Volltext: Liechtensteinische Wochenzeitung (1877)

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ine zukünftige wärmere Witterung nicht bedeutend gehoben wer- 
den können, indem die Blätter, die Lungen des Rebstockes, ver- 
nichtet sind. Bei sorgfältiger Auslese wird jedoch in Vaduz, 
Triefen und Balzers, wo bei einer mittelgroßen Quantität die 
Trauben im Reifezustande verhältnißmäßig weiter vorgeschritten 
sind, ein „trinkbarer Tropfen" zu erreichen sein. In vielen 
Weingegenden. Deutschlands, Oesterreichs und der Schweiz dage- 
gen wird kaum noch dieser karge Trost bleiben. 
Bom Kriegsschauplätze. 
Der A. A. Ztg. wird über die gegenwärtige Lage geschrieben: 
„Die militärische Lage der Türkei hat sich in der letzten Zeit zu 
ihrem Nachtheil verändert. Sie ist gerade nicht absolut un- 
günstig, wohl aber relativ, insofern sie noch vor 3—4 Wochen 
viel günstiger gewesen, und weil sie viel günstiger sein könnte 
wenn die türkische Heeresleitung die Trümpfe die sie in den 
Händen gehabt rechtzeitig ausgespielt hätte. Sie hat aber die 
guten Karten auszuspielen versäumt, bis es zu spät geworden im 
allgemeinen eine Karte auszuspielen. Wir meinen bieg mit Be 
ziehung auf Mehemed Ali. Oesters hatten wir bereits Gelegen- 
hcit gehabt auszuführen daß die taktische und strategische Ent- 
scheidung des Feldzugs in einem für die Türkei günstigen Sinne 
nur von der Armee Mehemed Ali's kommen könne: die Bewe- 
gungen die der türkische Oberfeldherr mit seiner Armee unter 
nommen, wie er die beiden Lom überschritten, sich der Jantra 
genähert, zuerst im unteren Lauf derselben von Nord nach Süd 
auf den Schlüssel der russischen Stellung bei Bjela gedrückt, 
dann wieder ick oberen Laufe derselben einen Durchbruch durch 
die russische Aufstellung versucht — alles dies mußte wohl den 
Gedanken nahe legen daß Mehemed Ali begreife wie er auser- 
sehen sei den entscheidenden Schlag zu führen, der Osman Pascha 
in Plewna entsetzen und Suleiman Pascha den Schipka-Paß 
öffnen sollte, und daß er auch auf diese Entscheidung hinarbeite. 
Die öffentliche Meinung hat, als sie Mehemed Ali eine oder die 
andere Bewegung machen sah, die Absicht die er mit derselben 
verbunden, so zu sagen, stets im Voraus eSkomptirt, indem sie 
angenommen daß er in der Bewegung die er begonnen fortfahren, 
sie zu Ende bringen und die Schlußfolge aus derselben ziehen 
Werde. Er aber brach stets die kaum begonnene Bewegung ab, 
so nach Sinankiöi, wo er plötzlich mit der ganzen Armee süd- 
wärts zog, so nach Tscherkowna, wo er eben so plötzlich und un- 
erwartet die ganze Armee hinter den schwarzen Lom zurücknahm. 
Es mag sein daß es damals schon zu spät gewesen die russische 
Stellung anzugreifen, und in sofern war es klug gewesen den 
Rückzug anzutreten und die Karte gar nicht mehr auszuspielen; 
aber ein Fehler war es jedenfalls, nicht schon früher, in den 
ersten Tagen des September, energischer vorgedrungen und zum 
Angriff geschritten zu sein. Es wurde ja die Zeit geradezu ver- 
trödelt. Man denke daß Mehemed Ali etwa vom 20. Juli bis 
20. September nur einen Weg gemacht der, gerade gemessen, 
8 Meilen beträgt: freilich wurde da sehr viel hin- und her- 
marschirt, und Mehemed Ali scheint uns im Allgemeinen eine 
geistige Verwandtschaft mit den altösterreichischen Generalen Eler- 
saht, Wurmfer, Melas zu besitzen, Märsche und Contremärsche, 
Rekognoszirungen — Napoleon meinte: ein General der mit 
seiner Armee auf Rekognosziruug ausgehe, wisse nicht was er 
eigentlich thuu solle — Versuche ob es hier oder dort gehen 
dürfte' — ein Glück daß Mehemed Ali nur russische Großfürsten 
gegenüberstanden. Wir sind dabei durchaus nicht blind für die 
Vorzüge des türkischen (nun zu anderen Funktionen abberufenen) 
Oberfeldherrn, wie er vorsichtig tastend vorgeht, nichts riskirt, 
ein Gefecht nur dort liefert, wo er des Erfolges beinahe sicher; 
bei der militärischen Lage, wie sich dieselbe Anfangs September 
dargestellt, wäre aber etwas Entschiedenheit, ein etwas kühneres 
Vorgehen wohl M Platze gewesen, denn hier galt .es: ohne 
Entschiedenheit keine Entscheidung, ohne entscheidenden Schlag aber 
bleiben die Russen jenseit der Donau und haben dann für den 
nächsten Feldzug einen großen Vorsprung. Daß sie jenseit der 
Donau überwintern werden, daran zweifeln wir nach der retro- 
graden Bewegung Mehemed Alis nicht mehr — nebenbei gesagt, 
erscheint uns jener Rückzug in seinen Motiven, und wie er durch 
ein kaum ungünstig zu nennendes Gefecht veranlaßt worden, ganz 
unverständlich — es handelt sich nun nur noch darum ob die 
Russen im Stande sein werden den ganzen Terrainabschnitt in 
Bulgarien, den sie bisher besetzt gehalten, auch weiter festzuhalten. 
Es hängt dies vom Ausgange der Kämpfe um Plewna ab; hält 
es sich noch 2—3 Wochen, bis die schlechte Jahreszeit eintritt 
und allen Kämpfen im freien Feld und noch mehr allen Be- 
lagerungsarbeiten ein Ende macht, dann müssen die Russen wohl 
ihre Stellungen um Plewna räumen, wie sie in zwei Feldzügen 
auch die Belagerungen von Silistria bei Anbruch des Winters 
jedesmal aufgehoben haben, und sich näher an die Donau ziehen; 
fällt aber Plewna, so wird dies ihnen zum Stützpunkt, von dem 
ausgehend sie sich noch weiter ausbreiten und mit Serbien in 
Verbindung setzen werden. Sie werden dann einen größeren 
Terrainabschnitt okkupiren, ihre Verpflegung auch theilweise aus 
Serbien und durch Serbien beziehen. Bei Plewna liegt also im 
Augenblick für die russische Armee die Entscheidung. Die Kämpfen- 
den im Schipka-Paß kommen kaum mehr in Betracht. Dieses 
eigensinnige Anstürmen Suleiman Paschas ist geradezu Wahn- 
sinnig zu nennen. Man hat von Konstantinopel neulich versucht 
es zu entschuldigen, und hat politische Gründe angeführt welche 
es nöthig machen daß der Schipka-Paß erobert, also auch ange- 
griffen werde. Daran zweifelt niemand daß es für die Türkei 
politisch und militärisch wichtig sei den Schipka-Paß als die 
Pforte nach Rumelien den Russen zu entreißen; alle Welt aber 
eifert nur mit Recht g gen die Art wie der Paß angegriffen 
worden. Suleiman Pascha rennt da rein mit dem Kopf an die 
Wand und schädigt dabei mehr den Kopf als die Wand, und 
doch hätte er es so leicht gehabt entweder westlich oder östlich 
von Schipka über den Balkan zu gehen und dann vereint, sei es 
mit Osman Pascha, oder Mehemed Ali, auf die russische Ver- 
bindungslinie mit der Donau zu operiren; der Schipka-Paß 
wäre ihm ohne Kampf in die Hände gefallen." (Mehemed Ali 
ist unterdessen durch Suleiman Pascha ersetzt worden. Anm. d. 
Redaktion.) 
Vom bulgarischen Kriegsschauplatze kommt die Meldung, daß 
Mehemed Ali das Hauptquartier in Katzeljewo am 4. d. Abends 
verlassen hat und der neue Oberfeldherr Suleiman Pascha da- 
selbst bereits eingetroffen ist.' Seine Ankunft erfolgt unter 
günstigen Auspizien, da eben türkische Abtheilungen bei Stroko 
wieder vom rechten aus das linke Lom-Ufer gegangen sind und 
dort in sechsstündigem Kampfe die Russen aus den eben bezöge- 
nen Stellungen geworfen haben. Bei der Thatkraft Suleiman 
Pascha's darf man wohl jetzt weitere rasche Aktionen von tür- 
kischer Seite erwarten. 
Aus Sophia, 3. Okt., meldet der „Standard": 
„Schefket Pascha's Corps, durch Suleiman mächtig verstärkt, 
fing heut einen Vormarsch an; ein entscheidender Kampf mit 
Osman's Unterstützung wird in einigen Tagen erwartet. Eine 
reichliche Menge von Munition und eine englische Ambulauce 
geht zur Front." 
Ueber das Unglück auf der russischen Eisenbahn zwischen 
Woronesch und Rostow meldet der „Standard" aus Si- 
stowa, 3. Okt.: 
„Zwischen Woronesch und Rostow am Don hat sich ein 
schrecklicher Eisenbahnunfall ereignet. Sieben Wagen mit fast 
400 abchasischen Gefangenen, die auf dem Wege nach Sibirien 
waren, wurden vollständig vernichtet. Nicht ein einziger Mann 
der Mchasier ward gerettet; sie waren, wie gebräuchlich ist, an 
einander gefesselt. Eine Untersuchung ist verheißen worden." 
Auf dem kleinasiatischen Kriegsschauplatze haben 
vom 2 Oktober an in der Nähe von Kars wichtige Kämpfe 
stattgefunden, in welchen die Russen geschlagen,wurden. Die
	        

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