Volltext: Liechtensteinische Wochenzeitung (1877)

stürzung hervorgerufen sondern auch in ganz Europa eine emi- 
nente Sensation erregt. Für die republikanische Partei ist sein 
Tod unmittelbar vor den Wahlen als ein großer Schlag an- 
zusehen. 
Das Leichenbegängniß ist, wie voraus zu sehen war^ unt.er 
einer ungeheuren Betheiligung vor sich gegangen. Am Grabe 
wurden mehrere Reden gehalten; diejenige des Herrn Jules 
Simon lautete in ihren Hauptstellen: 
„Hr. Thiers hat. uns durch die Geschichte seines Lebens ge- 
lehrt daß man niemals verzweifeln soll; er hat sein Vaterland 
und die Wahrheit geliebt. So sage er selbst in seinem Testa- 
ment, und diese Worte wird man auch auf sein Grab schreiben. 
Der Patriotismus leuchtet aus allen seinen Werken hervor, mit 
ihm aber auch der Entschluß immer nur das Mögliche zu ver- 
suchen. 1830 setzte er sein Leben aufs Spiel um gegen die 
persönliche Regierung zu kämpfen. Als Minister bietet er den 
Schwierigkeiten Trotz und überwindet sie. Er dient einem König, 
jedoch nur unter den Bedingungen daß dieser König selbst der 
treue Diener der Verfassung sei die er beschworen hat. Sein 
ganzes Leben war ein Kampf gegen die persönliche Gewalt. 
Unter dem Kaiserreich sah er früher als alle andern wohin uns 
eine unsinnige auswärtige Politik führte. Als 73 jähriger Mann 
machte er sich, wie die Regierung der Landesvertheidigung nur 
ein Wort an ihn richtete, auf den Weg und bereiste alle Höfe 
Europas. Ihm fiel dann die Aufgabe zu den Frieden zu schlie- 
ßen. Während der Unterhandlungen sagte er: das ist eine Ago- 
nie! Aber darum schritt er doch unverdrossen zu der inneren 
Neugestaltung des Landes. Man vergißt schnell. Sechs Jahre 
trennen uns' von jener Zeit. Die Aufgabe des Hrn. Thiers 
war eine furchtbare. Alles wollte von ihm selbst gethan sein, 
alles ging durch seine Hand. Oftmals fürchtete er der Vertrag 
könnte zerrissen werden; denn man ersparte ihm keine Schwie- 
rigkeit. Nach drei Jahren hatte er die Verwaltung, die Fi- 
nanzen, die Armee ganz und gar wiederhergestellt, das Vertrauen 
zurückgeführt, das Lösegeld bezahlt und das Landesgebiet befreit. 
Als die Nationalversammlung erklärte: Hr. Thiers habe sich 
um das Vaterland wohlverdient gemacht, erhob sich in der ganzen 
Welt keine Stimme des Einspruchs. Gleichwohl fiel er am 24. 
Mai, von den Eonservativen im Stich gelassen, er, der viel 
conservativer war als sie. Er hätte nach dem Gesetz am Ruder 
bleiben, sich sogar ein Jahr vorher die Präsidentschaft auf Le 
benszeit zuerkennen lassen können; aber er trat vor einer Mehr- 
heit von wenigen Stimmen zurück, treu seiner eigenen Maxime 
daß das Parlament das letzte Wort haben muß. Nun ward 
Hr. Thiers eine Leuchte und ein Schutz für ganz Frankreich; 
bei jeder Gelegenheit fragte man sich: Was meint Hr. Thiers? 
Bis zu seinem Tode war diese Dankbarkeit des Volkes ein tröst- 
liches Schauspiel. Hr. Thiers hatte ihm gleichwohl nicht ge- 
schmeichelt, aber das Volk sah in ihm nur den .Befreier des 
Landesgebiets, den Gründer der Republik ; es gedachte und ge- 
denkt noch heute seines Ausspruchs: „Der Sieg gehört dem Maß- 
vollsten." Indem ich nun von dem hochverehrten Freund Ab- 
schied nehme, sei es mir gestattet ihm auch, im Namen der 
Männer, die seinem Herzen am nächsten standen, der HH. 
Mignet, Barthölemh Saint Hilake, Ealmon, Roger, Emanuel 
Arago, Senard, ein letztes Lebewohl zuzurufen, und endlich in 
Ehrfurcht an die Frau zu erinnern welche seinen Ruhm, aber 
auch seine patriotischen Bedrängnisse und Sorgen theilte und ihm 
die Last derselben durch Zärtlichkeit, Muth und unvergleichliche 
Hingebung erleichterte. Ein Lebewohl im Namen des Landes 
dem Geschichtschreiber der Revolution, ein Lebewohl dem Kämpen 
der Freiheit, ein Lebewohl dem Befreier des Landesgebiets, ein 
Lebewohl dem ersten Präsidenten der Republik!" 
Vom Kriegsschauplätze. 
Der Schlachtendonner nimmt kein Ende mehr auf den blut- 
getränkten Gefilden Bulgariens. Die Entscheidungsschlacht ist 
im Gange. Dieselbe hat am 7. bei Plewna begonnen und bis 
zur Stunde noch kein entscheidendes Resultat geliefert, obschon 
russische Telegramme den Sieg schon verkündet haben. Ueber 
den zweiten Tag dieser Schlacht wird der „N. Fr. Presse" ge 
schrieben : Am Samstag, meldet der Großfürst, habe der russi- 
sche linke Flügel die Anhöhen südlich von Plewna mit einem 
Verluste von 500 Mann genommen, während das Centrum und 
der rechte Flügel sich den türkischen Befestigungen auf 600 bis 
700 Faden genähert' haben sollten. Da hier offenbar russische 
Faden (Saschehe) gemeint sind, welche 7 Fuß haben, so sind 
das russische Centrum und der rechte Flügel noch immer 5000 
Fuß oder 2000 Schritte von den türkischen Stellungen entfernt. 
Der Jnfanterie-Angriff war somit von dieser Seite gestern (9. 
Sept.) noch unmöglich. Uebrigens ist es begreiflich, daß sich 
Osman Pascha einem so überaus wuchtigen Angriff gegenüber 
nur für eine gewisse Zeit behaupten kann. Wenn ihm nicht von 
anderer Seite Hülfe kommt, so wird dieser tapfere General 
schließlich gezwungen sein d e Position von Plewna, welche wahr- 
lich in diesem Krieg ihre Aufgabe erfüllt hat, zu räumen. Eine 
glückliche Offensive Mehemed Alfs auf Bjela und die Forcirung 
der Jantra-Linie würde den Großfürsten Nikolaus zwingen von 
seinem Angriff auf Plewna abzulassen. Osman Pascha könnte 
übrigens auf viel direktere Weise degagirt werden, wenn es sich 
bestätigt, daß Suleimau Pascha bereits vor längerer Zeit aus 
Kesanlik ausgebrochen ist, den Balkan westlich des Schipka- 
Passes, auf dem Rosalita- und Trojan-Paß, überschritten hat, 
. und daß sich seine Vorhut bereits vor einigen Tagen in Trojan 
selbst befand. Ein Flankenangriff Snleiman Paschas über Lo- 
watz in der Richtung auf Plewna würde die Russen zwingen 
nicht nur den Angriff auf Osman Paschas Positionen anfzu- 
geben, sondern auch sich eiligst hinter die Osma zurückzuziehen. 
Suleiman Paschas Armee zählt gegenwärtig 60,000 Mann, und 
er ist somit stark genug die oben angedeutete Operation auszu- 
führen, da er 20,000 Mann bei Schipka zurücklassen und noch 
immer mit 40,000 Mann in Flanke und Rücken der russischen 
Westarmee marschiren könnte." 
Ueber das Treffen bei Low atz, welches am 5. September 
stattgefunden hat und in welchem die Türken geschlagen worden, 
schreibt ein Korrespondent der „Polt. Corr.": 
„ Die russische Offensive auf dem westlichen Kriegsschauplatze 
hat mit dem Angriff und der Einnahme von Lowatz begonnen. 
Der Angriff wurde vou zwei Seiten eingeleitet. Die Eolonne 
des Generals Fürsten Jmeretinski rückte am 4. September von 
Wladina über Kara-Hasan das Osem-Thal entlang und nahm 
nach einem kurzem Kampfe den Ort Smotzan (nordöstlich von 
Lowatz) ein. Während dieser Zeit rückte General Skobeleff mit 
seiner fliegenden Colonne, welche mit drei Schützen-Bataillons 
und einem Jnfanterie-Regimente verstärkt war, auf der Straße 
von Selvi vor. Am 5. September beschloß aber Adil Pascha 
mit seiner ganzen Streitmacht (20,000 Mann) den Angriff der 
Russen nicht zu erwarten und ging offensiv vor. Die Türken 
griffen mit Ungestüm und Siegeszuversicht die vordringenden 
russischen Colonnen an; es gelang ihnen sogar anfänglich dieselben 
momentan zu durchbrechen. Der Mangel an Cavallerie that 
aber ihrem Vorgehen Abbruch. Die russische Cavallerie unter 
General Skobeleff chargirte mit unwiderstehlicher Wucht in die 
Flanke der türkischen Colonnen, und nach einem mehrstündigen 
Kampfe wurden die Türken auf Lowatz zurückgeworfen. Beide 
russischen Colonnen attakirten nun nach einem starken Artillerie- 
kämpf im Sturmschritte die türkische Stellung, welche von einer 
starken Abtheilung Cavallerie und reitender Artillerie des Gene- 
rals Skobeleff umgangen war. Der Sturmangriff gelang, und 
die Türkeil wichen langsam und in guter Ordnung zurück, in- 
dem sie sich auf Ugerescheni (einem westlich von Lowatz am 
Ogartschin-Flusse gelegenen Orte) zurückzogen. Die Verluste 
waren auf beiden Seiten groß, besonders verloren die Türken 
während ihres Rückzugs. Es wurden ihnen über 2000 Mann
	        

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