Säbelhieb scharf vom Kopf abgeschlagen, über die Nase zog sich
eine breite kaum geheilte Narbe, durch den Backen war ein Lan
zenstich gedrungen und hatte ein halbes Dutzend Zähne mitge-
nommen, andere Hieb- und Lanzenstichwunden sollen auf dem
Oberkörper noch vorhanden sein; aber alles dieß hinderte den
tapferen Jüngling nicht, abermals das Schwert umzugürten, die
lange Flinte zu ergreifen und sein Roß zu besteigen, um von
neuem mit noch verstärktem Hasse, wenn dieß überhaupt möglich
sein könnte, gegen die Erbfeinde seines Stammes und Glaubens
zu kämpfen, die ihm bereirs den Vater getödtet und sein Ge-
schlecht aus dem Kaukasus vertrieben hatten. Ein Heer, welches
solche Krieger zu Tausenden zählt, kann wohl zuletzt durch die
Uebermacht zermalmt werden, wird aber fort und fort bis zum
letzten Athemzuge mit unerschütterlicher Standhastigkeit kämpfen.
Adrianopel war von Verwundeten aus den letzten Kämpfen
des Suleimau'scheu uud Renf'schen Corps gegen die Russen nnd
wieder von Rekruten und Ersatzmannschaften aüs den entlegen-
sten Theilen des türkischen Reiches überfüllt. Krieg, nichts als
Krieg sah und hörte man, wohin Aug' und Ohr sich auch wen-
deten. Die Stimmung der Bevölkerung schien eine sehr sieges-
freudige zu sein, und die Besorgnisse, daß es den Russen viel-
leicht gelingen könnte die Stadt zu erobern schienen gänzlich ver-
schwunden. Der echte Osmane ist viel zu phlegmatisch um sich
den Gefühlen der Furcht und Hoffnung, der Freude und des
Schreckens mit der Lebhaftigkeit des Abendländers hinzugeben;
aber trotzdem trug die Bevölkerung den Kopf doch ungleich höher,
und die Mienen aller waren weit zuversichtlicher als noch bei
meiner ersten Anwesenheit vor wenigen Wochen, wo der General
Gurko mit seinem Corps als Sieger in Ieni-Sagra stand und
die Patrouillen der Kubanischen Kosaken weit umherschweiften.
Nur die armen christlichen Bulgaren die jetzt zwangsweise an den
neu angelegten Befestigungen arbeiten mußten und nichts als
eine karge Nahrung, kaum hinreichend sie vor dem Hungertode
zu schützen, erhielten, sahen äußerst gedrückt aus, und verwünschten
gewiß die Stunde in der ihre angeblichen Befreier, die Russen,
zuerst den Fuß auf bulgarischen Boden gesetzt hatten. Viele
Bulgaren, die sich irgendwie an den letzten Aufständen betheiligt
hatten, waren von den Türken auch standrechtlich zum Tode
verurtheilt und erschossen oder aufgeknüpft, eine ungleich größere
Zahl jedoch von Albanesen und Tscherkessen in der ersten Wuth
ermordet worden. Wie die Türken jetzt die christlichen Bulgaren
zwangsweise an den Befestigungsanlagen arbeiten lassen oder sie
als Zugvieh, um die Geschütze auf die Berge zu schleppen, be-
nützen, so machen es umgekehrt die Russen mit den osmanischen
Bewohnern Bulgariens, welche in ihre Hände fallen. Vor die
russischen Kanonen, welche auf den Schipka-Paß gebracht' worden
find, wurden Hunderte von Türken gespannt, und mit Kantschu-
Hieben der Kosaken zum fleißigen Ziehen angetrieben, und ebenso
läßt Suleimyn Pascha seine Geschütze, mit welchen er die Feinde
angreift, den steilen Abhang von Kesanlik nach dem Dorfe
Schipka, wo er seine Batterien aufgestellt hat, durch bulgarische
Christen heraufschleppen und, wenn dann die russischen Geschosse
sie zusammenschmettcrn, so kümmert dieß die türkischen Offiziere
nicht im mindesten. So wird — und ich kann dieß nicht oft
und dringend genug wiederholen — dieser ganze Krieg jetzt von
den Russen wie von den Türken auf gleich harte, ja eigentlich
rohe und grausame Weise geführt; beide Parteien zeigen eine
gleiche Schonungslosigkeit gegen den Feind, wie solche nur bei
sonst gutmüthigen Menschen — und sowohl die gemeinen Russen
als die Türken sind dieß im gewöhnlichen Leben — durch Ent
flammung religiösen Fanatismus erzeugt werden kann, und keiner
hat das Recht dem anderen eine Wildheit und Rohheit vorzu-
werfen, welche er nicht im gleichen Grade selbst begeht.
Auch einen kleinen Trupp russischer Soldaten, welche bei
einer Umzingelung gefangen genommen worden, sah ich diesmal
in Adrianopel, wo sie in einen großen leeren Schuppen einge-
sperrt und leidlich verpflegt wurden. Sie hatten alte Fetzen von
W ollenteppichen als Lagerstatt, und erhielten die gleichen Lebens^
mittel wie die türkischen Soldaten. Freilich zeichnen sich solche
gerade nicht durch besonders reichliche Quantität und wohlschmeckende
Qualität aus, und die Jnsaßen eines englischen Armenhauses
würden ohne Zweifel revoltiren, wenn man sie gleich schlecht be-
köftigen wollte; allein bei einiger Billigkeit kann man von einem
Staate doch schwerlich verlangen, daß er fremde Gefangene
besser und reichlicher verpflege als seine eigenen Soldaten, die
für ihn jetzt im Felde kämpfen müssen. Jnl allgemeinen werden
aber jetzt sowohl von den Russen als von den Türken nur
äußerst wenige Gefangene gemacht, und besonders im Kampfe
selbst ist die gegenwärtige Erbitterung viel zu groß, als daß die
Streiter Pardon geben oder erwarten sollten.
In Kesanlik, der Rosenstadt, wo Snleiman Pascha jetzt sein
Hauptquartier genommen hat, sah es scheußlich aus. Statt der
Rosenblätter sah man nur Blutlachen in den Straßen, und
statt des köstlichen Duftes, der früher aus den Destillationen
für das Rosenöl drang und in dem Städtchen eine wahrhaft
aromatische Atmosphäre verbreitete, lag jetzt ein pestilentialischer
Verwesungsgeruch auf dem unglücklichen dem Verderben ge-
weihten Ort. In allen Gebäuden die nur halbwegs ein Un
terkommen gewährten, waren Hospitäler errichtet, und obgleich
man täglich auf Hunderten- von Büffelkarren alle Verwundete,
deren Zustand einen Transport nur irgend wie gestattete, nach
Adrianopel brachte, so füllten die unausgesetzten blutigen Kämpfe
um den Schipka-Paß immer fort und fort wieder den Raum.
Da in der Türkei niemals ordentliche Listen geführt werden, so
wird es auch ganz unmöglich sein jemals eine genaue Angabe
über den Verlust welchen die fast unausgesetzten Kämpfe vom
23. — 30. Aug. die Türken gekostet haben zu erhalten, doch
sagte mir ein höherer Beamter, daß er die Zahl der Todten
und Verwundeten auf 10,000 Mann anschlage. Nach den vielen
Verwundeten, welche ich auf dem Wege von Adrianopel nach
Kesanlik, in den Hospitälern letzterer Stadt, dann von dort auf
dem Wege nach dem Dorfe Schipka sah, und nach den Hunderten
von Leichen die auf dem Schlachtselde noch nnbcerdigt umher-
lagen, halte ich diese Zahl eher für zu niedrig als zu hoch an-
gegeben.
(Fortsetzung folgt.)
Verantwortlicher Redakteur ».Herausgeber: vn. Rudolf Schädler»
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