Volltext: Liechtensteinische Wochenzeitung (1877)

breit Raumes gewonnen, während die bedenklich gelichteten Reihen 
seiner Bataillone verriethen mit welch ungeheuren Schwierigkeiten 
seine Soldaten zu kämpfen gehabt hatten. Etwas besser, oder 
wenn man das Endergebnis betrachtet, noch sehr viel schlechter, 
erging es auf der russischen Linken dem General Schachowskoi, 
der erst gegen Mittag-seinen Angriff auf Radisowo begann. Es 
gelang ihm einer türkischen Redoute gegenüber, die ein rückwärts 
gelegenes stark verschanztes Dorf vertheidigte, vier Batterien in 
Stellung und nach einstündigem Feuern die türkischen Artilleristen 
zum Schweigen zu bringen. Die 32. Jnfanterie-Division ging 
nunmehr zum Sturm vor und nahm nach langem und blutigem 
Ringen die Redoute und das Dorf. Dahinter aber lag die 
zweite türkische Vertheidigungsliuie, nämlich abermals eine Re- 
doute und eine Anzahl stark verschanzter Weinberge. Auch diese 
wurden gewonnen aber unter solch entsetzlichen Verlusten, daß 
ihr Werth dadurch keineswegs aufgewogen wurde. Kaum aber 
hatten sich die Russen in den genommeneu Stellungen festgesetzt, 
so begann von der zeitig zurückgegangenen türkischen Artillerie 
solch ein vernichtendes Feuer, daß die Russen zu wanken begannen. 
Fürst Schachowskoi mußte die letzte Reserve-Brigade ins Feuer 
führen und begann nun den Angriff geradezu gegen den Ort 
Plewna selbst, oder vielmehr gegen die letzte türkische Verthei- 
digungslinie welche diesen Ort deckte. Dort stand die türkische 
Infanterie in dicht gedrängten Massen, während fortlaufende 
Schützengräben sich vor ihrer Front hinzogen. Von Nachmittags 
4 Uhr bis Sonnenuntergang rangen die Russen mit verzweifelter 
Tapferkeit, aber die türkischen Schützen wankten auch nicht einen 
Augenblick. „Sie lagen da wie die Klötze und feuerten wie 
Maschinen," schreibt ein Berichterstatter. Zwei russische 
Compagnien waren gegen Abend durch die türkischen Schützen- 
grüben hindurch bis zu den ersten Häusern von Plewna vorge- 
drungen, dort aber mußten sie, zwischen zwei Feuer genommen 
wieder Reißaus nehmen und unter großen Verlusten die offene 
Höhenkette hinanklimmen, auf der sie vorher herabgestiegen waren. 
Auch machten die russischen Batterien einen kühnen Versuch sich 
in der von der Infanterie genommenen Sellung festzusetzen und 
von dort das türkische Granatenfeuer zum Schweigen zu bringen; 
binnen kurzem aber sahen sie sich zum Verlassen des gefährlichen 
Ortes genöthigt. Und als nun das erste Abenddunkel herein- 
brach, folgte auf der ganzen Linie ein allgemeiner Bajonnett- 
Angriff der noch ziemlich frischen türkischen Infanterie. Im 
Sturm nahm Osman Pascha jene zweite Verteidigungslinie 
wieder, deren die Russen niemals vollständig Meister geworden 
waren. Die decimirten und ermüdeten Russen versuchten 
mannigfach Stand zu halten, aber die Überlegenheit auf der 
andern Seite war allzu groß, und als es vollständig dunkel ge- 
worden war, war kein Fuß breit mehr von dem anfänglich so 
mühsam erkämpften Terrain in den Händen der Hussen. Damit 
war aber der Kampf noch keineswegs zu Ende. Die Russen 
versuchten sich auf den Radisowo gegenüberliegenden Höhen, von 
wo sie ihren Angriff begonnen hatten, wieder festzusetzen. Die 
Vaschi-Bozuks aber bemächtigten sich des ganzen Landstriches 
hinter ihrem Rücken und nöthigten sie auch von "dort zum Rück- 
zug. Hierauf fußte wohl die Bemerkung des Berichterstatters der 
«Daily News," welche derselbe allerdings wohl nur auf Hören 
sagen gemacht hat, daß nämlich die Baschi-Bozuks alle auf dem 
Schlachtfelde liegen gebliebenen Verwundeten erschlagen hätten. Des 
russischen Befehlshabers muß sich nun nach dieser Niederlage 
eine gewisse Verzweiflung bemächtigt haben, denn anders ist es 
kaum zu erklären daß er am folgenden Tage dem 31. Juli, 
abermals einen Angriff unternahm. Dreimal gingen die Russen, 
nach der Meldung eines in Lowatz weilenden Berichterstatters 
des Daily Telegraph, zum Angriff vor, und dreimal wurden sie 
unter schweren Verlusten zurückgeworfen. Als sie aber zum 
viertenmal vorgingen, kamen ihnen die Türken mit dem Bajonett 
entgegen und richteten unter den Fliehenden ein furchtbares Blut- 
bad au. Im höchsten Grad schwankend sind die Angaben über 
ihre Verluste. Der „Presse" wird gemeldet daß General Krü- 
dener nur über drei schwache Infanterie-Divisionen und eine Ca- 
vallerie-Brigade, also im Ganzen etwa 40,000 Mann, verfügt 
habe, während ein Berichterstatter des „Daily Telegraph" die 
Russen auf 42,000, ein anderer aber allein ihre Infanterie auf 
60,000 Mann beziffert. Die Verluste der Türken waren, nach 
den übereinstimmenden Meldungen aller Berichterstatter verhält- 
nißmäßig sehr gering, die der Russen werden in dem zweifellos 
stark übertreibenden Bericht Osman Pascha's auf 8000 Todte 
'und annähernd das Doppelte an Verwundeten angegeben. Ein 
Bericht der „Potft. Eorr." gibt den russischen Verlust auf 2000 
Todte und Verwundete an. 
Die Niederlage bei Plewna hat auf russischer Seite eine 
große Panik hervorgerufen. Ein Telegramm der „Times" meldet 
darüber aus Bukarest, 1. August: „Letzte Nacht herrschte in 
Simnitza volle Panik, die sich auch auf Bukarest ausdehnte. Die 
Veranlassung war die Niederlage einer russischen Abtheilung 
(man kannte am 1. in Bukarest noch nicht die ganze Bedeutung 
des Kampfes. D. R.) in der Richtung von Plewna uud die 
Ankunft der Kosaken in Sistowa, welche sagten: die Türken 
kommen in großer Masse nach. Das schreckenerfüllte Volk floh 
-nach Simnitza hinüber, gefolgt von Kosaken die weiter flohen. 
Unterwegs stießen sie auf einen Convoi russischer Transport- 
wagen und verbreiteten den Schrecken auch unter den Fuhrleuten, 
welche ihre Fuhrwerke im Stiche ließen und nach allen Richtuu- 
gen hin flohen." Und der „Deutschen Ztg " berichtet man auf 
indirektem Weg aus Bukarest, 2. August: „Heute hat sich mit 
Windeseile das Gerücht verbreitet, Baschi-Bozuks und Tscher- 
kessen seien in der verflossenen Nacht nach Alexandria eingefallen 
und haben alles niedergemacht und verbrannt; auch die Brücke 
bei Simnitza soll angeblich durch Monitors zerstört worden sein. 
Es ist mir unmöglich zu sagen, was daran Wahres sein mag. 
Thatsache ist, daß die ganze Nacht hindurch die Minister und 
Präfecten mit den im Boulevard-Hotel logirenden russischen Ge- 
neralen lebhaft verkehrten, worauf letztere, nachdem sie sämmt- 
liche hier weilenden Offiziere gesammelt, mit diesen noch in der 
Nacht Bukarest verließen. In. Folge dessen, sowie wegen des 
Ausbleibens aller Nachrichten vom Kriegsschauplatze, herrscht 
unter der Bevölkerung eine schreckliche Panik. Alles bereitet sich 
zur Flucht vor. Gegen den Fürsten, die Regierung und die 
Russen herrscht große Erbitterung, weil im Moment der größten 
Gefahr die rumänische Armee in die Aktion hineingezogen wurde." 
Ueber die Kämpfe und Operationen seit dem 31. Juli liegen 
keinerlei zuverlässige Nachrichten vor. Namentlich stehen solche 
aus über die Aktion des türkischen Generalissimus Mehmed Ali 
Pascha, der sich wohl so wenig als Osman Pascha die Aus- 
nutzung der russischen Niederlage entgehen lassen wird. Osman 
Pascha kann auf Tirnowa losstoßen, wie er auch nach der Rich 
tung von Sistowa sich wenden könnte. Vor allem werden Os- 
man Pascha und Ali Pascha Fühlung oder . Verbindung mit 
einander zu gewinnen suchen und ihren Rücken frei zu machen 
haben, wenn sie einen Vorstoß gegen die Donau ausführen sollen. 
Die Russen werden ihrerseits zunächst alles thuu um ihre zer- 
streuten Korps fester aneinanderzuschließen. In den nächsten 
Tagen sieht man jedenfalls großen Ereignissen entgegen. Aus 
dem russischen Lager wird über große Verpflegungsschwierigkeiten 
geklagt. — Der Sieg Snleiman Pascha's über die Truppen 
des Generals Gurko bei Eski Sagra wird ofsiziell bestätigt. 
Suleiman Pascha, dessen Truppen bei dieser Gelegenheit fünf 
russische Geschütze eroberten, rückte am Dienstag in Eski-Sagra 
ein, wo die Türken noch einen erbitterten Kampf mit der bul- 
garischen Bevölkerung zu bestehen hatten, die auf die Truppen 
durch die Fenster schoß und sich in Häusern und Kirchen aufs 
äußerste vertheidigte. Da Suleiman Pascha seinen Vormarsch 
auf Kazanlik fortsetzt, so dürfte der militärischen Promenade 
Gurko's bald ein ziemlich unangenehmes Ende bereitet werden 
Seine Leute werden in fortgesetzten Gefechten denmirt.
	        

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