Volltext: Liechtensteinische Wochenzeitung (1876)


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Vetschiedenes. 
* St euerfeufze r eines A merikanerS. ^ Steuern 
auf jeden Artikel, der zum Munde eingeht, den Rücken deckt 
r; ^>der die Füße schützt; Steuern auf Alles, waS man sehen, 
hören, fühlen und schmecken will; Steuern auf Wärme, Licht 
und Bewegung; Steuern auf alle Dinge, die auf der Erde, 
auf dem Wasser und unter der Erde sind; Steuern auf Al- 
leS, waS aus der Fremde kommt und waS im Lande gedeiht; 
Steuern auf Rohmaterial und auf jede Vermehrung des Wer- 
thes, den ihm die Industrie verleiht; Steuern auf die Suppe, 
welche den Hunger des Armen stillt, und auf die. Arznei, 
welche ihm die Gesundheit herstellt; auf den Hermelm, der 
"den Richter schmückt, uud auf den Strick, an den der Dieb 
1 gehängt wird; auf die messingenen Henkel des SargeS und 
auf die Bänder der Braut. Im Bett und am Tisch, ltevend 
1 oder liegend, überall sind wir den Steuern verfallen. Der 
Schulknabe dreht seinen besteuerten Kreisel, der batilofe Jung- 
h I'ng tummelt sein besteuertes Pferd mit besteuertem Zügel auf 
V besteuerter Straße. Der sterbende Bürger gießt seine Medizin, 
H die mit 7 Prozent besteuert ist, in einen Löffel, der 15 Proz 
^ Steuern zahlt, schwingt sich auf sein Sitzbett, vaö mit 22 
Proz. besteuert worden war, setzt seinen letzten Willen auf ei- 
«en Stempelbogen von 8 Pfund und stirbt in den Armen ei- 
neS Arztes, der für die Erlaubniß, ihn kunstgerecht umzubrin, 
' gen, 100 Pfund bezahlt hat. Sein ganzes Eigenthum wird 
sofort nut einer Steuer von 2—10 Proz. belegt. Äußernden 
Kotten des Testaments werden harte Summen für fe n Be- 
gräbniß im Chor gefordert; seine Tugenden werden auf be 
steuertem Marmor gelobt, und erst wenn er zu seinen Vätern 
versammelt ist, hört das Steuerzahlen auf. 
* Die Ei senbahn-Katastrophe i n Südrußland. 
1 AuS Odessa wird der St. Petersburger Zeitung geschrieben: 
. Am Weihnachtstage (alten Styls) lag der Schnee berghoch 
auf Gassen und in Gehöften, die Comunikation war so gut wie 
gehemmt, wahrend bereits in der Morgenstunde der Kultkuwo- 
Bahnhof in hellen Flammen stand und bis auf den Grund 
nieverbrannte. Der Verlust ist an und für sich kein sehr bekla- 
genSwerther, da der einstöckige Holzbau als Znterimsgebäude 
galt, eng und ungenügend war und daS Material für einen 
neuen passenderen Bahnhof bereits in der Nähe liegt; aber 
Während dieser furchtbaren Kälte wird seine Einäscherung dem 
reisenden Publikum sehr fühlbar sein. Noch während deS 
' Brandes gelangte die Unglücksbotschaft eines entsetzlichen Elsen« 
^ bahnunfallS Hieher, der sofort auch zahlreiche Schwer-- und 
Leichtverwundete folgten. Da wir durch ungedeure Schnee- 
Massen wieder einmal ganz isolirt sind, Züge weder gehen noch 
kommen, wird man die schauerlichen Details der Katastrophe 
nur sehr allmählig erfahren, doch vernehme ich Folgendes auö 
- guter Quelle: Der Unglückszug gelangte in der Mittagsstunde 
1 des 24. an die Stelle des Tilligal, wo eine notwendige 
. Sch enenreparatur dnrch Signale nicht hinreichend gekennzeich- 
Jk Net war, um in entsprechender Entfernung bei Sturm und 
A Schneegestöber gesehen werden zu können. Maschinist und Zug- 
führer waren überdies von der vorzunehmenden Reparatur 
nicht unterrichtet worden,, was bei solcher Witterung und Iah- 
reszeit durch den Telegraphen hätte geschehen müssen. So 
fuhr die Lokomotive auf die entfchiente Stelle loS, entgleiste, 
stürzte den schmalen, 210 Fuß hohen Damm hinunter uno zog 
de« ganzen, aus 15 Waaren- und 11 Passagierwaggons be> 
P stehenden Zug nach sich, welcher in Brand gerleth, da alle 
Oefen geheizt waren. Wie von den 420 jungen Soldaten 
überhaupt noch einer gerettet worden, bleibt wunderbar, da fo- 
,}s fort der ganze Zug in Flammen stand. Die 66 Vermißten sind 
1 ohne Zweifel verbrannt. Der Maschinist ist, schwer verletzt, 
| mit dem Leben davon gekommen, der Heizer und ein Arbeiter 
f ist todt, 5 Kondukteure, sowie 290 Soldaten retteten sich, 53 
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Verwundete sind in verschiedenen Lazarethen untergebracht wor- 
den, von diesen hofft man 38 dienstfähig herzustellen; doch soll 
der Anblick der Armen, wie mir Augenzeugen versicherten, ein 
grauenvoller gewesen sein. Jedenfalls ist eS eine der entsetzlich- 
sten Katastrophen, von denen die Eisenbahngeschichte meldet. 
Der Kommandirende deS Odessaer Militärbezirks, Generalad- 
jutant Semeka, wurde aus der Kirche geholt, nahm sofort 
Aerzte, Feldscheerer, Tragbahren, Kutschen und Schlitten mit 
uud fuhr zum brennenden Bahnhofe, bei dem die unglücklichen 
Opfer allmälig anlangten. 
Volkswirthschastliches. 
Die Arbeit in Europa und in Amerika. 
(Fortsetzung.) 
Indem ich jetzt auf Deutschland komme, bemerke ich zum 
besseren Verständnisse der hier in Cents und Dollars angege- 
benen Werthe, daß stets der preußische oder deutsche Thaler zu 
72 Cents Goldwertb und der Dollar zu 100 CentS angenom- 
men ist. Von Deutschland wurden im Jahre 1874 industrielle 
Produkte zu dem Wertbe von 44 Millionen Doll. in den Ver. 
Staaten von Nordamerika eingeführt. Seidene, wollene und 
baumwollene Fabrikate, wie auch Kleiderstoffe, nahmen darun- 
ter den ersten Platz ein Die ttötme der Arbeiter in den Wol- 
lenmanufakturen s^. wanken von 2 bis 5 Dollars per Woche, 
für geschickte Arbeiter in Seide- und Sammet'Manufakturen 
sogar von 3 bis 5 Dollars per Tag. Schneide? ernten für 
Stückarbeit wöchentlich 4 bis 5 Doll.; in den Eisengießereien 
betragt der Lohn 70 Cents biö 1 % Doll. per Tag. In Ber- 
lin betrügt der durchschnittliche Wochenlohn in den Eisengieße- 
reien und Werkstätten für Lokomotiven und Maschinen 4 bis 
8 Dollars. Maurer, Zimmerleute erhalten durchschnittlich in 
Deutschland einen Tagelohn von 70 Cents bis 1 Dollar, 
Schuhmacher 72 Cents per Tag, Schmiede 70 bis 80 CentS 
per Tag, Sattler 4 bis 6 Doll. per Woche, Uhrmacher einen 
gleich hoben Betrag, Bergleute lO bis 12 Doll. per Woche. 
Ackerbauarbeiter empfangen durchschnittlich 90 bis 108 Doll. 
jährlich nebst Beköstigung oder 30 bis 40 CentS täglich ohne 
Kost Der LebenSunte-halt kostet, und *war Fleisch -12 bis 13 
CentS per Pfd., Butter 24 bis 30 CentS per Pfd, Kartoffeln 
40 bis 60 CentS per Bushel (Berliner Scheffel), Roggenmehl 
per Faß zu 200 Pfd. 6 bis 8 Doll , ein Paar Stiefel 2% 
bis 4 Doll., Kaffee 25 CentS per Pfund. Man kann über- 
Haupt an Wohnung, Nahrung, Kleidung, Heizung und sonst- 
igen kleinen Ausgaben einen jährlichen DurchfchnittSbetrag von 
85 Dollars als Minimum der Kosten für einen Arbeiter an- 
nehmen, während eine Arbeiter-Familie, bestehend auS Mann, 
Frau und 2 bis 3 Kindern, mindestens 350 bis 370 DoUarS 
im Jahre durchschnittlich jetzt verbraucht. Der Zustand der Ar- 
beiter ist in Deutschland insoferne schlimmer als »in England, 
Frankreich und Amerika, als der Arbeiter mehr Stunden deS 
TageS »n» sogar in Fabriken noch bei Nacht arbe-ten muß; 
12 u. 14 Stunden sind eine gewöhnliche Arbeitszeit, während 
10 Stunden in den anderen Ländern die höchste Arbeltsdauer 
sind. Die Wohnungen der Arbeiter in den Städten sind durch- 
schnittlich dürftig u. ungesund, und oft sind mehrere Familie« 
in einem kleinen Hause zusammengedrängt oder eine Familie 
nur auf ein Zimmer beschränkt; die Arbeiter auf dem Lande 
haben meistenthellS ihr eigenes HäuSchen, wenn auch äußerft 
mangelhaft, und dabei zugleich eine Ziege oder ein Schwein. 
In den Fabriken kann man ein Fünftel der Arbeiter dem weih- 
lichen Geschlechte zuzählen. Im allgemeinen herrscht Mäßigkeit 
unter den Arbeiterklassen, vorzugsweise auf dem Lande, und 
durch den obligatorischen Unterricht sind auch die Arbeiter i« 
allgemeinen mit den ersten Elementen deS Unterrichts wohl ver 
traut. Ein harter Druck aber, der auf den Arbeiterfamilien la-
	        

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