Volltext: Liechtensteinische Wochenzeitung (1877)

Säbelhieb scharf vom Kopf abgeschlagen, über die Nase zog sich 
eine breite kaum geheilte Narbe, durch den Backen war ein Lan 
zenstich gedrungen und hatte ein halbes Dutzend Zähne mitge- 
nommen, andere Hieb- und Lanzenstichwunden sollen auf dem 
Oberkörper noch vorhanden sein; aber alles dieß hinderte den 
tapferen Jüngling nicht, abermals das Schwert umzugürten, die 
lange Flinte zu ergreifen und sein Roß zu besteigen, um von 
neuem mit noch verstärktem Hasse, wenn dieß überhaupt möglich 
sein könnte, gegen die Erbfeinde seines Stammes und Glaubens 
zu kämpfen, die ihm bereirs den Vater getödtet und sein Ge- 
schlecht aus dem Kaukasus vertrieben hatten. Ein Heer, welches 
solche Krieger zu Tausenden zählt, kann wohl zuletzt durch die 
Uebermacht zermalmt werden, wird aber fort und fort bis zum 
letzten Athemzuge mit unerschütterlicher Standhastigkeit kämpfen. 
Adrianopel war von Verwundeten aus den letzten Kämpfen 
des Suleimau'scheu uud Renf'schen Corps gegen die Russen nnd 
wieder von Rekruten und Ersatzmannschaften aüs den entlegen- 
sten Theilen des türkischen Reiches überfüllt. Krieg, nichts als 
Krieg sah und hörte man, wohin Aug' und Ohr sich auch wen- 
deten. Die Stimmung der Bevölkerung schien eine sehr sieges- 
freudige zu sein, und die Besorgnisse, daß es den Russen viel- 
leicht gelingen könnte die Stadt zu erobern schienen gänzlich ver- 
schwunden. Der echte Osmane ist viel zu phlegmatisch um sich 
den Gefühlen der Furcht und Hoffnung, der Freude und des 
Schreckens mit der Lebhaftigkeit des Abendländers hinzugeben; 
aber trotzdem trug die Bevölkerung den Kopf doch ungleich höher, 
und die Mienen aller waren weit zuversichtlicher als noch bei 
meiner ersten Anwesenheit vor wenigen Wochen, wo der General 
Gurko mit seinem Corps als Sieger in Ieni-Sagra stand und 
die Patrouillen der Kubanischen Kosaken weit umherschweiften. 
Nur die armen christlichen Bulgaren die jetzt zwangsweise an den 
neu angelegten Befestigungen arbeiten mußten und nichts als 
eine karge Nahrung, kaum hinreichend sie vor dem Hungertode 
zu schützen, erhielten, sahen äußerst gedrückt aus, und verwünschten 
gewiß die Stunde in der ihre angeblichen Befreier, die Russen, 
zuerst den Fuß auf bulgarischen Boden gesetzt hatten. Viele 
Bulgaren, die sich irgendwie an den letzten Aufständen betheiligt 
hatten, waren von den Türken auch standrechtlich zum Tode 
verurtheilt und erschossen oder aufgeknüpft, eine ungleich größere 
Zahl jedoch von Albanesen und Tscherkessen in der ersten Wuth 
ermordet worden. Wie die Türken jetzt die christlichen Bulgaren 
zwangsweise an den Befestigungsanlagen arbeiten lassen oder sie 
als Zugvieh, um die Geschütze auf die Berge zu schleppen, be- 
nützen, so machen es umgekehrt die Russen mit den osmanischen 
Bewohnern Bulgariens, welche in ihre Hände fallen. Vor die 
russischen Kanonen, welche auf den Schipka-Paß gebracht' worden 
find, wurden Hunderte von Türken gespannt, und mit Kantschu- 
Hieben der Kosaken zum fleißigen Ziehen angetrieben, und ebenso 
läßt Suleimyn Pascha seine Geschütze, mit welchen er die Feinde 
angreift, den steilen Abhang von Kesanlik nach dem Dorfe 
Schipka, wo er seine Batterien aufgestellt hat, durch bulgarische 
Christen heraufschleppen und, wenn dann die russischen Geschosse 
sie zusammenschmettcrn, so kümmert dieß die türkischen Offiziere 
nicht im mindesten. So wird — und ich kann dieß nicht oft 
und dringend genug wiederholen — dieser ganze Krieg jetzt von 
den Russen wie von den Türken auf gleich harte, ja eigentlich 
rohe und grausame Weise geführt; beide Parteien zeigen eine 
gleiche Schonungslosigkeit gegen den Feind, wie solche nur bei 
sonst gutmüthigen Menschen — und sowohl die gemeinen Russen 
als die Türken sind dieß im gewöhnlichen Leben — durch Ent 
flammung religiösen Fanatismus erzeugt werden kann, und keiner 
hat das Recht dem anderen eine Wildheit und Rohheit vorzu- 
werfen, welche er nicht im gleichen Grade selbst begeht. 
Auch einen kleinen Trupp russischer Soldaten, welche bei 
einer Umzingelung gefangen genommen worden, sah ich diesmal 
in Adrianopel, wo sie in einen großen leeren Schuppen einge- 
sperrt und leidlich verpflegt wurden. Sie hatten alte Fetzen von 
W ollenteppichen als Lagerstatt, und erhielten die gleichen Lebens^ 
mittel wie die türkischen Soldaten. Freilich zeichnen sich solche 
gerade nicht durch besonders reichliche Quantität und wohlschmeckende 
Qualität aus, und die Jnsaßen eines englischen Armenhauses 
würden ohne Zweifel revoltiren, wenn man sie gleich schlecht be- 
köftigen wollte; allein bei einiger Billigkeit kann man von einem 
Staate doch schwerlich verlangen, daß er fremde Gefangene 
besser und reichlicher verpflege als seine eigenen Soldaten, die 
für ihn jetzt im Felde kämpfen müssen. Jnl allgemeinen werden 
aber jetzt sowohl von den Russen als von den Türken nur 
äußerst wenige Gefangene gemacht, und besonders im Kampfe 
selbst ist die gegenwärtige Erbitterung viel zu groß, als daß die 
Streiter Pardon geben oder erwarten sollten. 
In Kesanlik, der Rosenstadt, wo Snleiman Pascha jetzt sein 
Hauptquartier genommen hat, sah es scheußlich aus. Statt der 
Rosenblätter sah man nur Blutlachen in den Straßen, und 
statt des köstlichen Duftes, der früher aus den Destillationen 
für das Rosenöl drang und in dem Städtchen eine wahrhaft 
aromatische Atmosphäre verbreitete, lag jetzt ein pestilentialischer 
Verwesungsgeruch auf dem unglücklichen dem Verderben ge- 
weihten Ort. In allen Gebäuden die nur halbwegs ein Un 
terkommen gewährten, waren Hospitäler errichtet, und obgleich 
man täglich auf Hunderten- von Büffelkarren alle Verwundete, 
deren Zustand einen Transport nur irgend wie gestattete, nach 
Adrianopel brachte, so füllten die unausgesetzten blutigen Kämpfe 
um den Schipka-Paß immer fort und fort wieder den Raum. 
Da in der Türkei niemals ordentliche Listen geführt werden, so 
wird es auch ganz unmöglich sein jemals eine genaue Angabe 
über den Verlust welchen die fast unausgesetzten Kämpfe vom 
23. — 30. Aug. die Türken gekostet haben zu erhalten, doch 
sagte mir ein höherer Beamter, daß er die Zahl der Todten 
und Verwundeten auf 10,000 Mann anschlage. Nach den vielen 
Verwundeten, welche ich auf dem Wege von Adrianopel nach 
Kesanlik, in den Hospitälern letzterer Stadt, dann von dort auf 
dem Wege nach dem Dorfe Schipka sah, und nach den Hunderten 
von Leichen die auf dem Schlachtselde noch nnbcerdigt umher- 
lagen, halte ich diese Zahl eher für zu niedrig als zu hoch an- 
gegeben. 
(Fortsetzung folgt.) 
Verantwortlicher Redakteur ».Herausgeber: vn. Rudolf Schädler» 
Thermometerstand nach Neaumur in Baduz. 
Monat 
Morgens 
7 Uhr 
Mittags 
12 Uhr 
Abends 
6 Uhr 
Witterung. 
Sept. S. 
+ 8 
+ 14 % 
+ 10 
halb hell 
,, 6. 
+ 6V 2 
+ 14 % 
+ 14 w 
hell 
» 7. 
+ 11% 
-J- 18 
+ 15 
halb hell 
.. 8 
+14'/, 
+ 18% 
+ 14 Vi 
trüb; ctw. Reg. 
» 9. 
+ 12 
-f~ 14 
+ 13 
trüb „ „ 
. 10 
+11 
+ 15 
+ 14 
trüb 
. 11. 
+ 9 
16 
+ 14% 
hell. 
Telegrafischer Kursbericht von Wien. 
12. Septbr. Silber 104.55 
20-Frankenstück 9.46 
100 Reichsmark 59.90 
London 117.90 
Druck von Heinrich Graff in Feldkirch.
	        

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