seien gesonnen alle Sonderinteressen beifeite zu setzen und die
Erhaltung des europäischen Friedens als leitendes Prinzip in
"den Bordergrund zu stellen; der bessere Status quo im Orient
fei die Grundlage der Bemühungen der Mächte. Der Mini-
ster konstatirt, daß Oesterreich-Ungarn keine Feinde habe und
zu allen Mächten in den besten Beziehungen stehe; daß eS
ferner eine brave Armee besitze und als Staat mit 36 Millio
nen Seelen, indem eS für den europäischen Frieden eintrete,
mit Zuverficht Erfolgen entgegensehen könne.
Türkei. Ueber den schon längst erwarteten und nun auS-
gebrochenen Bulgaren - Aufstand schreibt ein Korrespondent
d. A. A. Ztg. vom 9. Mai folgendes:
Der seit langer Zeit erwartete, von vielen bezweifelte Bul«
garen-Aufstand ist nun doch ausgebrochen und wird der tür
kischen Regierung im Verlaufe der Zeit wohl schweren Kum-
mer bereiten, denn allem Anschein nach droht er sich eben so
entwickeln zu wollen wie der ebenfalls auS kleinen Ursachen
entstandene bosnisch - herzegowinische Aufstand. Vorläufig be
schränkt sich die Operation der Bulgaren darauf, daß sie die
eigenen Dörfer abbrennen und sich mit Weib und Kind in die
nahen Berge deö Balkan zurückziehen, um von dort aus ver-
einigt die türkischen Streitkräfte anzugreifen. Das zur Zeit
insurgirte Gebiet liegt zwischen Philippopel und Sofia, mit
dem Zentrum in Tatar-Bazardschit« von welch letzterem Orte,
resp. dessen nächster Umgebung, die Bewegung ausging. Gegen-
würtig finden dorthin bedeutende Truppentransporte statt,
welche alle auf den Eisenbahnen befördert werden. Die nach
Bulgarien dirigirten Truppen und RedifS (Landwehr) kommen
größtentheilS aus Asien, und zwar hauptsächlich aus Trape-
zunt, Euken, Anatolien :c., theilS aber werden die durch den
bosnischen Krieg schon sehr verminderten Garnisonen der Pro-
vinz auf ein Minimum reduzirt und die freiwerdenden Trup-
Pen den Bulgaren entgegengeführt. Die schlimmste Sorte,
Welche bei dem herrschenden Truppenmangel schon aufgeboten
wird, sind die Bafchi-Bozuks (wörtlich „Verwirrte Köpfe").
Dieselben sind nichtuniformirte Freiwillige, welche von der Re-
gierung bewaffnet werd m und deren Hauptthätigkeit im Plün-
dern und Rauben besteht — ein Geschäft, welches sie meister-
Haft verstehen. Bei ihrem Transport durch die Eisenbahn
machen sie sich daS harmlose Vergnügen, wahrscheinlich der
Uebung halber, auS den Zügen auf die größtentheilS bulgari-
fchen Bahnarbeiter k. zu schießen, und soeben trifft die tele-
graphische Nachricht ein, daß auS einem heut expedirten Mili-
tärzug durch diese Spielerei eine Frau und zwei Männer ge-
tödtet und ein Mädchen verwundet wurden. Diese Baschi-
BozukS tragen nur dazu bei den Aufstand auch dorthin zu
verbreiten, wo er faktisch noch nicht besteht. Bei Otlukkeni,
der Wiege deS AufstandeS, 30 Kilometer nördlich von Tatar-
Bazardschik, fand schon ein bedeutenderer Zusammenstoß zwi-
schen Bulgaren und türkischen Truppen statt, der ziemlich blu
tig gewesen sein soll. Auf welcher Seite der Erfolg zu ver-
zeichnen ist, ist noch unbekannt. Der Oberkommandant der
türkischen Truppen, Hafuz Pascha, schickte in Folge dieses
Treffens natürlich sofort pompöse SiegeSbulletinS nach Kon-
stantinopel und hieher ab. Inzwischen dauern die Kämpfe fort.
Die Türken verfügen am Kriegsschauplatz über 8 Bataillone
Infanterie, einige Escadronen Kavallerie und über eine reitende
Batterie von 6 Krupp'schen Kanonen, während die Bulgaren
in der Zahl von 8000 bis 10,000 Mann ebenfalls gut be-
waffnet sind und durch russische und serbische Offiziere geführt
zu fein scheinen. Die hiesige Lage wird nunmehr in der That
eine ernste. Die ganze mohammedanische und bulgarische Be-
völkerung ist in größter Aufregung, und wenn wir Ausländer
auch weder von der einen noch von der andern Seite etwas
zu befürchten haben, so genügt doch ein Mißverständniß um
den Funken in die gefährliche Zündmasse des religiösen Fana-
tiSmuS zu schleudern und uns in die unangenehmste Situation
zu versetzen. Heute gelangte die Nachricht hieher: in Salo-
nichi seien der deutsche und der französische Consul ermordet
worden, und zwar weil sie ein Mädchen, welches von Türken
ihren bulgarischen Eltern entführt worden war, um zur Mo-
hammedanerin gemacht und von einem Türken geheirathet, oder
besser, in einen Harem gesperrt zu werden, auf Intervention
der Eltern und der christlichen Geistlichkeit durch Vorstellungen
beim Gouverneur von diesem Loose befreiten. ES hängt dieser
Vorfall zwar nicht mit dem Aufstande zusammen, beweist
jedoch, daß ein aufgeregter Pöbelhaufe, wenn der bei
Mohammedanern stark ausgeprägte religiöse Fanatismus ins
Spiel kommt, zu jeder Schandthat bereit ist. — Vor einer
Stunde traf die telegraphische Nachricht hier ein, daß heute
Mittags durch bewaffnete Bulgaren die Bahnlinie zwischen
Sarembey und Bellova, unseren beiden äußersten Stationen,
aufgerissen wurde. Man beschränkte sich jedoch darauf drei
Schienen zu entfernen, welcher Schaden alSbald wieder repa-
rirt wurde. Kurz darauf verfolgten dieselben Bulgaren sechs
Türken, und als letztere sich in das Stationsgebäude von
Bellova flüchteten, wurde dasselbe umstellt. Die Türken wei-
gerten sich begreiflicherweise trotz ergangener Aufforderung her-
auszukommen, und die Bulgaren zündeten daher das Gebäude
an. Der StationSchef flüchtete sich nach Sarembey; weitere
Nachrichten stehen bis zur Stunde, in Folge Unterbrechung
der Telegraphenlinie, noch auS. Welchen Verlauf der Auf-
stand nehmen wird, muß die Zeit lehren; vielleicht führt er
zum Ende der türkischen Herrschaft in Europa und fällt daS
morsche Reich in sich selbst zusammen. Ueber die weiteren Er-
eignisse werde ich Ihnen später berichten.
Die Pariser „Defense" bringt folgende tebegraphische Be-
schreibung beS Leichenbegängnisses der beiden Consuln in Sa-
lonichi:
„Gestern um 8 Uhr Morgens nahmen auf ein von dem
französischen Geschwader gegebenes Signal alle in den Gewäs-
fern von Salonichi weilenden fremden Kriegsschiffe so nahe am
Landungsplatz als möglich in Schlachtordnung Stellung. Einige
Minuten darauf führten alle ihre Schaluppen Truppen-Abthei-
lungen ans Land. Schon bei Anbruch des Tages hatte die
türkische Garnison von Salonichi die volkreichen Quartiere,
sowie die drei Hauptstraßen, durch welche sich der Zug bewe-
gen sollte, besetzt und der türkische Kommissär Vahan Effendi
hatte mit seiner Person für die Ordnung eingestanden. Um
10 Uhr lösten die Kriegsschiffe, nachdem sie ihre Flaggen und
Mäste zum Zeichen der Trauer eingezogen, je fünf Kanonen-
schüsse. Die fremden Truppenkräfte, nahezu 2000 Mann, ver-
theilten sich in starken Pelotons vom Quai bis zu den Eon-
sulaten und besetzten auch noch verschiedene andere strategische
Punkte der Stadt; sie trugen geladene Gewehre und ihre Sä-
bel an der Seite. Um 10^ Uhr wurden die Leichen abgeholt
und die Festung begann 101 Kanonenschüsse zu lösen, welche
die Mächte gefordert hatten. Dem Sarg deS französischen Kon
suls zog die Musik des Admiralsschiffes mit in Flor gehüllter
Standarte voran; ihm folgten das ConfulatSkorhS, die Offi-
ziere der Geschwader in Parade-Uniform und die türkischen
bürgerlichen und militärischen Behörden ebenfalls in großem
Costüm. Die fremden Marine-Soldaten bildeten Spalier. Der
Palast des Gouverneurs hatte seine Flagge eingezogen. Ueber
dem Thore der Moschee wehte ein großes schwarzes Tuch.
Sämmtliche Eonsulate hatten chre Flaggen aufgepflanzt. Dem
ganzen Zug voran schritt ein türkisches Bataillon mit Musik
und Trauerfahne; drei Pelotons Marine-Soldaten schloffen
den Zug. Sämmtliche Kriegsschiffe hatten ihre Feuer ange-
zündet und Befehl erhalten auf das erste Signal die höher ge-
legenen Quartiere der Stadt zu beschießen. Um 3% Uhr er
reichte der Zug den Landungsplatz. Die türkischen Truppen
erwiesen den jbeiden Särgen die militärischen Ehren; dann
löste das Geschwader, während man die Leiche des Herr«