen
Frieden auf Grund der bestehenden Verträge." Graf Zichy war
von dieser gemäßigten, aber festen Sprache Abdul Hamids auf
das angenehmste überrascht, beglückwünschte denselben zu den
friedlichen Gesinnungen mit der Bemerkung daß diese Gesinnungen
den glänzenden Siegen der türkischen Armee die Krone aufsetzen,
und drückte die Ueberzeuguug aus daß ein Monarch welcher, un-
geachtet seiner ganz Europa in Erstaunen setzenden Erfolge, eine
solch friedliche und gemäßigte Sprache führt, nur das Wohl aller
seiner Unterthanen wünschen kann, und er es demnach gewiß als
seine höchste Aufgabe betrachten wird die erforderlichen Reformen
in der Verwaltung des Reiches schleunigst durchführen zu lassen.
Hierauf erwiderte der Großherr: „Ich habe aus eigener Im-
tiative meinen Völkern eine Konstitution verliehen, welche geeignet
ist mein Reich auf n?ne und solide Grundlagen zu stellen und
die Zufriedenheit und den Wohlstand aller meiner Unterthanen
zu sichern; es ist mein sehnlicher Wunsch daß jeder einzelne
meiner Unterthanen sich glücklich unter meiner Herrschaft fühle,
und ich werde die genaue Durchführung meiner Konstitution über-
wachen, um diesen meinen Wunsch so schnell als möglich zu
realisiren."
Verschiedenes.
* Sprüche eines Weisen. Unter diesem Titel bringt
der „Reformkalender" eine Serie von fragmentarischen Auszügen
aus Dr. Sonderegger's berühmtem Buche: „Vorposten der Ge
sundheitspflege", von denen wir einige hier zu Nutz und From-
men unserer Leser wiederbringen:
„Der Mensch lernt langsam und stückweise. Er besitzt nur
dasjenige ganz, was er selbst erworben und schätzt meistens Das
gehörig, was er verloren hat. Darum erscheint die Welt nie