Landwehr sott in Rußland sehr niederdrückend wirken, indem von
demselben gerade diejenigen Theile der Bevölkerung getroffen
werden, die bei den vorhergegangenen Rekrntirungen ein Freitoos
gezogen hatten und deshalb nicht in das stehende Heer, sondern
in die Landwehr-Reserve eingetragen wurden. Die Armen haben
sich, für militärfrci haltend, beinahe ausnahmslos einen Hans-
stand gegründet und nun ist der Jammer der verlassenen Frauen
und das laute Klagen der Betroffenen selbst geradezu unerträg-
lich. Die bisher ruhige und zuversichtliche Stimmung ist einer
dumpfen Verzweiflung gewichen, die sich nur allzuoft in Ver-
wünschungen gegen die bisherige leichtsinnige Kriegführung Luft
macht.
Wenn schon früher über Mangel an Arbeitskraft für das
'Einbringen der Ernte geklagt wurde, so kann man sich leicht vor-
stellen, welche Verwirrung das Entziehen von wenigstens 300,000
Mann Arbeitern neuerdings angerichtet haben mußte. Es ist
eine Thatsache, daß trotz des fabelhaft reichen Ausfalles der
Ernte in den Gouvernements des Südens dort nur ein Theil
des Ertrages eingebracht werden konnte, da für den Rest keine
Arbeiter aufzutreiben sind. Die Arbeiternoth in dem Gebiet der
Don'schen und Kubanischen Kosaken, wo die gesammte wehrfähige
männliche Bevölkerung von 17—60 Jahren sich unter Waffen
an der Donau oder an der asiatischen Grenze befindet, ist eine
unbeschreibliche. Die reiche Ernte fault auf den Feldern, da die
allein zurückgebliebenen Weiber, Kinder und schwachen Greise
nicht im Stande sind, dieselben einzubringen. Aehnliche Ver-
Hältnisse drohen im Norden und lassen die ernstesten Befurch*
tnngen für. die Ernte aufkommen. Das schlimmste ist hierbei,
daß man ohne Polizei, Kanzleidiener, Bahnpersonal :c. bleibt, da
alle diese Stellen durch verabschiedete oder beurlaubte Solda-
ten ausgefüllt waren. In kompetenten Kreisen wird die Ver-
Mehrung von Eisenbahnunglücksfällen befürchtet, da gegen 13,000
Mann wohlgeschulter Eisenbah'nbediensteter einberufen worden sind
und diese Stellen durch des Dienstes ungewohnte und in den
meisten Fällen unfähige Arbeiter ersetzt werden müssen.
Neueste Nachrichten.
^Wien, 4. Sept. Die „N. Fr. Pr." berichtet aus Si-
stowa, 2. Sept.: Mehemed Ali Pascha .setzt seinen Marsch
auf Tschairkiöi und Osikowa (bei Popkiöi) fort. — 15,000
Mann aus Rustschuk marschiren gegen Pirgos. Osman Pascha
hat die russischen Befestigungen von Zgalintze und Pelischat voll-
ständig zerstört. Es ist nicht die Rede davon, daß er in seine
ursprüngliche Aufstellung zurückgekehrt sei. — 110 Wagen mit
Verwundeten aus dem Gefechte bei Kara-Hassankiöi sind hier
eingetroffen. — Der Kaiser verläßt Bulgarien und begibt sich
nach Frateschti.
Wien, 4. Sept. Das „N. W. Tagbl." meldet aus dem
türkischen Hauptquartier in Rasgrad, 2. Sept.: Die äghp-
tischen Jnfanterie-Regimenter griffen gestern das von den Rus-
sen verschanzte Popkiöi an und besetzten die Stadt und die
Schanzen, nachdem die Russen letztere geräumt und die Stadt
in Brand gesteckt hatten.
Paris, 4. Sept. Den Morgenblättern zufolge ist T h i e r s
gestern Abend plötzlich in Saint-Germain (en-Laye) gestorben.
Paris, 4. Sept. Der Tod Thiers' erfolgte gestern Abend
6 Uhr 10 Minuten durch einen Schlaganfall. Nachdem Thiers
des Morgens noch im besten Wohlsein promenirt und mit. sei-
ner Umgebung sich über die bevorstehenden Wahlen lebhaft un-
Verhalten hatte, war nach dem Frühstück ein sich fortwährend
steigerndes Unwohlsein eingetreten.
A'l
Verschiedenes.
^ Stand der Weinberge an dcr italienischen.
Grenze. (Ein Korr. vom Bund aus Brusio) schreibt: In
dem berühmten Weinlande an den Ufern der Adda ist eine seltene
^raubenfülle vorhanden. Schon am Anfange dieses Monats,
also etwa drei Wochen früher als voriges Jahr, erfreuten viele
gescheckte Trauben die Beschauer. Wenn das Wetter weiter so
günstig bleibt, wird es eine herrliche Weinlese geben. Da auch
in den andern Provinzen der Lombardei und in Piemont die
Weingelände zu gleichen.Hoffnungen berechtigen, so darf man
nicht nur gute, sondern auch wohlfeile Veltliner-Tropsen erwarten.
Möchte es überall den Menschen vergönnt sein, den Siebenund-^
siebenziger im Frieden zu genießen und zu guten Werken sich
zu stärken!
* *
*
* Die Petroleumlampe verdient um die Jetztzeit, wo
sie nach längerem Nichtgebrauch wieder hervorgeholt werden muß,
ganz besondere Beachtung. Sobald Petroleum, besonders schlecht
raffinirtes, Wochen- oder gar monatelang im Bassin der Lampe
eingeschlossen steht, entwickelt es Petroleumnaphta, ein sehr leicht
entzündliches Gas, welches schon oft zur Explosion von Lampen,
die lange nicht im Gebrauch waren geführt hat. Auch empfiehlt
es sich, nach längerem Nichtgebrauch den Docht zu erneuern,
denn meistens ist er inzwischen filzig geworden, saugt nicht mehr
an, sondern kohlt und schwehlt, statt zu leuchten. Ueberhaupt ist
Reinlichhaltnng bei einer Petroleumlampe die vornehmste Bedin-
gung, wenn sie nicht explodiren soll, denn jede Schnuppe, die
vom Docht herunter und neben den Brenner in die Lampe fällt,
kann eine Flamme herbeiziehen, die Bekleidung der Bassinöffnung,
und damit diese selbst erhitzen und so das im Bassin befindliche
Petroleum explosibel machen. Würden die angeführten Vorsichtsmaß-
regeln überall beobachtet, wir würden sicherlich nicht in jedem
Spätsommer von so vielen Unglücksfällen durch Petroleumlampen-
Explosionen hören.
Verantwortlicher Redakteur ».Herausgeber: vr. Rudolf Schadler.
Thermometerstand nach Reanmur in Badnz.
Monat
Morgens
7 Uhr
Mittags
12 Uhr
Abends
6 Uhr
Witterung.
August
29.
+14^ 4- 21'/z
:+ is
fast hell
tt
30
+ 12 Vi
+ 19 k
+ 18
tt tt
tt
31
■ H-14 4 /,
+ 18
+ 13 Vi
trüb; regnet
Sept. .
1
+ 12
+ 17
4" 14%
fast trüb
tt
2
+ ll 3 /4
+ 13
+11%
trüb; etw. Reg.
tt
3
+ 11
+ 16«/ 4
+ 18 Vi
halb hell
u
4.
+ 10
+ 13>/z
+ 11%
fast hell.
Telegrafischer Kursbericht von Wien.
6. Septbr. Silber 104.45
20-Frankenstück 9.56
100 Reichsmark > 58.60
London 119.25
Dttlck von Heinrich Graff in Feldkirch.