Volltext: Liechtensteinische Wochenzeitung (1877)

außer Gefecht gesetzt. Aber auch die russischen Angriffscolonnen 
litten stark beim Sturmangriff unter dem verheerenden Feuer 
-der türkischen Infanterie, welche hinter Verschanzungen und 
Schützengräben eine höchst vortheilhafte Stellung eingenommen 
hatte und nur nach einem hartnäckigen Widerstande wich. Die 
Einnahme von Lowatz hat in so fern eine große strategische Be- 
beutung, als durch dieselbe die Bereinigung Suleiman und Os- 
man Pascha's vereitelt und die Jsolirung der türkische«: Armee 
in Plewna eine beinahe vollständige wird." 
Während also über die Erstürmung von Lowatz durch die 
Russen und die Möglichkeit einer Bedrohung Osman Pascha's 
in seiner rechten Flanke kein Zw.ifel mehr besteht, kommt andrer- 
seits die überraschende Nachricht, daß die Hauptarmee Mehemed 
Ali's in ihrer Spitze bis auf ein paar Stunden gegen Bjela 
vorgerückt ist. Bisher hat man seine Operationen für mehr 
gegen Süden oder Südwesten gerichtet gehalten; nach den Mel- 
düngen aus Schumla und Konstantinopel hat er sich aber gegen 
Norden in der Richtung auf Sistowa gewandt. Die „N. Fr. 
Pr." bemerkt über diese Schwenkung: „Nach der Schlacht bei 
Karahassankiöi, am 30. August, durch welche Ali Pascha den 
ganzen Lom-Fluß in seine Gewalt brachte, hat er unter dem 
Schutze dieser Linie die ganze ihm unterstehende Armee nach 
Norden geschoben und ist plötzlich südlich von Rustschuk erschienen, 
wo er den Lom-Fluß in seinem Unterlauf überschritten und die 
von Rustschuk itäch Bjela führende Straße genommen hat. Am 
Dienstag Abend hat Mehemed Ali bereits Obirtenik, l l / 2 deut 
sche Meilen nordöstlich von Bjela, occupirt, und seine Vor- 
truppen waren bis unmittelbar vor Bjela vorgeschoben. Um 
diese Stunde dürfte Bjela selbst und somit die ganze Jantra- 
Linie im Besitze der Türken und das Hauptquartier des Zaren 
in Gornji-Studen, das sich nur 3'/ 2 deutsche Meilen westlich 
von Bjela befindet, direkt bedroht sein. Außerdem dürfte die 
Donau-Brücke, welche sich unterhalb der Jantra-Mündung bei 
der Insel Boatin befinden soll, entweder von den Türken be- 
setzt oder aber zerstört sein. Durch dieses ebenso geschickt ein- 
geleitete als durchgeführte Umgehungsmanöver hat sich Mehemed 
Ali mit einem Schlage der Jantra-Linie bemächtigt. Welche 
weiteren Consequenzen diese letzte Operation Mehemed Ali's noch 
hab.n kann, wollen wir vorderhand unerörtert lassen, und nur 
sagen, daß sie zur Katastrophe der russischen Armee führen kann." 
— Das „N. W. Tagbl." erhält von seinem Specialkorrespon- 
Kenten über die Operationen Mehemed Ali Pascha's folgende 
aus Schumla vom 4. September datirte Depesche: 
Die von dem Serdar Mehemed Ali Pascha persönlich kom- 
mandirte Hauptarmee hat, ihren Vormarsch statt in westlicher 
Richtung nach Norden fortsetzend, bei Pisantza eine russische 
Cavallerie Brigade zersprengt, Kadikiöi genommen, bei Buzisma 
den Lom passirt und heute Abend ohne Schwertstreich Obretenik 
besetzt. Die Vortruppen sind bis etwa zwei Stunden von Bjela 
vorgeschoben. Es hatte also seinen guten Grund, daß ich Ihnen 
zwei Tage lang aus Schumla nichts gemeldet habe. Es durfte 
eben diese Truppenbewegung und Frontveränderung nicht vor- 
zeitig dem Feinde verrathen werden, um den Erfolg der Opera« 
tion nicht zu gefährden. Während für den Fernstehenden die 
Armee Mehemed Ali's seit dem Tage von Karahassankiöi schein- 
bar stillstand, hat dieselbe in Wirklichkeit eine großartige Schwen 
kung vollzogen und gewaltige Märsche gemacht. In Folge dessen 
steht die türkische Hauptarmee heute, auf die Festung Rustschuk 
gestützt, zwischen der Donau und den Russen, im Rücken des 
russischen Hauptquartiers, nicht ganz zehn Meilen von Gornji- 
Studen entfernt. Türkische Reiterei ist gleichzeitig am linken 
Lom-Ufer nordwärts abgegangen. Ihr Zweck ist die Zerstörung 
der Brücke bei Pirgos." 
Aus Montenegro kommt die Nachricht, daß die türkische 
Festung Niksitsch den Montenegrinern sich ergeben hat. 
Die Kämpfe Suleiman Pascha's 
am Schipkapaffe. 
Aus den Briefen eines englischen Officiers a. D. veröffentlicht 
in der A. A. Ztg. 
Der Mensch denkt's, Gott lenkt's, sagt man mit Recht, und 
so erfuhr meine Absicht, von Konstantinopel direkt nach Schumla 
zurückzukehren, eigentlich gegen meinen Wunsch und Willen eine 
Abänderung, und ich mußte nochmals in die blutgetränkten Ge- 
silde des Tundscha-Thales eilen. Der Plan Suleiman Pascha's, 
mit Aufbietung der äußersten Gewalt den Schipkapaß wieder zu 
erobern und somit den Russen diese Pforte des Balkans zu ent- 
reißen, veranlagte diese gänzliche Umänderung meines anfängli- 
chen Reisezieles. Ich wollte gern diese Kämpfe aus der Nähe 
betrachten, und obgleich ich schon von vornherein überzeugt war, 
nur zu viele Unannehmlichkeiten dabei ertragen und gar manche 
wilde Scenen der äußersten Rohheit sehen zu müssen, so über- 
wog doch das Interessante, das ich jedenfalls dabei erlebte, in 
gar mancher Beziehung das Unangenehme. Von Annehmlichkei- 
ten kann ja überhaupt bei einem Aufenthalt in den türkischen 
Heereslagern jetzt gar keine Rede sein; aber in militärisch-politi- 
scher Hinsicht ist solcher in höchstem Grad interessant, und wer 
jetzt, wie es bei mir der Fall ist, die Türkei der Kreuz und 
Quere uach durchzieht, der kann mit vollem Recht behaupten, 
daß ein gewaltiges Stück Weltgeschichte sich wieder vor seinen 
Augen abgerollt hat. Es ist der Kampf des griechisch-katholisch * 
orthodoxen Kreuzes mit dem Halbmond des Mohammedanismus, 
der hier jetzt tobt, mit allen seinen gewaltigen Consequenzen, und 
obgleich letzterer bei der kolossalen Uebermacht seines Gegners zu- 
letzt unterliegen muß, so ist sein Widerstand doch ein gewaltiger 
und selbst in seinen angeblich letzten Zuckungen theilt er noch 
Schläge von vernichtender Wucht aus. Tritt das übrige Europa 
nicht auf die eine oder die andere Weise mit seiner Intervention 
dazwischen — nicht mit bloßen diplomatischen Noten, denn diese 
haben nicht die allermindeste Bedeutung und werden von Rußland 
wie von der Türkei vorerst als werthlose Schriftstücke in den 
Papierkorb geworfen, sondern mit voller Wehr und Waffen — 
und will der Zar aller Reussen den einmal rechtlos begonnenen 
Kampf bis zur äußersten Konsequenz fortsetzen, so wird und muß 
zuletzt die russische Fahne auch in Jstambul wehen. Sicherlich 
wird dies aber nicht 1877, sehr wahrscheinlich auch nicht 1878, 
vielleicht erst 1879 geschehen. Das ist meine feste Ueberzeugung. 
Doch genug von Prophezeiungen für die Zukunft, ich will lieber 
zu der allernächsten Gegenwart zurückkehren, diese bietet schon 
überreichen Stoff zu interessanten Berichten. 
Von Konftantinopel nach Adrianopel fuhr ich mit einem Ei- 
senbahnzng, der einige hundert Reconvalescemen enthielt, welche 
aus einem Hospital in Pera zu dem kämpfenden Heere zurück- 
kehrten. Welcher Fanatismus durch den Krieg hervorgerufen 
ward, welche Kraft jetzt die große Mehrheit des türkischen Bob- 
kes und somit auch des Heeres beseelt, konnte ich bei dieser Ge- 
legenheit wieder so recht erkennen. Die überwiegende Mehrzahl 
dieser Reconvalescenten war kaum - geheilt, mehr oder weniger 
sahen alle noch äußerst abgemagert, blaß und elend aus und 
zeigten nur zu deutlich die Spuren eines längeren Krankenlagers, 
ja sogar nicht wenig Invalide, die ein Auge, einige Finger der 
Hand oder Zehen des Fußes eingebüßt hatten, oder noch Bandagm 
über ihre kaum verharschten Wunden trugen, befanden sich da- 
bei; aber nichtsdestoweniger hatten alle freiwillig sich zum Wie- 
dereiutritt gemeldet, ja manche sogar die Aerzte, welche anfänglich 
ihre Genehmigung verweigerten, inständig um die Erlaubniß ge- 
beten, doch wieder an den Kämpfen gegen die Feinde ihres 
Glaubens theilnehmen zu dürfen. Ein junger tscherkessijcher 
Häuptlingssohn, ein Jüngling , von kaum 18 Jahren, befand sich 
darunter, der in einem Gefecht in der Dobrudscha von Kosaken 
bereits umzingelt gewesen sein soll, sich aber zuletzt doch noch 
durchgeschlagen hatte. Das eine Ohr ward ihm durch einen
	        

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