Volltext: Liechtensteinische Wochenzeitung (1877)

verfolgt. Die im Castell von Bajazid verschanzten Russen 
wurden aufgefordert sich zu ergeben. — Ein Telegramm Der 
wisch PafchaS aus Batum von gestern bestätigt, daß eine 
türkische Fregatte Nicolaja bombardirt habe Die Türken seien 
gelandet und haben die Garnison vertrieben, worauf die Expe- 
dition wieder nach *Batum zurückgekehrt fei. 
Wien, 9. Juli. Die „Polit Corr." meldet telegraphisch 
auS Bukarest vom 9. Juli: Gegen den vom Fürsten beab- 
sichtigten TonaU'Uebergang mit der rumänischen Armee herrscht 
die größte Agitation im ganzen Lande, welches eine Offensive 
der rumänischen Armee offen perhorrescirt. Die (Kinnahme 
TirnowaS wird in russischen militärischen Kreisen als eine 
glänzende Waffenthat gefeiert. Theile eineS neuen russischen 
Armeekorps Passiren unsere Stadt. 
Wien, 9. Juli AuS Bukarest wird gemeldet: daS ruf- 
fische Hauptquartier solle sichere Meldung erhalten haben, daß 
nach Varna. Silistria, Schumla, Rusischuk und Widdin Land- 
wehr als Garnison komme und Abdul Kerim Pascha aus den 
Besatzungen dieser Festungen eine Feldarmee von 130,00!) bis 
140,OCO Mann bilden wolle um den Russen eine Schlacht 
anzubieten. 
Londo», 10. Juli. Nach einer Meldung des „Reuterschets 
Bureaus" auS Erzerum vom 9. d M. ist nördlich von 
Bajazid ein Kampf entbrannt der noch fortdauert. In Erzerum 
ist die Ansicht verbreitet, Mukthar Pascha werde gezwungen 
sein den Russen, welche im Otti-Thale vorrücken, eine Schlacht 
anzubieten bevor er seinen Vormarsch gegen KarS fortsetzen 
könne. — AuS Erzerum wird ferner vom 7. Juli gemeldet, 
daß eine russische Colonne bei dem Versuch in daS Thal von 
Ardanutsch einzudringen, geschlagen worden sei und sich nach 
Ardaghan zurückgezogen habe. Mustapha Pascha ist von der 
Armee MuktharS mit 4000 Mann abmarschirt um sich nach 
KarS hineinzuwerfen. 
Der Gattenmord am Stilfferjoch. 
(AuS der Feldk. Zeitg ) 
Der Prozeß Tourville, der das Interesse der weite- 
ften Kreise in Anspruch nahm, endete mit der Schuldigsprechung 
deS Angeklagten und seiner Verurtheilung zum Tode. Die 
Rede des Staatsanwalts v. Köpf entwirft ein äußerst an- 
schauliches Bild vom Leben und Charakter deS Verbrechers, 
und wollen wir dieselbe daher in möglichster Kürze unfern Le- 
fern mittheilen; dieselbe lautet: 
Meine geehrten Herren Geschwornen! Sie sind durch das 
Gesetz gewählt, über ein Ereigniß zu Gerichte zu sitzen, daS 
weit über die Grenzen unseres Vaterlandes Aufsehen und Ent- 
setzen erregt hat, ein Ereigniß, außergewöhnlich durch den Zeit- 
räum, den eS umspannt, selten durch die Eigenthümlichfeit der 
Verhältnisse, unter denen eS sich bewegte, erschütternd durch 
die Größe deS Verbrechens, mit dem es seinen Abschluß fand. 
Sie haben von dem im Juli vorigen JahreS erfolgten 
mysteriösen Tode einer fremden Dame aus dem Stilsser. Joche 
gehört; von der allgemeinen Stimme, dieser Tod sei erfolgt 
durch gewaltsame Handanlegung einer zweiten Person. Sie 
find nun berufen, zu entscheiden, ob der Verlust dieses Men-° 
schenlebenS einer bestimmten Person, dem Angeklagten, zur Last 
gelegt werden muß oder nicht Eine Reihe von Thatsachen 
liegt vor, welche nicht nur gegen den Angeklagten sprechen, 
sondern geradezu von seiner Schuld überzeugen müssen. 
ES ist nun meine Aufgabe, Ihnen diese Thatsachen vorzu- 
führen, zu zeigen mit welch' großem Raffinement das Verbre- 
chen eingeleitet und ausgeführt wurde, das um fo schwerer er. 
scheint, als eS an der Gattin des ThäterS begangen wurde; 
den Beweis zu liefern, wie der Angeklagte an sich selbst zum 
Berrüther wurde, indem er, daS verbrechen leugnend, die Be 
hauptung aufstellt, seine Gattin habe sich selbst entleibt; indem 
er mit der Schmach deö Selbstmordes, die er seinem Opfer 
in'S Grab nachruft, feine Unthat decken und die allgemeine 
und unerschütterliche Ueberzeugung vernichten will, seine Gat- 
tin meuchlerisch ermordet zu haben, die allein schon durch den 
stummen Zeugen deS ThatorteS geschaffen wird 
Diese meine Ueberzeugung brauche ich Ihnen nur zu be- 
gründen durch die Vorstellung folgender Momente: 1. Der 
Beweggrund zur That; 2 der Mordplan; 3 die Ausführung 
deS Verbrechens; 4 die Nichtigkeit seiner Angaben über die 
TodeSart seiner Gattin: 5. die Vorkehrungen zur Entfernung 
deS Verdachtes nach seiner am 23. Juli vorigen J.,hreS er- 
folgten Freilassung. 
Ich bezeichnete als erstes Bewei^moment die Darstellung 
deS Beweggrundes zur That Der Beweggrund zu einem so 
überaus schweren Verbrechen muß ein gewaltiger, alle Ein- 
drücke der Erziehung, alle Gesetze der Moral, jede bessere 
Regung überwältigender gewesen sein. Um daS Motiv znm 
Verbrechen klarzulegen, muß ich auf die persönlichen Verhält- 
nisse und daS Vorleben des Angeklagten zurückgreifen. Wer 
ist der Angeklagte? Wir kennen ihn auS feinen Angaben 
nicht; er selbst hat dem Richter die Wahrheit vorenthalten; 
er selbst hat sich einen Namen beigelegt, der ihm nicht eigen 
ist; er erklärt sich vor dem Richter alS Besitzer eineS großen 
Vermögens — eines Vermögens, daS eine jährliche Rente von 
40,000 fl. abwerfe; er umgibt sich mit dem Glänze deS 
ReichthumS und präsentirt die Bestätigung seiner Vorstellung 
bei der Königin von England, welche gleichfalls unter dem 
falschen Namen de Tourville stattfand; er that Alles, um 
durch den Schein seines vornehmen Standes, durch den Glanz 
seines Reichthums zu imponiren. ES ist ein bekannter Zug 
dunkler Leute, die sich durch Jntriguen in den Bereich deS 
Wohlstandes eingedrängt, einen vornehmen Stand geltend zu 
machen, mit ihrer Stellung in der Gesellschaft, mit ihrem 
Mammon zu prahlen; wir finden diesen Zug wiederholt in 
der Geschichte deS gegenwärtigen Prozesses. 
Der Angeklagte ist Henri Dieudonne Perreau, geboren 
am 21. Juli 1637, Sohn des Peter Perreau und der Marie 
Souplet aus Valenciennes. wo sein Vater Kaufmann war. 
Die Erhebungen lauten wörtlich dahin, daß er eine gute Er- 
ziehung erhalten, da seine Eltern dem Anscheine nach in guten 
Verhältnissen sich befanden, daß aber bei ihrem Tode wenig 
Vermögen blieb. Perreau wird Hang zur Verschwendung 
vorgeworfen. Er besucht nun 1850 bis 16)5 daS Kollegium, 
praklizirt dann sechs Jahre beim Notar Alglave in Valen- 
cienneS, bereist 24 Jahre alt, Belgien, die Schweiz, England 
und Deutschland. Er war dann kurze Zeit beim Notar 
Gamblon in Paris. Als im Jahre 1867 seine Tante Marie 
Auguste Souplet starb, erbte er ein Vermögen von 840 
Franken und ein HauS in ValencienneS, das er um 700 
Franken vermiethete und in der Folge veräußerte. 
Plötzlich sehen wir denselben Perreau in den höhern 
Kreisen der Gesellschaft, wir erblicken ihn sogar unter dem 
Namen eineS Herrn de Tourville am Hofe der Königin von 
England. Wie kommt der Ma in vom Notarschreiber in diese 
Kreise, zu diesem Namen? — Wir haben nun zwei verschie- 
dene PerreauS, deN'Mann ohne Mittel, den die Informationen 
auS Frankreich als einen finstern, hochmüthigen Charakter 
schildern, von dem ein Zeuge sagt, daß er sehr viel Frechheit 
besaß — und den Herrn de Tourville mit den feinen, ein- 
schmeichelnden Manieren den Eavalier am Hofe der Königin, 
den reichen Gutsbesitzer im Komfort eiueS bedeutenden Ver- 
mögenS. (Fortsetzung folgt.) 
Verantwortlicher Redakteur u. Herausgeber: Dr. Rudolf Scdädler. 
Telegrafischer Kursbericht von Wien. 
12. Juli Silber 109 25 
20-Frankenstück 10.06 
100 ReichS-Mark ....... 62.- 
London 126.— 
Druck von Heinrich Graff in Feldtirch.
	        

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