gesucht, und kam dann auf die Andrassy-Note zu sprechen:
„Jene Note, aufgesetzt durch einen hervorragenden Staatsmann,
der außerordentlich wohl bewandert ist, in dem Gegenstände
mit dem er zu schaffen hatte, enthielt in sich wahrscheinlich alle
jene Maßregeln, welche, wenn zur Wirkung gebracht, das große
Ziel daß er (ich vorgesetzt, zuwege gebracht hätten. Und die-
feS Ziel war den Zustand der Bevölkerung der türkischen Pro-
vinzen zu sichern in dem Glauben, daß die Verbesserung ihres
ZustandeS und die Abstellung ihrer Beschwerden an und für
sich die beste Sicherheit für die Unabhängigkeit und territoriale
Unverletzlichkeit deS Reiches sein wü^de." Die englische Re-
gierung habe ohne Hoffnung auf die Möglichkeit der Durch-
fübrung jener Reformen, bei dem damaligen Zustande der Tür-
kei — waS sie auch nicht verhehlt — der Rote ihre Zustim-
mung ertheilt. Als die AndrassyNote, als zur Zeit undurch-
führbar, gefallen, fei ein anderes Schriftstück, das Berliner Me-
merandum, aufgesetzt worden. Die englische Regierung habe
demselben die Zustimmung verweigern müssen, da eS Unmög-
licheS von der Pforte gefordert und, im Falle dasselbe nicht
geleistet würde, die Türkei mit Maßregeln bedroht habe die nur
olS militärische Besetzung aufgefaßt werden könnten, und die
zur Zertheilung der Türkei und zum Kriege wahrscheinlich hat-
ten führen müssen. Dann sei, veranlaßt durch Unruhen in
der Türkei, die Entsendung der Flotte nach der Besika-Bai
erfolgt. Diese Maßregel habe die Ruhe in jenem Theile der
Welt gesichert, „und" — sagt der Redner — „hat gezeigt,
daß mit den Interessen Englands nicht zu spaßen ist — und
ich habe noch zu erfahren daß in irgend einer Versammlung
von Engländern die Entsendung der Flotte nach Besika - Bai
nicht gebilligt worden wäre." Dann sei der Borschlag einer
österreichisch-russischen Besetzung der aufständischen Provinzen
und Demonstration der vereinigten europäischen Flotten vor
Konstantinopel gekommen. „Fühlend daß daS eine Politik sein
würde, welche die feierlichsten Verträge, von denen ich gespro
chen," sagte Lord BeaeonSfield, „verletzen würde, lehnten wir
die Zustimmung zu solch einem Vorgeben ab Und erlauben
Sie mir zu bemerken, daß ein Jahr verflossen ist und trotz aller
Versuchungen und verleitenden Umstände ist die Unabhängigkeit
und GebietSunverletzlichkeit der Türkei nicht gefährdet worden,
und der europäische Friede wurde aufrecht erhalten." (Beifall.)
DaS andere große Ziel sei die Befriedigung der aufständischen
Provinzen. England, wie der Redner weiter ausführte, habe
sein Bestes zur Erreichung desselben gethan. Durch die Ent»
rüstungSmeetingS, welche England im Ausland in einem fal
schen Licht hätten «scheinen lassen, seien aber n anche Bestre
bungen der Regierung vereitelt worden. Auf die letzten Waf-
fenstillstandSverhandlungen zu sprechen kommend, erklärte Lord
BeaeonSfield dann, um falsche Auffassung zu beseitigen: der
englische Vorschlag habe nicht auf einen Monat gelautet, fon-
dern auf „nicht weniger als einen Monat." Als deßhalb die
Pforte fünf Monate habe gewähren wollen und den Mächten
dieß zu lange dünkte, habe England eS mit seiner Ehre nicht
verträglich gehalten die Pforte zu bedrängen und sich deßhalb
von jeder weiteren Verhandlung seit jenem Augenblick zurück-
gezogen. Ueber daS was dann vorgefallen, wolle er nicht wei-
ter reden. DaS Ultimatum, ein häßliches Wort, erscheine ihm
„als wenn jemand dann eine Schuld einklagt wenn zur selben
Zeit der Betrag im Gerichtshof einbezahlt worden." Ein Waf-
fenstillstand sei jetzt glücklich zn Stande gebracht. Cr sei aller-
dingS noch kein Friede, doch seien die Aussichten dafür günstig.
Zugleich habe die englische Regierung eine Conferen; vorge-
schlagen, und um derselben etwas von der Frische und GestchtS-
weite zuzuführen, welche diejenigen Staatsmänner die nicht
immer einen Zweck im Auge haben besässen, habe die Regie-
rung zum Spezialgesandten den Lord SaliSbury ernannt. „Ich
glaube," fügte Lord BeaeonSfield hinzu, „befugt zu der Er-
klarung zu sein, daß alle Mächte der Konferenz zugestimmt
haben." Lord SaliSbury besitze daS ganze Vertrauen deS Ca-
binetS, er werde sicherlich den Frieden Europa'S zu erstreben
suchen, der nicht besser als durch Festhakten an den Verträgen
erzielt werden könne. „Ich hoffe," sagte der Minister, „daß
bei der gegenwärtigen DenkungSart Europa'S wir diese großen
Resultate werdenZerzielen können, und daß sich jenen fürchter-
lichen Appellen an die Waffen vorbeugen läßt von denen wir
letzthin nur zu häufig gehört haben." Bezug nehmend auf
eine Bemerkung deS Lord-Mayor über Englands FriedenSnei-
gungen, sagte Lord BeaeonSfield: England sei allerdings durch-
aus ein Land deS Friedens, aber wenn ein Kampf nöthig
werde, dann fei kein Land^wie England für den Krieg vorbe-
reitet. „England ist nicht ein Land das zu fragen haben würde
ob eS einen zweiten oder dritten Feldzug eröffnen könne. ES
wird nur in einer gerechtenZSache einen Krieg beginnen, aber
ihn auch nicht eher beenden als bis das Recht gesichert ist."
^Lauter Beifall.) Der Minister schloß mit einem Hoch auf
den Lord-Mayor.
Rußland. Der „Regierungs-Anzeiger" veröffentlicht den
Wortlaut der Ansprache, welche der Kaiser Alexander am 10.
November in Moskau an die Vertreter deS Adels und der
Stadtgemeinde gerichtet hat. Der Kaiser sagte: „Ich danke
Ihnen für die Gefühle, welche Sie Mir ausdrücken wollten an-
läßlich der gegenwärtigen politischen Verhältnisse, die jetzt mehr
aufgeklärt sind. Ich bin mit Vergnügen bereit, Ihre Adresse
anzunehmen. ES ist Ihnen bereits bekannt, daß jdie Türkei
Meiner Forderung deS sofortigen Abschlusses deS Waffcnstill-
standS, um den unnützen Metzeleien in Serbien und Monte-
negro ein Ende zu machen, nachgegeben hat. Die Montene-
griner zeigten sich in diesem ungleichen Kampfe wie immer alS
wahre Helden. Vön den Serben kann man leider nicht daS-
seltze sagen, trotz der Anwesenheit unserer Freiwilligen in den
serbischen Reihen, von welchen viele für die slavische Sache ihr
Blut vergossen haben. Ich weiß, daß mit Mir ganz Rußland
lebhaften Antheil an den Leiden unserer Glaubens- und Stam-
meSbrüder nimmt. Für Mich aber sind die wahren Interessen
Rußlands am theuersten; Ich möchte bis auf daS äußerste
russisches Blut schonen: das ist der Grund, weshalb ich dahin
gestrebt habe, und streben werde, auf friedliche Weife eine
tatsächliche Verbesserung der Lage der Christen des Orients
zu erlangen. In den nächsten Tagen beginnen in Konstan-
tinopel die Verhandlungen zwischen den Vertretern der sechS
Großmächte wegen Festsetzung der Friedensbedingungen; Mein
heißester Wunsch ist daß wir zur allgemeinen Übereinstimmung
kommen. Falls eS aber nicht dazu kommt, und Ich sehen
werde, daß wir solche Garantien, welche die Ausführung des»
sen sichern, waS wir mit Recht von der Pforte fordern können,
nicht zu erlangen im Stande sind, so habe Ich die feste Ab
sicht selbständig zu handeln, und Ich bin überzeugt, daß in
diesem Falle ganz Rußland Meinem Rufe Folge leisten wird,
wenn Ich für nöthig erachten werde, waS die Ehre Rußlands
fordert. Auch bin Ich überzeugt, daß Moskau wie immer mit
seinem Beispiel vorangehen wird. Gott stehe uns bei, unseren
heiligen Beruf durchzuführen."
Neueste Nachrichten.
Pest, 14. Nov. Die Erklärung der unabhängigen Libe-
ralen spricht sich angesichts der gegenwärtigen kritischen Lage
gegen einen überstürzten Abschluß deS wirtschaftlichen Aus
gleichs aus. Die Erhaltung und Sicherung des moralischen
Ansehens und der Großmachtstellung der Monarchie seien Le-
benSfragen für beide Theile derselben. Keine constitutionelle
Regierung und kein Abgeordnetenhaus werden, wo Krisen der
auswärtigen Politik schweben, Verhandlungen über Verträge