Volltext: Liechtensteinische Wochenzeitung (1876)

gesucht, und kam dann auf die Andrassy-Note zu sprechen: 
„Jene Note, aufgesetzt durch einen hervorragenden Staatsmann, 
der außerordentlich wohl bewandert ist, in dem Gegenstände 
mit dem er zu schaffen hatte, enthielt in sich wahrscheinlich alle 
jene Maßregeln, welche, wenn zur Wirkung gebracht, das große 
Ziel daß er (ich vorgesetzt, zuwege gebracht hätten. Und die- 
feS Ziel war den Zustand der Bevölkerung der türkischen Pro- 
vinzen zu sichern in dem Glauben, daß die Verbesserung ihres 
ZustandeS und die Abstellung ihrer Beschwerden an und für 
sich die beste Sicherheit für die Unabhängigkeit und territoriale 
Unverletzlichkeit deS Reiches sein wü^de." Die englische Re- 
gierung habe ohne Hoffnung auf die Möglichkeit der Durch- 
fübrung jener Reformen, bei dem damaligen Zustande der Tür- 
kei — waS sie auch nicht verhehlt — der Rote ihre Zustim- 
mung ertheilt. Als die AndrassyNote, als zur Zeit undurch- 
führbar, gefallen, fei ein anderes Schriftstück, das Berliner Me- 
merandum, aufgesetzt worden. Die englische Regierung habe 
demselben die Zustimmung verweigern müssen, da eS Unmög- 
licheS von der Pforte gefordert und, im Falle dasselbe nicht 
geleistet würde, die Türkei mit Maßregeln bedroht habe die nur 
olS militärische Besetzung aufgefaßt werden könnten, und die 
zur Zertheilung der Türkei und zum Kriege wahrscheinlich hat- 
ten führen müssen. Dann sei, veranlaßt durch Unruhen in 
der Türkei, die Entsendung der Flotte nach der Besika-Bai 
erfolgt. Diese Maßregel habe die Ruhe in jenem Theile der 
Welt gesichert, „und" — sagt der Redner — „hat gezeigt, 
daß mit den Interessen Englands nicht zu spaßen ist — und 
ich habe noch zu erfahren daß in irgend einer Versammlung 
von Engländern die Entsendung der Flotte nach Besika - Bai 
nicht gebilligt worden wäre." Dann sei der Borschlag einer 
österreichisch-russischen Besetzung der aufständischen Provinzen 
und Demonstration der vereinigten europäischen Flotten vor 
Konstantinopel gekommen. „Fühlend daß daS eine Politik sein 
würde, welche die feierlichsten Verträge, von denen ich gespro 
chen," sagte Lord BeaeonSfield, „verletzen würde, lehnten wir 
die Zustimmung zu solch einem Vorgeben ab Und erlauben 
Sie mir zu bemerken, daß ein Jahr verflossen ist und trotz aller 
Versuchungen und verleitenden Umstände ist die Unabhängigkeit 
und GebietSunverletzlichkeit der Türkei nicht gefährdet worden, 
und der europäische Friede wurde aufrecht erhalten." (Beifall.) 
DaS andere große Ziel sei die Befriedigung der aufständischen 
Provinzen. England, wie der Redner weiter ausführte, habe 
sein Bestes zur Erreichung desselben gethan. Durch die Ent» 
rüstungSmeetingS, welche England im Ausland in einem fal 
schen Licht hätten «scheinen lassen, seien aber n anche Bestre 
bungen der Regierung vereitelt worden. Auf die letzten Waf- 
fenstillstandSverhandlungen zu sprechen kommend, erklärte Lord 
BeaeonSfield dann, um falsche Auffassung zu beseitigen: der 
englische Vorschlag habe nicht auf einen Monat gelautet, fon- 
dern auf „nicht weniger als einen Monat." Als deßhalb die 
Pforte fünf Monate habe gewähren wollen und den Mächten 
dieß zu lange dünkte, habe England eS mit seiner Ehre nicht 
verträglich gehalten die Pforte zu bedrängen und sich deßhalb 
von jeder weiteren Verhandlung seit jenem Augenblick zurück- 
gezogen. Ueber daS was dann vorgefallen, wolle er nicht wei- 
ter reden. DaS Ultimatum, ein häßliches Wort, erscheine ihm 
„als wenn jemand dann eine Schuld einklagt wenn zur selben 
Zeit der Betrag im Gerichtshof einbezahlt worden." Ein Waf- 
fenstillstand sei jetzt glücklich zn Stande gebracht. Cr sei aller- 
dingS noch kein Friede, doch seien die Aussichten dafür günstig. 
Zugleich habe die englische Regierung eine Conferen; vorge- 
schlagen, und um derselben etwas von der Frische und GestchtS- 
weite zuzuführen, welche diejenigen Staatsmänner die nicht 
immer einen Zweck im Auge haben besässen, habe die Regie- 
rung zum Spezialgesandten den Lord SaliSbury ernannt. „Ich 
glaube," fügte Lord BeaeonSfield hinzu, „befugt zu der Er- 
klarung zu sein, daß alle Mächte der Konferenz zugestimmt 
haben." Lord SaliSbury besitze daS ganze Vertrauen deS Ca- 
binetS, er werde sicherlich den Frieden Europa'S zu erstreben 
suchen, der nicht besser als durch Festhakten an den Verträgen 
erzielt werden könne. „Ich hoffe," sagte der Minister, „daß 
bei der gegenwärtigen DenkungSart Europa'S wir diese großen 
Resultate werdenZerzielen können, und daß sich jenen fürchter- 
lichen Appellen an die Waffen vorbeugen läßt von denen wir 
letzthin nur zu häufig gehört haben." Bezug nehmend auf 
eine Bemerkung deS Lord-Mayor über Englands FriedenSnei- 
gungen, sagte Lord BeaeonSfield: England sei allerdings durch- 
aus ein Land deS Friedens, aber wenn ein Kampf nöthig 
werde, dann fei kein Land^wie England für den Krieg vorbe- 
reitet. „England ist nicht ein Land das zu fragen haben würde 
ob eS einen zweiten oder dritten Feldzug eröffnen könne. ES 
wird nur in einer gerechtenZSache einen Krieg beginnen, aber 
ihn auch nicht eher beenden als bis das Recht gesichert ist." 
^Lauter Beifall.) Der Minister schloß mit einem Hoch auf 
den Lord-Mayor. 
Rußland. Der „Regierungs-Anzeiger" veröffentlicht den 
Wortlaut der Ansprache, welche der Kaiser Alexander am 10. 
November in Moskau an die Vertreter deS Adels und der 
Stadtgemeinde gerichtet hat. Der Kaiser sagte: „Ich danke 
Ihnen für die Gefühle, welche Sie Mir ausdrücken wollten an- 
läßlich der gegenwärtigen politischen Verhältnisse, die jetzt mehr 
aufgeklärt sind. Ich bin mit Vergnügen bereit, Ihre Adresse 
anzunehmen. ES ist Ihnen bereits bekannt, daß jdie Türkei 
Meiner Forderung deS sofortigen Abschlusses deS Waffcnstill- 
standS, um den unnützen Metzeleien in Serbien und Monte- 
negro ein Ende zu machen, nachgegeben hat. Die Montene- 
griner zeigten sich in diesem ungleichen Kampfe wie immer alS 
wahre Helden. Vön den Serben kann man leider nicht daS- 
seltze sagen, trotz der Anwesenheit unserer Freiwilligen in den 
serbischen Reihen, von welchen viele für die slavische Sache ihr 
Blut vergossen haben. Ich weiß, daß mit Mir ganz Rußland 
lebhaften Antheil an den Leiden unserer Glaubens- und Stam- 
meSbrüder nimmt. Für Mich aber sind die wahren Interessen 
Rußlands am theuersten; Ich möchte bis auf daS äußerste 
russisches Blut schonen: das ist der Grund, weshalb ich dahin 
gestrebt habe, und streben werde, auf friedliche Weife eine 
tatsächliche Verbesserung der Lage der Christen des Orients 
zu erlangen. In den nächsten Tagen beginnen in Konstan- 
tinopel die Verhandlungen zwischen den Vertretern der sechS 
Großmächte wegen Festsetzung der Friedensbedingungen; Mein 
heißester Wunsch ist daß wir zur allgemeinen Übereinstimmung 
kommen. Falls eS aber nicht dazu kommt, und Ich sehen 
werde, daß wir solche Garantien, welche die Ausführung des» 
sen sichern, waS wir mit Recht von der Pforte fordern können, 
nicht zu erlangen im Stande sind, so habe Ich die feste Ab 
sicht selbständig zu handeln, und Ich bin überzeugt, daß in 
diesem Falle ganz Rußland Meinem Rufe Folge leisten wird, 
wenn Ich für nöthig erachten werde, waS die Ehre Rußlands 
fordert. Auch bin Ich überzeugt, daß Moskau wie immer mit 
seinem Beispiel vorangehen wird. Gott stehe uns bei, unseren 
heiligen Beruf durchzuführen." 
Neueste Nachrichten. 
Pest, 14. Nov. Die Erklärung der unabhängigen Libe- 
ralen spricht sich angesichts der gegenwärtigen kritischen Lage 
gegen einen überstürzten Abschluß deS wirtschaftlichen Aus 
gleichs aus. Die Erhaltung und Sicherung des moralischen 
Ansehens und der Großmachtstellung der Monarchie seien Le- 
benSfragen für beide Theile derselben. Keine constitutionelle 
Regierung und kein Abgeordnetenhaus werden, wo Krisen der 
auswärtigen Politik schweben, Verhandlungen über Verträge
	        

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